In St. Gallen und in Lausanne wollen sie jetzt die Leere besteuern: Laut zwei Gemeinderats-Vorstössen aus dem linken Ratsspektrum sollen dereinst «Lenkungsabgaben» auf leerstehende Ladenflächen erhoben werden. Das Ziel: Hausbesitzer sollen rascher die Mieten senken statt ein Geschäft in der Innenstadt länger leerstehen zu lassen.
Der Plan mag sonderbar klingen, doch tatsächlich können trübe Schaufenster mit «Zu vermieten»-Schildern in einen Teufelskreis führen: Weniger Läden heisst weniger Kunden heisst weniger Läden – heisst tote Innenstadt.
Müssen wir uns vor so einem Szenario fürchten? Das neue «Immo-Monitoring» der Beratungs- und Forschungsfirma Wüest Partner widmet sich unter anderem den Aussichten des Detailhandels beziehungsweise der Ladenflächen. Und in der Tat wirken die Zahlen problematisch, wenigstens auf den ersten Blick: Derzeit sind über 570'000 Quadratmeter Verkaufsfläche zur Vermietung ausgeschrieben – ein Drittel mehr als im Schnitt der letzten zehn Jahre. Die verlangten Mieten sinken, so die Wüest-Partner-Forscher weiter, und eine Trendwende sei «aktuell nicht abzusehen».
Denn hier kommt einiges zusammen:
- Es wird weiter gebaut, und so entstehen zum Beispiel in den Erdgeschossen von Arealüberbauungen auch neue Ladenflächen.
- Die Mieter wechseln rascher (eine Zahl dazu: Der Anteil der kurzfristigen Mietverträge mit Laufzeiten unter 5 Jahren hat sich seit 2013 nahezu verdoppelt).
- Andererseits sinken die Umsätze der einzelnen Geschäfte tendenziell – zum Beispiel wegen der Konkurrenz durch den Onlinehandel.
In einigen Läden reduzierten sich die Umsätze seit 2010 um fast einen Drittel. Stark betroffen waren zum Beispiel die Spielwarenläden, die Buchhandlungen, die Musikgeschäfte, aber auch die Anbieter von Schuhen, Kleidern oder Parfums.
240 Menschen auf 1000 Quadratmeter
Allerdings besteht auch Grund zur Gelassenheit. Es seien «noch keine flächendeckenden Leerstände der Verkaufsflächen zu beobachten», meldet Wüest Partner. Für die meisten leer stehenden Ladenflächen könnten am Ende doch wieder Detaillisten gewonnen werden. Dabei wirken zwei Stützen, nämlich:
- die solide Konjunktur;
- die steigende Bevölkerungszahl.
Denn es gibt zwar immer mehr Verkaufsfläche in der Schweiz, es gibt aber auch mehr Kunden. Wie das «Immo-Monitoring» vorrechnet, kommen in der Schweiz etwa 240 Menschen pro 1000 Quadratmeter Verkaufsfläche, und dieser Wert ist seit etwa einem Dutzend Jahren konstant. Kritisch werde es allerdings in Klein- und Mittelstädten, so die Autoren von Wüest Partner: Bei keinem anderen Gemeindetyp sei die Anzahl Einwohner im Vergleich zur Verkaufsfläche so gering; der Wert liegt hier bei 128 respektive 140 Personen pro 1000 Quadratmetern Verkaufsfläche.
Innovation gefragt
Konkret: Die Gefahren stecken im Detail, also in einzelnen Regionen. Insgesamt aber entwarnt das neue «Immo-Monitoring»: Die Chancen stünden gut, «dass brachliegende Verkaufsflächen auch in Zukunft kein flächendeckendes Phänomen sein werden.» Der Detailhandel sei ja schon immer sehr innovativ gewesen und konnte sich aus jeder Krise heraus wieder neu erfinden.
Auf der anderen Seite würden in den Ladenflächen, wenn die Buch- oder Spielwarenläden verschwinden, halt wieder Platz frei für neue Formen der Wirtschaft und des Lebens: etwa Co-Working-Spaces, Praxen, Tagesstätten.
Wo wurden vor zehn Jahren die höchsten Mieten an der Zürcher Bahnhofstrasse bezahlt? Irgendwo im mittleren Teil. Doch wo liegt heute am meisten drin? Nahe beim Bahnhof.
Die Analytiker von Wüest Partner sichten in ihren Daten eine leichte Verschiebung dessen, was für Geschäftslokale wichtig ist. Die Passantenfrequenz war zwar schon immer ein entscheidender Faktor, doch bedeutsam war stets auch die «gute Adresse».
In Zürichs Bahnhofstrasse, so das Beispiel, leisteten sich die grosse internationalen Luxus-Brands sehr hohe Mieten in der Mitte, denn die Meile zwischen Paradeplatz und Urania-Strasse galt als besonders fein. Heute aber beobachtet Wüest Partner die Spitzenmieten an der unteren Bahnhofstrasse, nahe beim Hauptbahnhof, und inzwischen sind es auch nicht mehr zwingend die Luxus-Läden, die am meisten hinlegen. Am grosszügigsten sind vielmehr nationale und internationale Ketten, die voll auf hohe Frequenzen setzen – Fielmann statt Hermès.