Was hat die Steigerung der Absatzzahlen von Milkshakes bei McDonald’s mit einer glücklichen Ehe zu tun? Mehr, als man denken mag. Das findet zumindest der US-amerikanische Management-Guru und Harvard-Professor Clayton Christensen. In seinem neuen Buch «How will you measure your life» zieht der 60-Jährige gängige Managementtheorien zurate, um Erfolgsmenschen zu einem glücklicheren Leben zu verhelfen.
Christensens neuer Bestseller in den USA kommt nicht aus heiterem Himmel. Lange Jahre feierte er Erfolge mit kalten Managementtheorien, die oft ungewollte Bewegung in das Leben vieler Menschen brachten. Nicht umsonst verlieh ihm ein Unternehmen einen überlebensgrossen Hammer als Auszeichnung für seine Lehren. Der nimmt heute einen Ehrenplatz auf der Fensterbank in Christensens Büro in der Harvard-Universität bei Boston ein.
Am bekanntesten ist Christensen für seine Thesen von der «zerstörerischen Innovation» – das Gute werde immer von etwas Besserem oder zumindest Billigerem abgelöst. Christensen sei Dank, wenn ein Unternehmen wie Intel sich aus lauter Angst vor Konkurrenten selbst seine funktionierenden Geschäftsmodelle zerstört, indem es billigere Produkte anbietet. Seine Lehre bereut Christensen übrigens nicht – nur die Namenswahl. «Hätte ich gewusst, wie negativ das englische Wort ‹disruptive› aufgefasst wird, hätte ich ein anderes gewählt», sagt er.
Die Farbe Lila
Dann änderte sich alles. Innerhalb von drei Jahren ereilten ihn drei beinahe tödlichen Vorfälle: Herzinfarkt, Krebs und zuletzt ein Schlaganfall, der sein Sprachzentrum zerstört. «Ich, der vom Reden und Schreiben lebt, konnte kein Wort mehr formulieren», erinnert er sich an seine dunkelsten Stunden. Seine Frau fragte ihn auf Spaziergängen, welche Farbe die Blumen am Wegrand hatten, und er konnte das Wort Lila nicht formulieren. Zwei Jahre kämpfte er, um seine Wörter wiederzufinden. Mit seiner fünfjährigen Enkeltochter zusammen hörte Christensen Rosetta-Stone-CD zum Englischlernen an – die Kleine ist bei den Übungen stets besser. Dann hielt er eine bewegende Rede über das Finden des Lebensglücks vor einer Absolventenklasse der Harvard Business School. Und schon war die Idee für ein neues Buch geboren.
«Bei meinen Ehemaligentreffen ist mir immer wieder aufgefallen, wie viele meiner hocherfolgreichen Kommilitonen im Privatleben gescheitert sind», nennt Christensen die tieferliegende Motivation für sein Buch. Einer seiner Studienkollegen war Jeff Skilling, der gerade 24 Jahre im Gefängnis absitzt wegen seines Bilanzbetrugs beim gescheiterten Energiekonzern Enron. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Männer, die zum dritten Mal geschieden sind, die keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern oder wegen Affären mit Teenagern alles verloren haben – all diese Fälle gibt es unter Christensens ehemaligen Studienkollegen von Harvard.
«Skilling war ein guter Mann, vielleicht ein bisschen arrogant», sagt Christensen, «der hat sich mit Sicherheit nie bewusst entschieden, einen grossen Bilanzbetrug hinzulegen.» Hier führt Christensen die ökonomische Lehre von den Grenzkosten an – einmal ein bisschen schummeln kann doch nicht so schlimm sein. Und wenn die erste Hemmschwelle überschritten ist, ohne dass es auffällt, wagt man schliesslich stets ein klein bisschen mehr. «Plötzlich häufen sich all die kleinen Vergehen zu einem grossen Betrug.»
Vor allem aber denkt Christensen, dass Amerikaner dem Geldverdienen zu grosse Wichtigkeit bei der Jobsuche beimessen. Andere Kriterien, wie Freude an der Arbeit, Motivation oder Erfüllung, werden fälschlicherweise untergeordnet. «Nur für die Vergangenheit gibt es empirische Daten zur Entscheidungshilfe», betont er. «Wenn man sich einen Beruf aussucht, braucht man wahre Prinzipien, auf die man seine Entscheidungen aufbaut.» Geld sei zu einer überschätzten Messlatte für Erfolg im Leben geworden. Wer erstmals einen hochbezahlten Job annehme mit dem Ziel, erst Jahre später in seinen Traumjob zu wechseln, bleibe schnell gefangen. «Man gewöhnt sich an den Lebensstandard, passt seine Ausgaben entsprechend an und kommt dann nicht mehr davon weg.»
Prioritätenlisten aufschreiben
Christensen rät allen, ihre Prioritätenlisten, die sie im Job ganz mühelos herunterbeten können, auch für ihr Leben aufzuschreiben. Und dann ihre Zeit auch wirklich entsprechend aufzuteilen. «Viele denken, dass sie 100-Stunden-Wochen arbeiten, um für ihre Familie zu sorgen. Dabei vergessen sie, dass sie gar keine Beziehungen zu denen aufbauen, die ihnen am wichtigsten sind: Ihren Kindern.»
Dabei ist Christensen selbst ein Workaholic – selbst nach seinen Gesundheitsproblemen arbeitet er weiterhin nicht nur als Professor und hält Vortragsreisen, sondern führt seine eigene Unternehmensberatung, seinen Venture-Capital-Fonds und berät seinen Sohn bei seinem Hedgefonds. «Ich habe immer meine Kinder in die Arbeit mit einbezogen. So bin ich ihnen nahe.» Er hat mit ihnen zusammen mormonischen Kirchgemeinden geholfen oder am Haus gearbeitet – sogar bei dem seines langjährigen Freunds und Nachbarn, des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Oder er hat mit seinen Kindern sein Haus renoviert. Beim Verputzen oder Anstreichen halfen alle fünf mit.
