Einst wurden sie als Helden der Nation gefeiert: Fredy Glanzmann holte 1988 mit seiner Mannschaft bei den Olympischen Winterspielen in Calgary Silber in der Nordischen Kombination, Evelyne Leu gewann bei den Olympischen Winterspielen 2006 in der Skiakrobatik Aerials die Goldmedaille – und der Curler Markus Eggler errang sowohl 2002 als auch 2010 OlympiaBronze.
Für einen kurzen Moment gehörten diese Schweizer zu den besten Sportlern ihrer Disziplin weltweit. Sie standen auf dem Treppchen und wurden für ihre Leistung bewundert. Doch so gross und unerreichbar diese Erfolge auch scheinen, für Leistungssportler sind sie nur von kurzer Dauer.
«Irgendwann ist Schluss»
Denn nahezu jeder Schweizer Olympionike, Roger Federer vielleicht ausgenommen, weiss: Er kann sein Leben mit dem Sport nicht dauerhaft finanzieren. «Irgendwann ist für jeden Athleten Schluss», konstatiert Hanspeter Gubelmann, Fachpsychologe für Sportpsychologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.
«Im Optimalfall entscheidet der Athlet selbstständig, wann für ihn der passende Zeitpunkt zum Rücktritt ist. Für die anderen gilt: Sie gehören irgendwann zum alten Eisen, ihre Leistung ist nicht mehr ausreichend oder sie verletzen sich.» Dann brauchen die Athleten einen Plan B. Viele machen sich selbstständig: Der ehemalige Nordische Kombinierer Glanzmann führt heute einen Sportfachhandel und eine Skilanglauf-Schule in Stalden OW am Glaubenberg. Der Curler Markus Eggler managt die Druckerei Gantenbein in Birsfelden BL.
Plan B für Athleten
Viele Spitzensportler hätten durchaus das Zeug dazu, noch viel mehr Verantwortung zu übernehmen. Das zumindest legt die Studie «Kollege Spitzensportler» der deutschen EBS Universität in Wiesbaden nahe. Die deutschen Forscher empfehlen TopAthleten insbesondere für das Management von Grossunternehmen. «Mit dem beschriebenen Persönlichkeitsprofil sind Spitzensportler Studenten einer TopUniversität ähnlich», urteilen die Macher der Studie.
Das Internationale Olympische Komitee nennt typische Soft Skills von Profi-Athleten: Die Fähigkeit, unter Leistungsdruck zu arbeiten, Organisationstalent, Zielstrebigkeit und Selbstmotivation. All das sind Fähigkeiten, wie sie auch im Stellengesuch für einen Managerjob stehen könnten.
Jahrelang trainieren sie tagein, tagaus
Sportler opfern viel, um ihren Traum wahr werden zu lassen, zu den Besten der Welt zu gehören. Jahrelang trainieren sie tagein, tagaus. Wer es an die Spitze schafft, hat Biss bewiesen. Das prägt Sportler für den Rest des Lebens – und könnte sie als Spitzenkräfte auch für die Wirtschaft emp fehlen. Doch Soft Skills hin oder her: Wenn sich Athleten nach der Lebensschule Sport in der Wirtschaft bewerben, sind sie nicht nur 10 bis 15 Jahre älter als ihre Konkurrenten frisch von der Uni.
Sie haben meist auch so viel Zeit mit Training verbracht, dass sie daneben eben kaum Praktika oder Nebenjobs machen konnten, um erste Berufserfahrungen zu sammeln. Es fehlen ihnen die fachlichen Grundlagen, die Hard Skills, die Manager genauso benötigen, um ein Unternehmen zu steuern.
Chance wird überschätzt
Sportpsychologe Jan Rauch von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften weiss, dass viele Athleten sehr auf ihren Sport fixiert sind: «Neben dem Sport einen Plan B zu haben, also eine Ausbildung oder Lehre, und einfach auch weitere Interessen zu verfolgen, erhöht die Chancen massiv, den Übergang in den nachsportlichen Bereich erfolgreich zu gestalten.» Rauch berichtet von einer noch nicht veröffentlichten grossen Studie, die er mit seinem Team unter den Jugendmannschaften des Fussballclubs FC Zürich und des EishockeyVereins ZSC Lions durchgeführt hat. Das Ergebnis: Drei Viertel der Befragten gingen davon aus, sich in Zukunft komplett über den Sport finanzieren zu können.
«Der allergrösste Teil überschätzte die Chancen, mit dem Sport Geld zu verdienen, masslos», sagt Rauch. «Nur ein Bruchteil von ihnen wird es schaffen, mit dem Sport ihren Unterhalt zu bestreiten. Wenn Spitzensportler davon ausgehen, dass der Sport ihr einziger Weg ist, verpassen sie die Chance, sich nebenbei weiterzubilden.»
Eine Mammutaufgabe
Das Pauken neben dem Leistungssport ist für viele Sportler schliesslich auch eine Mammutaufgabe. Zwei Trainingseinheiten pro Tag sind keine Seltenheit, Pausen gibt es kaum. Addiert man die Stunden von Training und Ausbildung, dann kommen Spitzensportler leicht auf das Arbeitspensum eines Konzernchefs. So lassen viele Athleten Ausbildung und Studium schleifen, brauchen statistisch deutlich länger zur Matura, zum Ausbildungsabschluss oder Bachelor-Zertifikat.
Hinzu kommt, dass es für Sportler in der Regel eine verführerische Alternative gibt: Sie können oft als Trainer, TalentScout oder Funktionär im Sportbetrieb weitermachen.
Neue Brücken
Karin Wunderlin-Rauber, Leiterin des Athleten und Karrieresupports beim Schweizer Sport-Dachverband Swiss Olympic, will nun eine Brücke zwischen Sport und Wirtschaft schlagen. Unternehmer sollen erkennen, wie viel Managerpotenzial in vielen Athleten steckt. Und die Sportler sollen es leichter haben, sich die nötigen Hard Skills anzueignen. «Wir kooperieren bereits mit Lehrbetrieben, die Athleten eine sportfreundliche Ausbildung ermöglichen.»
Die Betriebe erlauben es Athleten zum Beispiel, später zur Arbeit zu kommen, damit sie davor noch trainieren können. Im Nachbarland Deutschland gibt es solche Modelle schon für Berufseinsteiger. Dort werden Top Athleten mit handverlesenen Unternehmen zusammengeführt, damit diese den Sportlern BusinessKnowhow beibringen. Die Unternehmen profitieren im Austausch von den ausgeprägten Soft Skills der Spitzensportler.
«Mit einem ähnlichen Programm wollen wir noch in diesem Jahr in der Schweiz starten», sagt WunderlinRauber. «Jetzt suchen wir nach Schweizer Arbeitgebern, die sich so ein Programm für Berufseinsteiger aus dem Leistungssport vorstellen können.»