Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat am Donnerstag den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro aufgehoben. «Der Mindestkurs wurde in einer Zeit der massiven Überbewertung des Frankens und grösster Verunsicherung an den Finanzmärkten eingeführt», erklärte die Nationalbank. «Der Franken bleibt zwar hoch bewertet, aber die Überbewertung hat sich seit Einführung des Mindestkurses insgesamt reduziert.» Die Wirtschaft habe diese Phase nutzen können, um sich auf die neue Situation einzustellen.
Zugleich senkte die SNB den Zins für Guthaben auf den Girokonten, die einen bestimmten Freibetrag übersteigen, um 0,5 Prozentpunkte auf -0,75 Prozent. Das Zielband für den Dreimonats-Libor verschob sie weiter in den negativen Bereich auf -1,25 Prozent bis -0,25 Prozent von bisher -0,75 Prozent bis 0,25 Prozent, wie die Notenbank mitteilte.
SMI stürzt ab
Die Reaktion auf den Entscheid folgte auf den Fusse: Zwischenzeitlich fiel der Euro sogar kurz auf unter 80 Rappen. Danach erholte sich die Gemeinschaftswährung wieder und stieg teilweise über 1.05 Franken je Euro. Am Abend notierte der Kurs wieder näher an der Parität, bei 1,01 Franken je Euro. (Verfolgen Sie den aktuellen Wechselkurs hier.)
Auch die Schweizer Börse gab deutlich nach. Über den SMI fegte ein regelrechtes Gewitter. Einzig die Swisscom ging mit einem Plus aus dem Handel. Brutal hat es Lonza (-18 Prozent) und Swatch (-16 Prozent) erwischt. Swatch-Chef Nick Hayek hatte in einer Reaktion auf die SNB verlauten lassen, dass dies einem über die Schweiz hereinbrechenden Tsunami gleichkomme.
Einschätzung für die Wirtschaft
Der SNB-Entscheid kam überraschend. Kein Kommentar lässt dies unerwähnt. Und er zieht schwerwiegende Folgen für die Wirtschaft mit sich. Entsprechend äusserten sich am Dienstag die Verbände. Deutlicher als die Vertreter von Handel Schweiz wurde aber kaum jemand.
Sie listen gleich vier Gründe auf, wie der geldpolitische Paukenschlag zum Super-Gau für die Wirtschaft wird: «1. Das Kapital von Handelsunternehmen steckt zum Grossteil in Lagern. Die Unternehmen müssen von heute auf morgen massive Lagerabwertungen vornehmen. 2. Viele Lieferverträge laufen langfristig und können nicht kurzfristig angepasst werden, d.h. die Beschaffung bleibt weiterhin teuer. Denn die Preise basieren auf der Annahme eines bestimmten Wechselkurses. 3. Die grosse Verunsicherung bei den Kunden der Handelsunternehmen – allen voran der exportierenden Wirtschaft – führt zu einer raschen Abnahme von Bestellungen. Der Handel bleibt auf der Ware sitzen und muss mit den negativen Folgen leben. 4. Gewinner gibt es in der Realwirtschaft keine. Alle haben die verlässliche Planbarkeit verloren – damit einher geht die massive Verunsicherung.»
Düstere Wirtschaftsprognosen
Der Währungsschock könnte nun in einer veritablen Wirtschaftskrise enden. Denn vor negativen Folgen warnen nicht nur Branchenvertreter, sondern auch so mancher Experte, darunter die Rating-Agentur Standard&Poor's, die ETH-Experten der Konjunkturforschungsstelle KOF und das Wirtschaftsforschungsinstitut Bakbasel. Die Basler zeichnen ein besonders düsteres Bild: Ein deutlich schwächeres Wachstum und ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit drohen.
Dies gilt zumindest für den Fall, dass sich der Wechselkurs zum Euro bei 1.05 Franken einpendelt. Diese Annahme bildet die Grundlage für die Berechnungen von Bakbasel. Das Wirtschaftsforschungsinstitut scheint dies als realistisch anzusehen. Eine baldige Rückkehr zum bisherigen Niveau von 1.20 Franken pro Euro sei nicht zu erwarten, schreibt Bakbasel in einer Medienmitteilung vom Donnerstagabend.
Sofern sich der Wechselkurs tatsächlich leicht oberhalb der Parität stabilisiert, würde die Schweiz bis Ende 2016 um 1,5 bis 2 Prozentpunkte an Wachstum verlieren, schreiben die Ökonomen. Das ist viel, schliesslich liegen die Wachstumsprognosen verschiedener Institute für 2016 zwischen 2 und rund 2,5 Prozent. Gleichzeitig werde die Arbeitslosigkeit ansteigen und 2016 im Durchschnitt bei 3,6 bis 3,8 Prozent anstelle von 3,1 Prozent liegen.