Das Gedeihen eines Unternehmens wird nicht vom Markt bestimmt, sondern von der Klugheit seiner Manager. Doch auch die besten Köpfe können auf mächtige Gegner am Verhandlungstisch treffen. In diesem Fall hilft Suzanne Grieger-Langner – sie ist Wirtschaftsprofilerin und hat ihre Verhandlungstaktiken von Agenten gelernt. Im Gespräch erzählt, welchen Fehler die meisten Firmen machen und welche Taktik viel Erfolg versprechender ist.
Profiler, das klingt nach FBI. Was heisst das in der Unternehmensberatung?
Suzanne Grieger-Langer*: Was die meisten Leute kennen, ist das Criminal Profiling. Ich gehöre in den Pre-Crime-Sektor, bin Charakter- und Comportment-Profiler. Das heisst, ich prüfe zum Beispiel bei der Einstellung von Personal: Taugt dieser Kandidat? Nicht im Sinne der fachlichen Kompetenzen, sondern vom Charakter her. Ist derjenige nur selbstbezogen oder verschreibt er sich für ein höheres Gut? Kann er mit der Verantwortung umgehen, mit der emotionalen Belastung? Comportment Profiling, das ist die Mustererkennung. Wie verhält sich jemand, was ist seine Gesinnung? Oder in einem grösseren Rahmen: Ist eine Organisation von Sekten oder organisierter Kriminalität durchdrungen?
Wie meinen Sie das, organisierte Kriminalität?
Nehmen Sie zum Beispiel den Zuliefererkonflikt von Volkswagen vor einigen Monaten. Was da passiert ist, nennt man das Spinnenspiel. Der Zulieferer hat alle Zugänge besetzt, im übertragenen Sinne wie eine mafiöse Struktur. Dann hat er wie bei einem Silvesterknallbonbon die Leine gezogen und das in die Zange genommene Unternehmen war nicht mehr handlungsfähig. VW hat diese Situation allerdings mit seiner Art zu Verhandeln provoziert. Sie haben sich das emotional eingekauft und strategisch, weil sie nicht redundant zuliefern lassen.
Womit beginnt denn eine gute Verhandlungstaktik?
Wenn wir Firmen in Verhandlungen begleiten, dann geht es um existenzielle Probleme. Die erste Frage ist nicht: Was wird verhandelt? Sondern: Welchen Druck gibt es? Gibt es Spielraum oder steht die Unternehmensführung mit dem Rücken zur Wand? Dann schauen wir uns die Gegenseite an. Was ist deren typisches Verhalten? Der Profiler ist nicht derjenige, der die Verhandlungen führt, er ist der Co-Pilot. Der Co-Pilot kennt die Landschaft, sagt, wie gross das Gefälle ist und ob gebremst werden muss oder Gas gegeben.
Worauf müssen Sie dabei als Profiler achten?
Viele grossen Unternehmen im Food- oder Automotive-Bereich verhandeln sehr ähnlich. Das heisst, sie verhandeln nicht gut, sie haben schlichtweg Macht. Sie drohen erpresserisch damit, dass jemand ausgelistet wird. Sagen wir, da kommt ein Foodriese zu einem Hühnerbaron und fragt: Wie sieht’s denn aus? Er gibt sich als Freund, lässt sich alle Bücher zeigen, um zu unterstützen. Das heisst, letztendlich wird der andere angefixt, ähnlich wie von einem Drogendealer. Die Konzernvertreter tun so, als ob sie die Guten wären. Dahinter steht aber eiskalt das Interesse, alles über die Gegenpartei zu erfahren, um dann die Daumenschrauben später anzuziehen. Das Gemeine im Foodbereich ist: Der Hühnerbaron hat immer gleich viele Hühner, die alle fleissig Eier legen. Aber es wird nicht im Dezember verhandelt, sondern im August, wenn ihm die Eier schlecht werden, weil niemand backt. Gleichzeitig gehört dann aber zum Vertrag, dass er zum Liefern verpflichtet ist – zu sehr geringen Bedingungen. Im August wird er das unterschreiben, um zu überleben. Dann kommt Weihnachten – er muss Hallen dazukaufen, Eier dazukaufen, um diesen Knebelvertrag zu bedienen. Das geht alles noch gut, auch Ostern, da dasselbe Spiel. Dann läuft der Vertrag aus, wieder im August. Dann kommt der Foodriese und sagt: Jetzt bezahlen wir noch weniger.
