Plötzlich ist das Gerücht da. Der Vorgesetzte soll die Gunst der Unternehmensführung verloren haben – seine Absetzung sei nur mehr eine Frage der Zeit. Doch was ist wahr? Das weiss bisher niemand. Sicher ist nur: Die Nachfolger scharren bereits in den Startlöchern. Solch eine Situation kann Mitarbeiter stark verunsichern. Wem gegenüber müssen sie jetzt noch loyal sein? Wie bringen sie sich selbst am besten in Stellung, um bei einer Neubesetzung der Chefposition nicht plötzlich selbst auf der Abschussliste zu stehen?
Die Situation ist besonders deshalb schwierig, weil Führungspersonen sie oft nicht lösen wollen oder lösen können. Die eventuell absetzungsgefährdete Person wird sich um anderes kümmern müssen, noch höher angesiedelte Führungskräfte wissen entweder nichts von einem falschen Gerücht oder sind selbst schuld an der destabilisierenden Information. Es entsteht ein fatales und schädliches Vakuum. Welche Handlungsoptionen haben die Mitarbeiter also?
Kein Aktionismus
Die Karriereberaterin Anne Forster rät Mitarbeitern vor Aktionismus ab, wenn sich Gerüchte über eine bevorstehende Entmachtung des Vorgesetzten ausbreiten: «Es gilt zunächst einmal, einen kühlen Kopf zu bewahren. Vorschnelle Reaktionen wie das Führen von Gesprächen mit vermeintlichen Nachfolgern oder nächst-höheren Vorgesetzten sollten wohl überlegt sein, wenn sich die eigenen Vermutungen lediglich auf den Flurfunk oder auf die einen oder anderen Ausschitte eines Telefonats beziehen.»
Wenn sich das Gerücht hartnäckig hält, raten die befragten Karriereberater dazu, das vertrauensvolle Gespräch mit dem Chef zu suchen, sofern es eine vertrauensvolle Kommunikationsbasis gibt. «Gleiches gilt, wenn es offiziell ist», erklärt Katja Unkel, Buchautorin und CEO der Firma Managing People. «Daher ist einer der Führungsgrundsätze auch, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen und vorhandenes Vertrauen nicht zu zerstören. Denn dann kann ich als Mitarbeiter auch solche Dinge ansprechen.»
Gerüchte aus der Welt schaffen
Zudem kann ein bevorstehender Absprung eines Chefs viele, auch wenig spektakuläre Gründe haben. Geht er, weil sich Dinge in seinem Leben geändert haben und er beispielsweise nicht mehr so viel reisen will, möchte er die Branche wechseln oder Luft im Ausland schnuppern? Oder hat er sich wirklich mit dem Verwaltungsrat verkracht oder fällt sogar einer Intrige zum Opfer?
Das Gerücht über die Absetzung sollte in jedem Fall so schnell wie möglich aus der Welt geschafft oder eben bestätigt werden, sei es vom betreffenden Vorgesetzten, dem Mitarbeiter oder auch von der Personalabteilung. Wenn sich das sogenannte «Lame Duck»-Phänomen ausbreitet, also mehrere Führungspersonen im Unternehmen arbeiten, denen schon lange keiner mehr Durchsetzungsfähigkeit zutraut, wirkt sich das sehr schädlich auf die Mitarbeitermotivation und letztendlich den Unternehmenserfolg aus.
Arbeitsrechtliche Pflichten
Eine Verantwortung liegt hier auch bei der Personalabteilung, die nicht völlig abgekoppelt von den Abteilungen sein sollte, sondern fähig sein muss, solchen Flurfunk aufzufangen und die betreffenden Vorgesetzten zu bitten, zu reagieren, wenn Gerüchte sich zu dominanten Gesprächsthemen ausgebreitet haben. Oft bleibt den HR-Chefs aber nur mehr die Aufgabe, einen Rausschmiss zu vollziehen – ist die Abteilung zu klein oder eben zu wenig im Unternehmen verwurzelt, bekommt sie von den Gerüchten überhaupt nichts mit –, was umso fataler ist.
Bei all den Fragen zur Loyalität gilt es aber auch, rechtliche Grenzen zu beachten, denen Mitarbeiter unterworfen sind, auch wenn die Absetzung des Vorgesetzten im Raum steht. Und hier kann es durchaus zu einem Dilemma kommen. Der Zürcher Berater Peter A. Vollenweider, der früher auch als Jurist tätig war, erklärt: «Mitarbeiter stehen ihrem Arbeitgeber, also dem Unternehmen und nicht dem Vorgesetzten gegenüber, unter den bekannten arbeitsrechtlichen Pflichten.» Dazu gehöre die Pflicht zur Arbeitsleistung, die Treuepflicht, die Geheimhaltungspflicht und auch die Befolgungspflicht. In diesem rechtlichen Verhältnis zwischen Unternehmen, Chef und Arbeitnehmer kann es zu Problemen kommen, wenn der Vorgesetzte, der vor der Absetzung steht, noch grössere Projekte anstösst, die nicht so einfach rückgängig zu machen sind.
Mitten im Loyalitätskonflikt
«Mithin ist der Arbeitnehmer verpflichtet, allen Direktiven zu folgen, welche die Wahrung berechtigter Interessen des Arbeitgebers bezwecken. Hier sehe ich mögliche Dilemmas, wenn der vor der Absetzung oder Kündigung stehende Chef noch weitreichende Weisungen erteilt oder Projekte lanciert. An sich wäre die nächsthöhere Hierarchiestufe zu konsultieren, doch das ist nicht immer so einfach», erläutert Vollenweider.
Ein Mitarbeiter, der sich diesen Direktiven widersetzt, kommt in einen Loyalitätskonflikt mit der Führungsperson. Wann eine im Raum stehende Absetzung, die sich vielleicht nur von Gerüchten nährt, dann auch wirklich vollzogen wird, ist meistens unabsehbar, wenn sie denn überhaupt stattfindet. Daher tut der Mitarbeiter gut daran, sich nicht besonders zu exponieren und sich in rechtliche Loyalitätskonflikte zu verstricken. Die Verantwortung für mögliche Schäden, die der Firma entstehen, liegen im schlecht geplanten Übergang und in einem Führungsvakuum, das die Führungsspitze des Unternehmens selbst zu verantworten hat.