Als am 29. April 1899 erstmals ein Auto über 100 Stundenkilometer schnell fuhr, wurde es von zwei Elektromotoren angetrieben. Im gleichen Jahr glänzte der Lohner-Porsche «Semper Vivus» mit zwei Radnabenmotoren und einer E-Reichweite von 50 Kilometern. Tatsächlich buhlten damals Elektrizität, Dampf und Benzin um die Vorherrschaft bei der individuellen Mobilität. Gewonnen hat bekannterweise der Verbrennungsmotor.
Die Suche nach Treibstoffalternativen wurde mit wachsendem Verkehrsaufkommen und knapper werdenden Ressourcen immer dringlicher. Ging es vor knapp 120 Jahren noch um Gewicht, Zuverlässigkeit, Alltagstauglichkeit sowie die Steigerung von Reichweite und Leistung, stehen inzwischen Emissionen und Nachhaltigkeit im Vordergrund. Dazu kamen neue technische Möglichkeiten, die eine emissionsfreie Zukunft versprachen.
Vor diesem Hintergrund erlebt der Elektroantrieb – auch das erste Auto auf dem Mond war 1971 mit Batterie unterwegs – seit einem Jahrzehnt eine Renaissance, will jeder Hersteller dabei sein: 2011 präsentierte sogar Rolls-Royce eine entsprechende Studie. Doch die Euphorie ist ins Stocken geraten: Moderne Elektroautos – aktuell werden in der Schweiz ein gutes Dutzend Modelle angeboten – sind nach wie vor vergleichsweise teuer, ihre Reichweite nimmt scheinbar kaum zu, und es gibt noch viele offene Fragen – etwa zum Lebenszyklus und Recycling der Batterien, die zwar ständig neu erfunden, aber nicht untereinander austauschbar sind. Zudem hapert es an einer praktikablen Ladestation-Infrastruktur.
Fehlende Prämien
Zwar gibt es seit 2012 normierte Schnellladestecker (Combined Charging System), doch noch immer werden E-Autos entweder mit Wechsel- oder mit Gleichstrom geladen. Auch existiert keine grenzübergreifende Politik: Während manche Länder wie Holland oder Norwegen E-Autos mit Millionen und Kaufprämien subventionieren, hält der Schweizer Bundesrat einen Masterplan zur Elektromobilität für unnötig. Begründung: Im Rahmen der Energiestrategie 2050 oder mit der Anpassung der CO2-Emissionsvorschriften für PWs sei bereits genug getan worden, dem elektrisch motorisierten Individualverkehr auf die Sprünge zu helfen; zudem kämen Prämien nur ausländischen Herstellern und nicht der Schweiz zugute.
Die Entwicklung gibt Bern recht: Im ersten Halbjahr 2015 wurden hierzulande 1862 Elektro- und 4324 Hybridfahrzeuge zugelassen, was einer Wachstumsrate von 44 Prozent entspricht – dem Bestwert seit 2010. Die Schweiz gehört damit zu den E-Auto-Musterstaaten, was auch daran liegt, dass Dieseltreibstoff nicht subventioniert wird und Käufer weniger auf deutsche Automarken fokussiert sind. Die hohe Dichte an Toyota-Hybriden oder an Tesla Model S unterstreicht das.
Ernüchterung in Deutschland
In Deutschland dagegen, wo die Elektromobilität massiv beworben wird und per Kanzlerin-Dekret bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge herumfahren sollen, macht sich Ernüchterung breit: Nur 4663 E-Autos fanden im ersten Halbjahr einen Käufer – rein rechnerisch hätten es über zwanzig Mal so viele sein müssen, um die Wunschziffer in den nächsten fünf Jahren zu schaffen.
Stattdessen nimmt die Wachstumsrate bei unseren nördlichen Nachbarn weiter ab und erreicht mit gerade mal 15 Prozent einen neuen Tiefstand. Branchenexperten prognostizieren bereits ein realistisches E-Aufkommen von nur noch 100'000 Fahrzeugen – inklusive Hybriden, die sich in den ersten sechs Monaten dieses Jahres über 16'000 Mal verkaufen liessen.
