Europas Aufschwung ist ins Stocken geraten. Noch immer ist die Nachfrage nach Dienstleistungen in wichtigen Bereichen deutlich unter dem Vorkrisenniveau. Gleichzeitig hat der starke Güterkonsum die hoch optimierten Lieferketten überfordert. Sodass selbst dort, wo die Nachfrage eigentlich gut wäre, oftmals das Wachstum fehlt.
Davon ist direkt und indirekt auch die Schweiz betroffen. Auch hierzulande sind die Menschen noch immer vorsichtiger im Umgang mit ihren Mitmenschen, als sie es vor der Krise waren. Kein Wunder, fehlt es dort, wo der Umgang miteinander wichtig ist, noch immer an Umsatz. Und natürlich treffen globale Engpässe an Rohstoffen und Vorleistungen auch unsere Industrie und unser Handwerk.
Auch wenn die Zahlen zum Schweizer Wachstum des vergangenen Quartals noch ein paar Wochen auf sich warten lassen: Wir können heute bereits sagen, dass wir immer noch mit erheblichen Unterauslastungen unserer Produktionskapazität konfrontiert sind. Das führt zu der ungewöhnlichen Feststellung, dass die Schweizer Wirtschaft zwar wächst, aber eigentlich noch immer in der Rezession ist.
Für die Wirtschaftspolitik ist das eine schwierige Situation. Wenn einige Branchen, wie zum Beispiel unsere Pharmaindustrie, stark wachsen, andere aber noch tief in der Rezession stecken, machen Breitbandpolitikmassnahmen kaum noch Sinn.
Klaus Wellershoff ist Ökonom und leitet das von ihm gegründete Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners. Er war Chefökonom der UBS und unterrichtet Nationalökonomie an der Universität St. Gallen.
Warum die Unternehmen oder die Arbeitnehmenden insgesamt mit Krediten und Subventionen unterstützen, wenn es vielen Unternehmen wieder gut geht und die meisten Arbeitnehmenden einen sicheren Arbeitsplatz haben? Das wäre Ressourcenverschwendung übelsten Ausmasses.
Und wie den wirklich betroffenen Unternehmen und Arbeitnehmenden helfen, wenn man nicht einmal weiss, wer das im Einzelfall ist? Das endet unmittelbar im Morast von Interessengruppen und Lobbyisten. Frei nach dem Motto: Wer am lautesten schreit, kriegt am meisten Geld.
Wie problematisch Breitbandmassnahmen sind, lässt sich am besten am Beispiel der Geldpolitik erläutern. Aktuell sollen Negativzinsen den Wechselkurs schwach halten und damit den Exporteuren helfen. Gleichzeitig sollen tiefe Zinsen die zinsabhängige Binnennachfrage fördern.
In Tat und Wahrheit helfen die tiefen Zinsen den von Corona betroffenen Firmen kaum etwas. Dafür wird aber die Baunachfrage erheblich unterstützt. Steigende Immobilienpreise und veritable Engpässe im Handwerk sind die Folge.
Und auch bei den Exporteuren stellen wir fest, dass zwei Drittel der Exporte praktisch unabhängig vom Wechselkurs sind. Der Hauptwachstumstreiber im Warenhandel sind seit Jahren die Pharmaindustrie und der Handel mit Edelmetallen.
«Zeit, aufzuwachen aus dem Traum, dass der Staat alles zum Guten wenden könne.»
Klaus Wellershof
Und so «pflügen wir unsere Städte um», wie das ein verdienter Journalist neulich im privaten Gespräch formuliert hat. Und wir tolerieren einen massiven Anstieg der hypothekarischen Verschuldung. Schlimmer noch: An manchen Stellen freut man sich darüber, dass die tiefen Zinsen zu steigenden Immobilien- und Aktienpreisen führen und somit gleichzeitig die Vermögensverteilung im Land immer schiefer wird.
Dass die höheren Schulden und tiefe Verzinsung der Anlagen der jungen Generation einen wichtigen Teil ihres zukünftigen Wohlstands rauben, scheinen wir als Kollateralschaden einer aktivistischen Wirtschaftspolitik zu tolerieren.
Warum? Weil wir meinen, wir könnten doch nicht tatenlos zusehen, wenn es wirtschaftlich nicht läuft? Es ist Zeit, aufzuwachen aus dem Traum, dass der Staat alles zum Guten wenden könne. Es gibt Momente, da sind die Nebenwirkungen des Medikaments schlimmer als die Krankheit selbst.