Die idyllische Landschaft ist beeindruckend, Weinberge, so weit das Auge reicht. So ruhig, wie es den Anschein macht, ist es in der Champagne aber nicht. Hinter dieser beschaulichen Kulisse ist mächtig was los. Nicht nur im Weinberg finden Entwicklungen und Veränderungen statt. In der Champagne arbeiten mehr als 16'000 Winzerinnen und Winzer in 280'000 Parzellen. Diese befinden sich in 319 Gemeinden auf einer Gesamtfläche von 34'300 Hektar. Seit dem 4. Juli 2015 gehört die Champagne zum Unesco-Weltkulturerbe. Der Prozess dahin hat knapp sieben Jahre gedauert, für die Region ein normaler Zyklus, denn Zeit nehmen sich die Menschen in der Champagne immer. Auch in den Cuveries und in den Kellern wird mächtig gearbeitet und experimentiert, schliesslich sollen die Produkte auch zukünftig der gesamten Welt schmecken. Die Erderwärmung bringt derzeit noch viele Vorteile in die nördlichste französische Weinregion: Die Ernte kann früher stattfinden, das Aroma der Trauben ist kräftiger und die Erträge sind meistens sehr hoch. 2024 war diesbezüglich ein untypisches Jahr; viel Regen und wenig Sonne gab es diesmal. Die Ernte fand erst Ende September statt, so spät wie schon lange nicht mehr. Neben der hohen Feuchtigkeit waren auch der Mehltau und die Stürme grosse Probleme in der Region. All diese Faktoren hatten eine zu geringe Traubenausbeute zur Folge. Die veränderten Voraussetzungen führen dazu, dass in der Region vor einiger Zeit begonnen wurde, pilzwiderstandsfähige Traubensorten zu entwickeln – kurz «Piwi». Frankreich ist als Weinnation in diesem Punkt sehr zurückhaltend und hat erst 2018 die vier Piwi-Rebsorten Artaban, Vidoc, Floréal und Voltis in den Sortenkatalog aufgenommen. Seit 2021 ist Voltis in der Champagne für einen Testbetrieb von mindestens zehn Jahren zugelassen und darf maximal 5 Prozent der Rebenanbaufläche eines Winzers ausmachen. Erste Cuvées mit Voltis und Chardonnay wurden vor kurzem im Rahmen eines grossen Panels verkostet, Assemblagen mit Pinot noir oder Meunier stehen noch aus. Bis zum Genuss des ersten Voltis-Champagners wird es aber noch etwas dauern. Die Winzerinnen reagieren noch sehr zurückhaltend auf diese Sorte.
Champagnerexperte: «Stärker mit dem Essen verbinden»
Die klassischen Rebsorten
Die drei grossen Sorten sind Pinot noir (38 Prozent), (Pinot) Meunier (31 Prozent) und Chardonnay (30 Prozent). Sie machen zusammen rund 99 Prozent der angebauten Reben aus, die anderen vier zusammen machen das letzte Prozent aus. Einige junge Winzer beginnen damit, wieder Arbane, Petit Meslier, Pinot blanc und Pinot gris zu kultivieren. Sie wollen die kleinen Traubensorten der Region wieder vermehrt in Cuvées einbinden oder sogar einzeln ausbauen. Doch im Weinberg bleibt es nicht nur wegen der Traubenfrage auch in den nächsten Jahren spannend.
Louis Roederer ist der grösste Bioproduzent
Den Trend des Bioanbaus gibt es schon länger in der Region, aber die mit Abstand grösste Fläche betreibt Champagne Louis Roederer mit 150 von 240 Hektar. Nicht jede Region in der Champagne eigne sich für den biologischen oder biodynamischen Weinbau, sagt Jean-Baptiste Lécaillon, Kellermeister des Champagnerhauses. Lécaillon ist in der Champagne für seinen Mut und seine Hartnäckigkeit bekannt. Er überzeugte in jungen Jahren den Vater von Frédéric Rouzaud, Jean-Claude, davon, auf biologischen Weinbau zu setzen. Frédéric führt heute bereits in siebter Generation die Geschicke der Gruppe, die zwölf Weingüter rund um den Globus bewirtschaftet. Lécaillon ist weintechnisch für alle Weingüter verantwortlich und setzt für jedes die eigens entwickelte Strategie mit dem jeweiligen lokalen Team um. Bei Champagne Louis Roederer ist bio ein wichtiger Pfeiler. Der damalige junge Kellermeister Lécaillon sprach bei Jean-Claude Rouzaud vor und schlug ihm vor, auf biologischen Weinbau zu setzen. Die Antwort von Frédérics Vaters überraschte, denn dieser meinte, dass er bisher nicht den Mut gehabt habe, und er wünschte Lécaillon viel Erfolg mit dem Vorgehen. Inzwischen werden bereits über 60 Prozent der eigenen Weinberge biologisch bearbeitet.
Das Revival des Holzes im Keller
Beim Besuch in der Tonnellerie de Champagne, dem Küfer der Region, stellt man fest, dass die Auftragsbücher gut gefüllt sind. Wer sich ein neues Holzfass herstellen lassen möchte, wartet seine Zeit. Wenn ein Baum ausgewählt und die Dauben für ein Fass zugeschnitten sind, trocknet man diese mindestens drei Jahre, bis das Fass fertiggestellt werden kann. Wer in die Cuverien der Champagne schaut, entdeckt wieder mehr Holzfässer, die schon in der ersten Vinifizierung Verwendung finden oder in den Vinotheken stehen. Weine, die während der ersten Vinifizierung im Holz reifen, entwickeln vermehrt oxidative Aromen, sind im Gaumen breiter, und die Holznoten entfalten sich schön, während Weine im Stahltank frischer und etwas spritziger daherkommen. Die jüngeren Kellermeisterinnen und Kellermeister mögen für ihre Assemblagen eine grössere Vielfalt an Möglichkeiten. So hat beispielsweise Dominique Demarville, Kellermeister von Champagne Lallier, beim Neubau der Cuverie 2 viel in grosse Holzfässer investiert. Diese werden bestimmt einen Einfluss auf die Stilistik der einzigen Champagnermarke von Campari haben. Beim französischen Release der neuen Produkte R.021 ist beim Brut eine feine Nuance oxidativer Aromen bereits in der Nase erkennbar. Ein wunderbares Produkt, das 2025 auch in der Schweiz lanciert wird.