Dann steht der Lieferant mit dem Rücken zur Wand.
Der Lieferant ist dabei, die neue Halle abzubezahlen und sagt, das ist doch mein Lebenswerk und eigentlich wollte ich das ja an meine Kinder vererben. Und auf einmal hat er Schulden in Millionenhöhe und nur diesen einen Auftraggeber. Leider fängt das Verhandeln bei David gegen Goliath zu spät an – nämlich dann, wenn nichts mehr geht. Dann sind wir mit Schadensbegrenzung beschäftigt. Verhandeln sollte ganz am Anfang anfangen, beim Preparing.
Also bei der Vorbereitung?
Es geht um Preparing – Profiling – Performing. Performing ist das, was am Verhandlungstisch geschieht. Preparing ist die strategische Vorbereitung – sich eben nicht auf einen Abnehmer begrenzen zum Beispiel, und grundsätzlich keine Bücher zu öffnen. Es geht nicht darum, Geheimnisse zu haben, aber es ist auch nicht sinnvoll, alle Flanken zu präsentieren. Ich empfehle Unternehmen grundsätzlich, eine gewisse Entscheidungsfreiheit vorzuhalten. Meistens geht es dabei um Finanzfragen. Wie lange würde die Firma brauchen, um von Null-Abnahme wieder in eine Abnahme zu kommen, die den Betrieb erhält? Braucht man einen Monat, drei oder ein halbes Jahr? Die Liquidität für diesen Zeitraum muss verfügbar sein, sonst hat man keine starke Verhandlungsposition.
Das heisst aber, das Unternehmen muss sich erst einmal die Ruhe erarbeiten, um strategisch zu entscheiden.
Viele Unternehmen starten in der dritten Phase, im Performing, haben sich aber nicht gut vorbereitet. Das ist wie mitten im Rennen aufs Pferd steigen und sich wundern, wenn man abgeworfen wird. Viele denken, Sie brauchen einen Profiler, um die Gegenseite zu analysieren. Aber das ist bereits die zweite Phase von dreien. Die erste ist: Wie stellen wir uns auf, damit wir möglichst viel Verhandlungsmacht in den eigenen Händen haben? Dabei geht es nicht darum, den anderen über den Tisch zu ziehen. Es geht darum, dass ein Gegenüber, das unfair agiert, nicht die Macht hat, mich über den Tisch zu ziehen.
Die Empfehlung, sich breit aufzustellen, ist aber schon eine Herausforderung. Oft geht es dabei ja um hochspezialisierte Unternehmen, zum Beispiel bei den Schweizer Automobil-Zulieferern.
Das fängt beim Preparing, bei der Vorbereitung, an. Wenn ich produzierender Zulieferer wäre, würde ich grundsätzlich nur Multifunktionshallen bauen. Die Hallen wären dann innerhalb weniger Tage oder Wochen umzustellen auf ein neues Produkt. Das ist im ersten Wurf deutlich teurer, sichert aber das Überleben. Wenn ich schon ein Gebäude hinsetze, das mich Millionen kostet, dann sollte ich es richtig machen. Eine Überlegung ist auch: Will ich Maschinen wirklich kaufen? Oder lieber leasen, auch wenn es teurer ist? Der grösste Fehler ist, zu sagen: So sparen wir jetzt Geld. Meistens zahlt man dabei auf lange Sicht drauf. Flexibilität zu erhalten dagegen, das ist die grösste Sicherheit. Es klingt verrückt, aber das Geld, das ich in meine Flexibilität investiere, wird verzinst in Form emotionaler Sicherheit . Wenn ich weiss, ich kann innert von fünf Wochen meine Hallen komplett umstellen und die Maschinen zurückgeben, dann sage ich eher «Nein», wenn ein Deal unvorteilhaft ist. Und wenn wir so hochspezialisiert sind stellt sich doch die Frage, ob überhaupt jemand anders liefern kann.
