Einen 50-Franken-Kinogutschein für jeden, der sich impfen lässt. Diese Aktion lässt sich Bundesrat Alain Berset 150 Millionen Franken kosten. Seine Überlegung: Mit einer kleinen Belohnung motiviert man Leute, die keine Impfgegner sind, zur Verhaltensänderung. Und der Kulturminister, zufällig auch Alain Berset, kann Kinos finanziell unterstützen.

Der Plan dürfte bei jüngerem Publikum aufgehen. Ein klassisches Feld der Verhaltensökonomen. Die Frage ist allerdings: Warum beseitigt Berset nicht das Hauptproblem in der Pandemiebekämpfung – den chronischen Mangel an Intensivpflegepersonal? Oder anders gefragt: Würde Berset die 150 Millionen nicht besser den Pflegerinnen und Pflegern der Intensivstationen (IPS) zustecken?

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Steigt der Lohn, so steigt die Nachfrage nach einem Beruf. Das Mass heisst Lohnelastizität. Die Frage im Beispiel des Pflegepersonals wäre: Wie stark steigt die Nachfrage nach einer IPS-Ausbildung, wenn der Monatslohn um 500, 1000 oder 2000 Franken bei gleicher Arbeit steigt?

Dicke Berichte, doch keine Daten zur Lohnelastizität

Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Nicht bei den Kantonen, nicht beim Bund, nicht bei Fachhochschulen und Unis und auch nicht bei Gesundheitsökonomen. Das ist bemerkenswert, denn die knappen IPS-Ressourcen verursachen drastische Eingriffe in der Wirtschaft und Gesellschaft.

Selbst die bestdokumentierte Stelle, das Schweizerische Gesundheitsobservatorium, hat keine Daten dazu, weder zu den individuellen Löhnen noch zur Definition der IPS-Pflege. Man weiss nicht einmal, wie viele Personen in der IPS-Pflege arbeiten. Bund und Kantone also tappen im Dunkeln. Im jüngsten Bericht zum Gesundheitspersonal, 118 Seiten stark, steht ein einziger Satz dazu: «Es lohnt sich, klare Lohnstrukturen zu schaffen, welche sowohl die Vorbildung und wie auch die Berufserfahrung angemessen berücksichtigen.»

Einzig die Erhöhung der Ausbildungslöhne steht zur Debatte. Das Problem: Den Bericht verantworten die Kantone. Und sie haben als Subventionsträger wohl kein Interesse daran, dass Lohnerhöhungen zum Thema werden.

Eine deutsche Studie von 2013 hat dies gemacht. Ihre Aussage: Erhöht man in Deutschland den Lohn für Pflegerinnen um 10 Prozent, dann steigt die Zahl der Anwärterinnen um 1,8 Prozent. Dies liegt wohl auch an den tiefen Löhnen. In Deutschland verdiente eine Pflegerin im Schnitt 14 Euro pro Stunde. Man müsste diesen Stundensatz auf 30 bis 49 Euro erhöhen, um den Personalbedarf deutscher Spitäler zu decken. Dies bedeutet mindestens eine Verdoppelung des Arbeitsentgelts. Ein Studienfazit war denn auch, dass «derartige Lohnsteigerungen politisch wie gesellschaftlich schwer vorstellbar erscheinen».

Weiche Faktoren wichtiger?

Für die Schweiz weiss man es nicht. Heute verdienen diplomierte Spitalpflegerinnen und -pfleger im Schnitt rund 7400 Franken brutto. Das sind 840 Franken mehr als der Schweizer Medianlohn. Nach zwanzig Dienstjahren steigt der Lohn auf 8700 Franken brutto. Und dennoch gibt es viele Aussteiger ab dem Alter von dreissig Jahren. Höchste Zeit also für Lohnerhöhungen?

Wir wissen es nicht. Lieber analysiert man beim Bund und den Kantonen weiche Faktoren. Eine Studie des genannten Observatoriums von 2016 nennt als Hauptproblem der vielen Berufsabgänge die folgenden Gründe: «mangelnde Identifikation mit dem Pflegeberuf, zu wenig Zeit für das Privatleben, ungenügende Unterstützung durch Vorgesetzte und der Wunsch, eine Aus- oder Weiterbildung» zu absolvieren. Da versuchen der Bund, die Spitäler und die Kantone anzusetzen. Ob dies genügt?

Fast alle Corona-Massnahmen, Shutdown, Zertifikatepflicht, werden vom Gesundheitsminister Berset mit einem Mangel an IPS-Betten begründet, beziehungsweise mit einem Mangel an Pflegepersonal. Dennoch sind Lohnerhöhungen ein Tabu. Dies muss sich ändern, denn wahrscheinlich wäre es billiger, die IPS-Löhne zu erhöhen, als die Corona-Schäden der Wirtschaft, des Staates und der Gesellschaft in Milliardenhöhe zu tragen.