Die rasche Zinswende entpuppt sich immer mehr als Wunschdenken. In der Schweiz könnte die zweite Leitzinssenkung noch länger auf sich warten lassen. Zuletzt ist die Inflation wieder gestiegen auf 1,4 Prozent, und die Frankenstärke, die für sinkende Importpreise sorgt, ist trotz dem jüngsten Aufwertungsschub nicht mehr so ausgeprägt.
Laut den jüngsten Aussagen der SNB zum realen Gleichgewichtszins ist ihre aktuelle Geldpolitik weder expansiv, also die Konjunktur stimulierend, noch restriktiv oder bremsend.
Eine Zinssenkung auf 1,25 Prozent würde bei den aktuellen Inflationsraten daher eine expansive Politik bedeuten. Gas geben bei 1,4 Prozent Teuerung? Das wäre dann schon ein sehr gewagtes Abschiedsgeschenk vom sonst so risikoaversen SNB-Präsidenten Thomas Jordan. Die Zinssitzung nächste Woche ist seine zweitletzte.
Höchstens wenige, kleine Schritte
Auch in der Euro-Zone ist nicht von einer schnellen Normalisierung der hohen Leitzinsen auszugehen. Daran ändert auch die kleine Zinssenkung von letzter Woche nichts. Die EZB macht klar, dass es keinen vorgegebenen Pfad gibt, und sie will die Zügel so lange wie nötig straff halten.
Selbst die optimistischen Schätzungen der EZB gehen nicht davon aus, dass die Inflation bald in den Zielkorridor unter 2 Prozent zurückkehrt. Viel tiefere Leitzinsen liegen deshalb auch in der Euro-Zone nicht drin, eher muss man sich noch länger auf Geldmarktzinsen über 3 Prozent einstellen.
Man muss mit dem Szenario anfreunden, dass die Zinsen noch lange erhöht bleiben
Die Amerikanerinnen und Amerikaner können froh sein, wenn sie dieses Jahr überhaupt eine Zinssenkung bekommen. Immer wieder überraschen die Inflation und die Arbeitsmarktzahlen aufs Neue. Es gibt kaum Ermüdungserscheinungen und kaum Gründe, den Fuss von der Bremse zu nehmen.
Die Zurückhaltung der Notenbanken steht im Kontrast zu ihren Prognosen und den Markterwartungen von Anfang Jahr. Bis zu sechs Leitzinssenkungen waren in den USA im Januar «eingepreist». Auch in der Schweiz hatten viele nach dem Vorpreschen der SNB im März schon einen Leitzins von 1 Prozent vor Augen.
Anleihenmarkt zeigt, wie die neue Normalität aussehen könnte
Man muss sich langsam, aber sicher mit dem Szenario anfreunden, dass die Zinsen in den westlichen Industrieländern noch lange hoch bleiben. Vielleicht nicht mehr ganz so hoch wie letztes Jahr, aber deutlich über dem Niveau des Jahrzehnts vor Corona.
So wie es die Langfristzinsen schon länger signalisieren: Nach dem starken Anstieg 2022 sind die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen wieder gesunken. In der Schweiz liegen sie bei 1 Prozent, aber seit Monaten passiert wenig. Das scheint der neue Richtwert zu sein, nicht mehr die Negativzinsen von früher.
Ein Zinsschock ist das nicht. Aber es reicht, dass über die Zeit noch mehr Schuldner in Schwierigkeiten geraten, die sich übernommen haben, und dass René Benko nicht der letzte Pleitier bleiben wird.