Eine Firma muss sich also stets schnell umorientieren können?
Das Wichtigste ist, flexibel zu bleiben. Wie lange brauchen wir, um alles umzustricken? Als zweites ist wichtig, dafür die Liquidität verfügbar zu haben. Drittes bedeutet es, absolut innovativ zu sein und stets den Markt zu beobachten. Das bedeutet auch, dass ein Unternehmen sich nicht darauf ausruhen sollte, wenn es einen guten Deal gemacht hat. Auch wenn es fünf Jahre von dem Auftrag leben kann. Sobald wir einen tollen Deal gemacht haben, sollten wir disruptiv denken. Wir zerstören unser eigenen System quasi sofort selbst, indem wir innovativ agieren.
Der Mensch neigt allerdings dazu, sich bequem einzurichten. Wie kann ein Unternehmen sich davor schützen, ohne ständig Panik zu verbreiten?
Es geht nicht darum, sich ständig ängstlich umzuschauen. Es muss eher etwas sein wie ein Hunger nach Selbstaktualisierung. Das ist wie mit Mode: Was heute auf den Laufsteg kommt, ist morgen unmodern. Und so wie die Mode früher zwei Saisons hatte, hat sie heute fünf Saisons. Und es ist möglich, dass jemandem nächstes Jahr in den Kopf kommt, dass es acht sein sollten. Dann ist das so.
Welche Strategien empfehlen Sie, wenn sich der Markt ändert?
Ein Unternehmen kann hergehen und sagen: Wir bedienen das. Wir haben die innovative Kraft, so viele Kollektionen zu liefern. Oder wir sind disruptiv, gehen komplett gegen den Markt und sagen: Wir bringen nur noch zwei Saisons raus. Das kann dann auch wieder ein cooler Effekt sein. Wichtig ist dabei allerdings, es durchzuziehen. Es ist eine Kardinalsünde zu sagen, ach, jetzt machen wir doch noch ein bisschen davon... Das funktioniert nicht. Es ist wichtig, wirklich klar und hart bei der Positionierung zu bleiben, um sich zu etablieren. Sobald ich anfange, so einen Gemischtwarenladen aufzuziehen, bin ich nicht mehr im Expertentum. Dann werde ich nicht das volle Potenzial des Marktes ausschöpfen. Dann habe ich Stress, Stress macht blöd und dann treffe ich blöde Entscheidungen statt strategischen.
Oft greifen Firmen zu ähnlichen Rezepten, um sich plötzlichen Entwicklungen zu stellen. So wie viele Schweizer Industrieunternehmen nach dem Ende des Mindestkurses Arbeitsplätze ins Ausland verlegt haben. Hätten sich die Firmen einfach besser aufstellen müssen?
Jein. Ja, man kann das machen, wenn man im Dienstleistungs- und Wissensbereich ist, weil die Margen ganz anders ausschauen. Da müssen wir auch fair bleiben. Wir haben im Maschinenbau teilweise Margen von lediglich 1,5 bis 4 Prozent. Wenn dann die Produktionskosten auf einen Schlag um 20 Prozent steigen, geht das nicht. Die Firmen würden sich quasi selbst verstoffwechseln, wenn sie ihren alten Kurs beibehalten. Die Verlagerungen von Arbeitsplätzen ins Ausland ist erstmal ein schneller, effektiver Schritt, um zu überleben. Das Problem ist nur – halten wir dabei auch die Qualität und die Markenkonstanz? Wenn der Kunde «Made in Switzerland» kauft, dann will er das auch gewährleistet sehen.
Eine Massnahme hilft also kurzfristig, schadet aber langfristig?
Die Frage ist, was schadet uns auf lange Sicht mehr? Ich erlebe es bei vielen Managern, dass oft die Angst siegt. Aber die Angst kein guter Ratgeber. Wichtiger ist vielmehr, an sich selbst zu glauben und an die Qualität des Produktes. Und dann im Zweifel die Erhöhung der Produktionskosten an den Kunden weiterzugeben, auch wenn es 20 Prozent sind. Da brechen sicher viele Abnehmer weg, aber es kann aber auch zu einer guten Bereinigung führen, um anschliessend in ein nochmal höheres Segment zu kommen. Die Schweizer bewegen sich ohnehin in einem hohen Segment, und trotzdem bestehen die Firmen dort.