Champagne Bollinger hat schon immer auf Holz vertraut, und die Weine des Hauses überzeugen von jeher mit tiefen und breiten Aromen, während die traditionsreiche Marke Champagne Lanson erst vor zehn Jahren im Rahmen eines grossen Investitionspakets einiges davon in Holz investierte. Der anschliessend angetretene Kellermeister Hervé Dantan liebt es, mit einer grossen Vinothek zu spielen. Er gibt gern sowohl Reserveweine aus Holz als auch aus dem Stahltank in seine Kompositionen, im Fachjargon Assemblagen. Aus seiner Feder stammt etwa die neue Rosé-Generation, die ebenfalls im neuen Jahr in der Schweiz erhältlich sein wird. Lanson verfolgt im Keller aber nicht nur klassische Elemente: Seit der Ernte 2018 gibt es auch einen biodynamischen Champagner mit einer bewegten Geschichte. Inzwischen werden etwa 16 Hektar komplett biodynamisch bewirtschaftet. Auch wenn der Weinberg nach Demeter-Kriterien bearbeitet wird, bedeutet das nicht, dass der Champagner wie Naturwein daherkommt. Die Aromenvielfalt mag ausgeprägter sein, aber der Champagner aus biodynamischem Anbau schmeckt wie Champagner. Für dieses bisher erste biodynamische Produkt hat Lanson mit Eugénie Gianoncelli im Jahr 2024 eine eigens für den nachhaltigen Weinbau verantwortliche Person eingestellt. Gianoncelli arbeitet eng mit Dantan, der diese Funktion bisher als Kellermeister ebenfalls ausgeführt und das erste Produkt auf den Markt gebracht hatte (Sie finden dieses als Empfehlung hier).
Während Lanson den biodynamischen Weinbau klar kommuniziert, gibt es bei einigen anderen grossen Häusern Bestrebungen in die gleiche Richtung. Nur mit der Öffentlichkeit mögen sie es noch nicht teilen. Wir können uns aber auf jeden Fall auf eine neue Produktgeneration freuen.
Auch in den Kellern kleinerer Hersteller wie Champagne Alexis steht immer mehr Holz. Hausherr Alexis Leconte hat seine eigene Champagnermarke Schritt für Schritt kreiert, nachdem er 2012 wieder ins familieneigene Haus eingestiegen ist. Inzwischen produziert er biodynamisch und verkauft jährlich 75'000 Flaschen unter Champagne Alexis. In seinem Keller steht das allererste Ei-Holzfass, genau genommen liegt es. In unterschiedlichen Produktionsstätten Frankreichs haben wir bereits stehende Ei-Holzfässer gesehen, so auch bei Maison Ferrand in der Cognac-Region. Alexis Leconte entgegnet auf die Frage, warum das Fass denn liege: «Haben Sie in der Natur einmal ein stehendes Ei gesehen?» Definitiv nicht. Dieses erste Fass ist aus einem Baum aus dem eigenen Waldstück der Familie entstanden. In den Gesprächen mit Jérôme Viard von der Tonnellerie de Champagne musste Leconte ihm gut zureden und Geduld haben, denn schliesslich können diese Fassform nur wenige Küfer in Europa erstellen, und ein liegendes Fass gab es noch nie. Viard hat mit seinem Team ein Meisterwerk geschaffen. Das Holz fürs nächste liegende Ei trocknet schon und wird wohl in fünf bis sechs Jahren zu einem Fass verarbeitet werden. Wenn Sie noch nie einen reinen Pinot-Meunier-Champagner verkostet haben, dann wird es höchste Zeit. Unter den Empfehlungen finden Sie einen von Champagne Alexis.
Frauen prägten und prägen die Champagne
In der Geschichte der Champagne gab es zwei grosse Frauen: Barbe-Nicole Ponsardin und Jeanne Alexandrine Louise Mélin. Beide prägen mit ihren Kellermeistern die Region bis heute – besser bekannt sind die Häuser als Veuve Clicquot und Champagne Pommery. Aus dem Keller von Veuve Clicquot stammen das Rüttelpult und der erste Rosé-Champagner, der durch Rotweinzugabe hergestellt wird. Derweil wurde bei Champagne Pommery vor 150 Jahren die Brut-Kategorie entwickelt, die heute in der Regel 80 Prozent der Verkäufe ausmacht.
Die aktuelle Generation von Kellermeisterinnen wächst stetig. So führt beispielsweise bei Krug Julie Cavil das Kommando über den Keller, bei Champagne Bruno Paillard ist es Alice Paillard und bei Charles Heidsieck Elise Losfelt. Auch bei vielen kleineren Marken tragen mit Elise Bougy, Pierrine Fresne oder bei Champagne André Jacquart mit Marie Doyard einige faszinierende Expertinnen eine grosse Verantwortung für viele der besten Champagner.
Empfehlungen
Diese Champagner schmecken besonders gut an Weihnachten. Ein wahres Fest!
Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der «Handelszeitung», erschienen (Dezember 2024).