Ich habe schon mehr als eine Entscheidung getroffen, die ich wohl als Fehler bezeichnen könnte. Mein erster Studiengang, zum Beispiel, den ich nach anderthalb Jahren frucht- und lustlosen Herumsitzens im Hörsaal abgebrochen habe. Oder die sündhaft teuren Sneakers, die zwar richtig gut aussehen, aber nicht wirklich passen.
Die Welt wird immer komplexer. Mehr Möglichkeiten verlangen mehr Entscheidungen. In welches Café gehen wir? Wen soll ich wählen? Mit wem eine Beziehung führen? Soll ich mich trennen? Welches Auto ist das Beste für mich? Und welches Doktorarbeitsthema wähle ich?
Die App ChoiceMap verspricht mir ab sofort «bessere Entscheidungen», Sie soll meine Auswahl optimieren und gibt mir in Prozenten an, was am besten zu mir passt. Die Möglichkeit mit dem höchsten Prozentsatz ist meine «beste Option». Mit der kostenlosen App für das iPhone brauche ich künftig nur noch drei Schritte zur vermeintlich richtigen Entscheidung.
Wir steigen leicht ein
Meine erste Frage an die App: Wo soll ich mir einen Kaffee holen? Im ersten Schritt gebe ich meine Alternativen an. In Gehentfernung meines Büros gibt es vier Cafes. Ein mobiler Kaffeestand steht zwei Strassen weiter. Direkt daneben liegt ein Starbucks. Im Keller meines Büros befindet sich ein Kiosk und zwei Häuser weiter das Ficorini, ein italienisches Café. Bis hierhin habe ich schon ganz schön viel getippt.
Im nächsten Schritt gebe ich an, was mir an dem Kaffee wichtig ist. ChoiceMap schlägt mir vor, meine Entscheidung von der Qualität der Getränke und des Essens abhängig zu machen. Ausserdem gebe ich an, dass mir das Café selbst und die Stimmung ziemlich egal ist, weil ich mir den Kaffee auf die Hand nehmen will. Der letzte Vorschlag ist die Zahl der Filialen. Auch das kümmert mich nicht gross. Stattdessen füge ich noch die Kriterien Preis und Entfernung zum Büro hinzu.
Im letzten Schritt bewerte ich die einzelnen Cafés. Der Deli im Keller ist nah, der Kaffee dort aber eher zum Weglaufen. Starbucks ist immerhin netter eingerichtet, aber auch weiter weg. Der Kaffeestand an der Ecke hat guten Kaffee, ist aber ebenfalls weiter weg als der Italiener im Nachbarhaus. Jetzt erwarte ich Ergebnisse: Die App errechnet, inwieweit meine Ansprüche an einen Kaffee mit meiner Einschätzung der einzelnen Kaffeehändler übereinstimmen. Wenig überraschend – da auch sonst meine erste Wahl - ist der Italiener mit 63 Prozent die beste Option. Die übrigen Kaffee-Angebote schneiden jeweils mit 52 Prozent ab.
Zeitaufwändiger Entscheidungsfindunsgprozess
In den fünf Minuten, die mich der Entscheidungsfindungsprozess gekostet hat, wäre ich in der Regel schon wieder im Aufzug auf dem Rückweg ins Büro. Während ich noch auf meinem Handy tippe, bieten mir Kollegen bereits an, mir einen Kaffee mitzubringen. Ich lehne ab und trinke einen optimalen Espresso beim Italiener im Nachbarhaus. Den habe ich mir verdient.
Vielleicht ist es übertrieben, meine Kaffee-Entscheidung einem Algorithmus zu überlassen. Ich steigere mich langsam im Schwierigkeitsgrad und suche ein Geschenk für einen Freund. Ich bin, gelinde gesagt, ratlos. Doch hier hilft mir die App nicht weiter. Denn die Auswahlmöglichkeiten muss ich selbst eingeben. Ohne Geschenkidee hilft mir also auch die App nicht weiter.
Nun gehts in die Tiefe
Weg von den alltäglichen Entscheidungen! ChoiceMap verspricht auch Hilfe bei der Frage «Mit wem soll ich eine Beziehung anfangen?» Als Kriterien stehen schwammige Begriffe wie «Moralischer Kompass», «Kompatibilität» und «Freundlichkeit» bereit. Die elf Kriterien bewerte ich jeweils zwischen «Top» und «Furchtbar».
In Ermangelung zahlreicher potenzieller Partner picke ich vier Namen von Freunden raus und bewerte, wie gut sie zu mir passen. Warum Julia mit 59 Prozent die beste Option ist, wobei doch Laura das gleiche Ergebnis hat, erschliesst sich mir nicht. Aussagekräftiger als die Reihenfolge meiner Optionen ist vielleicht der Prozentwert. Aber: Reichen 59 Prozent für eine Beziehung?
Die App tauft das Kind
Als wertvolle Entscheidungshilfe könnte sich ChoiceMap bei Fragen herausstellen, die zwar unendliches Kopfzerbrechen bereiten können, aber in der Regel nicht dringend beantwortet werden müssen. Kindernamen, zum Beispiel. Anhand vorgegebener Kriterien wie Spitznamen-Tauglichkeit und Familientradition errechnet die App, welcher Name der passende ist. Ich tippe Namen ein, die ich mir für mein Kind vorstellen könnte: Fiona, Lennart, Till und Marie.
Insgeheim favorisiere ich den Namen Fiona. Mich beschleicht daher das Gefühl, dass ich mich selbst reinlege. Wahrscheinlich bewerte ich sowohl die Kriterien als auch die einzelnen Namen so, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die App kann nur verarbeiten, was ich eingebe. Insofern hilft mir die App am ehesten, wenn ich unvoreingenommen bin, also am ehesten, wenn ich mir bislang noch wenige Gedanken über die Möglichkeiten gemacht habe. Das trifft in meinem Fall auf ein mögliches Doktorarbeitsthema zu.
Digitaler Denkanstoss
Wer sich zwischen zwei Themen für eine Doktorarbeit entscheiden muss, kann von ChoiceMap profitieren. Zwar sagt das Ergebnis noch nicht viel über die Erfolgswahrscheinlichkeit der Dissertation aus. Es gibt aber einen Überblick darüber, welche Faktoren in die Entscheidung mit einfliessen können – oder sollten.
Bei der Doktorarbeit fragt die App nicht nur nach der Qualität der Betreuung, der eigenen Expertise im jeweiligen Forschungsfeld oder den Fördermöglichkeiten. Es zwingt mich als Nutzer auch dazu zu bestimmen, wie wichtig mir die einzelnen Faktoren sind. Darin liegt die Stärke von ChoiceMap. Ich kann meine Optionen anhand nachvollziehbarer Kriterien bewerten – und damit einer rationalen Entscheidung ein Stück näher kommen. Allerdings mit einer Einschränkung: Das Leben ist kein Multiple Choice-Test mit vorgegebenen Antworten. Ein Geschenk für meinen Kumpel habe ich immer noch nicht. Und auch die Entscheidung, wo ich in der nächsten Pause meinen Kaffee holen gehe, treffe ich in Zukunft wieder aus dem Bauch heraus.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Bold Economy – das umfassende Nachrichtenportal zur digitalen Revolution.