Selbst in seinen stressigsten Zeiten als Unternehmensberater bei Boston Consulting hat er um 18 Uhr seinen Schreibtisch verlassen, um mit seinen Kindern vor dem Dunkelwerden noch Fangen zu spielen. «Ich hatte Glück, dass ich immer an meinem Output und nie an meinem Input gemessen wurde», sagt Christensen. Er glaubt, dass Lebensfreude einen auch im Job produktiver macht.
Bisweilen ist Christensens Buch sehr eindringlich – gerade wenn es um die Kindererziehung geht, die seines Erachtens von vielen viel zu sehr ausgelagert wird. «Die Werte und die Weise, wie man Entscheidungen trifft, werden einem von zu Hause mitgegeben. Verbringen die Eltern nicht viel Zeit mit den Kindern, geht etwas Wesentliches verloren.» Der Autor schildert, dass das der Grund sei, warum die meisten Chefs nicht etwa von Harvard oder anderen Ivy-League-Schulen kämen, sondern von No-Name-Universitäten. «Die kommen vielleicht nicht aus einer reichen Familie, haben aber Lebenserfahrung gesammelt und sich von ihren Eltern Erfolgsstrategien abschauen können.»
Die Idee mit den Milkshakes
Als überzeugter Mormone ist Christensen auch in seinen Familientraditionen bewusst traditionell aufgestellt. Ganz gezielt suchte er sich als Co-Autoren James Allworth, einen ehemaligen australischen Studenten von ihm, der Atheist ist, sowie die Chefredaktorin des Prestige-Blattes «Harvard Business Review», Karen Dillon, die gemässigt religiös ist, um nicht vorschnell in die ultrakonservative religiöse Ecke gedrängt zu werden. Seine Lehren waren zumindest so überzeugend, dass er Karen Dillon in sein Lager hinüberzog.
Acht Monate nach der Veröffentlichung des Buches kündigte sie ihren Job – die Traumstelle für jeden amerikanischen Wirtschaftsjournalisten –, um zu Hause Vollzeit für ihre beiden kleinen Kinder da zu sein. «Ich bin stolz auf Karen», sagt Christensen, «sie hatte den Mut, das zu machen, was ihr nach meinem Modell zum Glück verhilft: Sich dem zu widmen, was ihr am wichtigsten ist.»
Ratschläge für das Glücklichsein
Natürlich hat Christensen auch seine Ratschläge für das Glücklichsein in der Ehe, und hier kommt der Milkshake von McDonald’s ins Spiel. Als Unternehmensberater gehörte Christensen einem Team an, das Wege finden sollte, die Verkaufszahlen für Milkshakes zu erhöhen. Veränderungen am Rezept, ihn süsser oder schokoladiger zu machen, hatten nicht gefruchtet. Durch Analysen hatte McDonald’s herausgefunden, dass die Milkshakes insbesondere in den frühen Morgenstunden verkauft wurden. «Wir mussten herausfinden, was Milkshakes morgens um 7 Uhr für einen Job für die Käufer erfüllten», erinnert sich Christensen. «Das war der Schlüssel zum Erfolg.»
Höchstpersönlich interviewte er die Kunden vor den Geschäften. «Sie wollten etwas Leckeres, das ihnen den Weg im Stau zur Arbeit versüsste.» Erst als er das herausfand, kam ihm die durchschlagende Idee: Selbstbedienungsautomaten aufzustellen, die den Milkshake-Einkauf schneller und einfacher machten.
Christensen rät auch Ehepartnern, sich stets zu fragen, welchen «Job» der andere von ihm gern erfüllt hätte. Das kann alles andere als naheliegend sein. Er erinnert sich an einen Nachbarn, der abends von der Arbeit nach Hause zu seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern kam. Das Frühstücksgeschirr stand noch auf dem Tisch, und er begann, es sofort wegzuräumen. Seine Frau aber verzog sich wütend ins Schlafzimmer, weil sie sich dadurch kritisiert fühlte. Später ging dem Nachbarn das Licht erst auf. Sie hätte sich mehr gefreut, wenn er sie nach ihrem Tag gefragt und ihr für eine Weile die Kinder abgenommen hätte, welche sie so in Beschlag genommen hatten, dass selbst für die grundlegendsten Hausarbeiten keine Zeit geblieben war. «Ein typischer Fall von jemandem, der nicht verstanden hat, für welchen Job er da ist», lächelt Christensen. «Das wäre einem Unternehmensberater, der seine Jobstrategien auch im Privatleben anwendet, nicht passiert.»
Ratschläge von Christensen: Privates nicht auslagern
Tipps Clayton Christensens Ratschläge für ein glücklicheres Leben lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Experimentiere mit Berufen, bis Du findest, was Dich wirklich glücklich macht. Lasse Dich nicht nur vom Geldverdienen leiten.
- Denke über Deine Lebensstrategie nach und verteile Deine Ressourcen Zeit, Geld und Energie entsprechend Deinen Prioritäten.
- Pflege Deine Freundschaften, die Dich Dein Leben lang begleiten sollen.
- Verstehe, was die Menschen, die Du liebst, von Dir wollen, und setze Dich dafür ein.
- Outsource Deine Kinder nicht – beschäftige Dich viel mit ihnen. Stelle ihnen schwierige Probleme und vermittle ihnen Deine Werte.
- Vermeide Grenzkosten-Denken, das Dich auf einen moralisch minderwertigen Weg bringen könnte.
Das Buch «How will you measure your life» ist bisher nur auf Englisch im Harper-Collins-Verlag erschienen.