Alle zwei Jahre untersucht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Wirtschaft ihre Mitglieder auf Herz und Nieren. Dabei haben die OECD-Ökonomen diesmal die alternde Gesellschaft in der Schweiz besonders unter die Lupe genommen.
Die OECD geht zwar im kommenden Jahr wieder von einem etwas stärkeren Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent aus. Doch um langfristig zu wachsen, gebe es Handlungsbedarf.
Die Industriestaaten-Organisation rät der Schweiz, den Spielraum im Staatshaushalt für eine Normalisierung der Geldpolitik zu nutzen. Die Haushaltsüberschüsse hätten in den vergangenen zwei Jahren über 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Allein in diesem Jahr erwartet der Bund 2,6 Milliarden Franken Überschuss. Auch im Rahmen der Schuldenbremse gebe es noch Spielraum für höhere Ausgaben.
Höheres Rentenalter
Um den hohen Lebensstandard in der Schweiz zu halten, sei es dringend notwendig, das Rentenalter zu erhöhen und ein längeres Arbeitsleben zu fördern. Um dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssten unter anderem weniger qualifizierte Arbeitskräfte, insbesondere Migrantinnen und Migranten, besser aus- und weitergebildet werden. Zudem müsse die Vollzeitbeschäftigung von Frauen gefördert werden.
Der Bericht enthält kaum Überraschungen. Die Beschäftigungsquote ist hierzulande seit Jahren hoch und liegt bei rund 80 Prozent – vergleichsweise hoch, denn der OECD-Durchschnitt liegt bei etwa 68 Prozent. Wo die Schweiz hinterherhinkt, ist die Produktivität: Legte sie im Jahr 2000 noch um fast 1,5 Prozent zu, geht es seither abwärts. Heute steigt die Produktivität mit etwa 0,3 Prozent kaum.
Gleichzeitig ist der Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften hierzulande sehr hoch. Unter den anderen OECD-Ländern brauchen nur Island und Luxemburg noch mehr. Arbeitskräfte mit mittlerer Qualifikation sind hingegen immer weniger gefragt.
Die OECD spricht der Schweiz vier Empfehlungen für Reformen aus, um das Wachstum langfristig anzukurbeln:
1. Bildung: Zugang und Chancen verbessern
Der Fachkräftemangel reduziere langfristig das Wirtschaftswachstum. Zudem gebe es zu wenige Hochschulabgänger und Schüler aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen, besonders mit Migrationshintergrund, hätten schlechtere Chancen.
Die OECD empfiehlt, mehr in die Aus- und Weiterbildung jener Arbeitskräfte mit niedriger Beschäftigungsquote zu investieren. Das Betreuungsangebot von Kleinkindern solle staatlich gefördert und der Zugang zur Hochschulbildung für Schüler aus sozial benachteiligten Gruppen verbessert werden.
2. Reform des Steuersystems
Auch die überwiegend direkte Besteuerung hemme labour utilisation und den effizienten Einsatz von Arbeitskräften, und damit auch die Produktivität. Dabei nimmt die OECD zwar die jüngste Unternehmenssteuerreform, welche 2020 in Kraft tritt, zu Kenntnis, geht in ihren Empfehlungen noch weiter. So solle die Mehrwertsteuer angehoben, Ausnahmen von der Mehrwertsteuer gestrichen und die Einkommenssteuer gesenkt werden. Zudem sollten Ausnahmen von der CO2-Abgabe und anderen «grünen» Steuern abgeschafft werden.
3. Längeres Arbeitsleben fördern
Neu ist dieser Punkt in den diesjährigen OECD-Empfehlungen für die Schweiz. Denn die hiesige Bevölkerung altert schneller als der Durchschnitt der OECD-Länder: 2060 soll der Anteil der über 65-Jährigen auf fast 30 Prozent ansteigen – von heute unter 20 Prozent. Die alternde Bevölkerung erfordere höhere öffentlichen Ausgaben für die Pensionssysteme.
Um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken, sollte das Rentenalter für Männer und Frauen zuerst auf 65 Jahre festgelegt, dann schrittweise auf 67 und später an die höhere Lebenserwartung angepasst werden. Zudem sollten finanzielle Anreize geschaffen werden, länger zu arbeiten, lebenslanges Lernen und Weiterbildung gefördert werden.
4. Vollzeitbeschäftigung von Frauen fördern
Die Beschäftigungsrate von Frauen ist mit rund 75 Prozent wesentlich niedriger als die der Männer mit knapp 85 Prozent. Schuld daran, seien die hohen Kinderbetreuungskosten, die Besteuerung von Ehepartnern, eine Unternehmenskultur, welche zu wenig Geschlechterdiversität förderr und die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern. All dies führe dazu, dass viele Frauen nur in Teilzeit arbeiten. Die OECD empfiehlt daher die Kinderbetreungskosten weiter zu senken sowie eine individuelle statt gemeinsame Besteuerung, eine Verlängerung des Vaterschafsurlaubs.
Neben den genannten Massnahmen müsse die Schweiz aber auch auf hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zurückgreifen, um den derzeitigen Bedarf zu decken. Dazu sollte insbesondere die Einwanderung von Fachkräften von ausserhalb der EU erleichtert werden.