Wie kann eine Firma ihr Alleinstellungsmerkmal finden?
Es gibt zum Beispiel ein Klinikum im Norden Deutschlands. Das ist ein ur-katholisches Haus, Ordensschwestern pflegen die Patienten, der vorherige Papst war mal zu Besuch. Also ein Megapotenzial, das aber nicht ausgespielt wird. Dort fehlt es an Fachkräften, also an Ärzten und Pflegepersonal. Da würde ich jetzt sagen: Wenn es ein urkatholisches Haus ist, dann verstehe ich nicht, warum ich das nicht auf jedem Meter sehe. Ich würde einen Pappaufsteller vom Papst in die Lobby stellen. In den Fluren würden Heilige und Bibelsprüche hängen. Und es würde per SMS oder Whatsapp morgens, mittags und abends ein Gebet versendet werden. Wer das nicht mag, kann es ja abbestellen. Das ist ein Brand, dann ist das Klinikum nicht länger eines von vielen.
Was ist der Vorteil?
Es gibt so viele stark katholisch Gläubige, die bis dahin pilgern würden. Dann wäre es auch kein Problem mehr mit den Fachkräften. Es gibt viele sehr katholische Ärzte oder Pflegekräfte, die sagen würden: Das ist der richtige Ort für mich. Das ist das Wesentliche: Warum treten wir an? Was ist der eigentliche Beweggrund? Den immer präsent zu haben und zu kommunizieren, das macht Stärke aus. So entsteht eine Unverwechselbarkeit. Dann gibt es nicht länger nur Kunden, die man jedes Mal neu akquirieren muss, sondern dann gibt es Fans, so wie bei Apple. Bei Apple gibt’s ein klares «Why», das auch klar kommuniziert ist. Und das kann jedes Unternehmen in jeder Branche machen.
Apple ist aber auch ein Beispiel für eine Marke, wo der Enthusiasmus schwindet. Ein wenig entsteht der Eindruck: Apple hat mit dem iPhone diesen gigantischen Erfolg gefeiert und jetzt kommt die grosse Leere.
Nicht die Leere, keine Sorge. Apple hat sicher genug in der Schublade für zwei Generationen. Aber Steve Jobs, die Galionsfigur, ist weg. Apple war sehr um den Narzissten Jobs herum aufgebaut. Die grösste Stärke ist auch schnell die grösste Schwäche. Die Marke Apple ist von der Qualität der Produkte nicht besser und nicht schlechter geworden. Aber die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat sich verändert.
Eigentlich könnte doch gerade Apple das machen, was Sie vorhin beschrieben haben: aus der Ruhe agieren.
Ich traue es Apple zu. Das Unternehmen sitzt nicht nur auf einem Riesenberg an Cash, sondern auch auf gigantisch viel Umsatz. Das würde sich manch kleines Land als Bruttosozialprodukt wünschen. Es kann gut sein, dass Apple-Chef Tim Cook ganz leise und sachte etwas von hinten herum aufbaut, und wums, ist das Ding plötzlich da. Das Streamen von Filmen und die Apple-Cloud sind Megabereiche, die bisher noch weitgehend unter dem Radar fliegen, weil alle darauf schauen, wie viele Geräte Apple verkauft.
*Suzanne Grieger-Langer ist Wirtschaftsprofilerin, Gründerin und CEO der Grieger-Langer Gruppe mit rund 150 Beschäftigen weltweit. Ausserdem ist sie Autorin und Dozentin der Wirtschaftsuniversität Wien und unterrichtet neben anderen an der Frankfurt School of Finance und Managenent. Ihre Erkenntnisse vermittelt sie auch als Speaker, zum Beispiel am Alpensymposium in Interlaken.
Suzanne Grieger-Langer erklärt «007 statt 0815»: