Eigentlich wäre die Sache so schön. Das Erfolgsmodell Schweizer Wirtschaft hat erneut überzeugt: Nur wenige Jahre nach Corona haben wir Vollbeschäftigung und Preisstabilität. Der Franken ist nicht zu stark. Unsere Staatsverschuldung bleibt stabil, und unser Erspartes wächst wieder, auch nach Abzug der Inflation.

Kein Wunder, glauben wir, dass wir uns auch mal wieder etwas leisten können. Zumindest politisch. 13. AHV? Für die Mehrheit scheint das finanzierbar. Krankenkassenerleichterung? Muss doch auch gehen. Das Geld ist ja vorhanden. Oder?

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Keine Frage. Wir sind reich. Unsere Pensionskassen sind gut gefüllt. Unsere Immobilienpreise scheinen nur eine Richtung zu kennen. Und auch unsere Aktienmärkte legen weiter zu. 

Der Gastautor

Der Ökonom Klaus Wellershoff ist Gründer und Verwaltungsratspräsident von Wellershoff & Partners, Honorarprofessor an der Universität St. Gallen und regelmässiger Kolumnist der «Handelszeitung».

Aber ist denn wirklich alles so gut? Traut man der repräsentativen Befragung der Konsumentinnen und Konsumenten, dann nicht. Deren Stimmung ist im historischen Vergleich im Keller. Woran das liegt, ist schwer zu sagen. Vielleicht daran, dass die Schweizer Volkswirtschaft seit zehn Quartalen kaum noch wächst und das reale Pro-Kopf-Einkommen stagniert? 

Woran wiederum das liegt? Zum einen am Arbeitsmarkt. Dort lautet das Stichwort der letzten Jahre: Arbeitskräftemangel. Aber das ist irreführend. Die Beschäftigung wächst nämlich seit langem deutlich schneller als die Bevölkerung. Der Hauptgrund für die enorme Arbeitsnachfrage ist der Wunsch der Menschen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. So sinkt seit Jahren die Anzahl geleisteter Stunden pro Jahr pro Vollzeitäquivalent, und immer mehr Menschen wollen nur noch Teilzeit arbeiten. Und wo weniger gearbeitet wird, wird auch weniger erwirtschaftet. 

Zum anderen liegt das am Kapitalmarkt. Dort sind seit Jahren die Zinsen deutlich zu niedrig. Angesichts der aktuellen Inflationsentwicklung und des schwachen Wachstums müsste die Rendite zehnjähriger Anleihen der Eidgenossenschaft nicht bei 0,7, sondern bei 2,5 Prozent liegen. Wer weiss, wie Zins und Bewertung von Immobilien und Aktien miteinander zusammenhängen, weiss auch, was das bedeutet: Unsere Vermögenswerte sind massiv überbewertet.

Warum die Zinsen nicht weiter steigen? Weil wir es uns nicht leisten können. Steigende Zinsen und fallende Bewertungen bedeuten nämlich nicht nur, dass unsere Vermögen kleiner werden. Steigende Zinsen vernichten auch Eigenkapital im Finanzsystem und sind für Hypothekarschuldner und Mieterinnen ein echtes Problem. Wir dürfen nicht vergessen: Weltweit ist die Schweiz das Land mit der grössten Privatverschuldung pro Einwohnerin und Einwohner.