Umweltfreundliche Energiepolitik notwendig
Ein Grund der Zurückhaltung mag in der Nachhaltigkeitsdebatte zu finden sein. Denn zu «null Emissionen» gehört auch eine umweltfreundliche Energiepolitik. Mit Elektrizität aus Braunkohlekraftwerken wird das Problem nur verlagert; Ökostrom aus erneuerbaren Energien ist deshalb auf dem Vormarsch. Letztere werden inzwischen kritisch hinterfragt – Stichwort Ethanol aus Speisemais, das in der Öffentlichkeit durchgefallen ist. Dazu kommen Zweifel bezüglich Reichweite und Technologie – die Beschäftigung mit Lithium-Ionen-Batterien und ihren potenziellen Nachfolgern Lithium-Schwefel, Lithium-Luft oder gar der umstrittenen Flusszelle setzt nun mal Fachwissen voraus.
Überhaupt gewinnt der E-Anbieter, der potenziellen Käufern Sicherheit vermitteln kann: Nissan produziert den Kompaktwagen Leaf seit fünf Jahren optisch nahezu unverändert in Japan, dazu gekommen sind Produktionsorte in England und den USA (weitere Fabriken sind geplant) – und machte ihn so zum weltweit meistverkauften E-Auto. Dass der Listenpreis seit Modellstart um 25 Prozent gefallen und die Reichweite auf knapp 200 Kilometer gestiegen ist, hat sicher geholfen, und so soll es weitergehen: An der Frankfurter IAA präsentierten die Japaner ihre nächste Batterien-Generation, die mehr Leistung bei niedrigeren Anschaffungskosten verspricht.
Parallel wurde die E-Flotte der Schwestermarke Renault 2014 von vier auf drei Modelle ausgedünnt: Beim Stufenheck Fluence Z.E. setzten die Franzosen auf eine Kooperation mit dem nicht mehr existenten Unternehmen Better Place, das ein Netz von Batterieaustauschstationen aufbauen wollte.
Hybrid-Notlösung
Reichweite ist denn auch das grosse Thema, wenn es um die Verbreitung von Elektroautos geht. Solange es nicht genügend Ladestationen gibt, werden Hybride bevorzugt, die wahlweise mit Verbrennungsmotor weiterfahren können – und in Fachkreisen deswegen als Notlösung betrachtet werden. Um die Situation zu ändern, sind Kantone und Kommunen gefordert, aufzurüsten. Derzeit fungieren Hersteller wie Tesla als Impulsgeber und sichern sich die besten Standorte.
Die Schweiz weist nicht nur eine hohe E-Auto-Dichte auf, sondern hat auch innovative Entwicklungen geprägt wie Twike (seit 2002 in deutscher Hand) oder MonoTracer (ging Ende 2014 in Konkurs). Zu den eidgenössischen E-Pionieren gehört auch Josef Brusa: Nach einem DCDC-Wandler (1998) oder dem schnellsten Onboard-Ladegerät der Welt (2012) stellte sein gleichnamiges, 1985 gegründetes und in Sennwald SG ansässiges Elektronikunternehmen der Automobilindustrie kürzlich ein besonders kompaktes System für induktives (kabelloses) Laden vor.
Dann wäre da noch jener gemeinsam von der ETH Zürich und der Hochschule Luzern Ende 2014 an den Start gebrachte Elektrorennwagen «Grimsel», der in 1,785 Sekunden Tempo 100 erreichte und so den bisherigen Beschleunigungsweltrekord für Elektroautos brach. Und nun will auch noch die Zürcher Trottinettfirma Micro im Markt mitmischen und das kultige Kleinstauto BMW Isetta per 2017 neu als Stromvariante lancieren.
Weniger Berührungsängste
Vorbildfunktion haben zudem Unternehmen wie die PostAuto Schweiz AG, die Elektrobusse in einem Langzeittest im fahrplanmässigen Betrieb einsetzen will, um deren Vorteile und Alltagstauglichkeit zu erproben. Entscheidend hat auch der Siegeszug der E-Bikes dazu beigetragen, Berührungsängste zur Elektro-Antriebstechnologie abzubauen. E-Bikes sind inzwischen so populär, dass kürzlich sogar ein Gesetz gegen E-Mountainbikes in den Bergen diskutiert wurde.
In der Tat dürfen die in nur wenigen Jahren erreichten Fortschritte in Bezug auf Kraft, Reichweite und Preis auch als Indikator dafür verstanden werden, was von künftigen E-Autos zu erwarten ist: «Die aktuellen Elektroautos waren nie für den Massenmarkt gedacht», liess Volker Blandow, Global Head of E-Mobility bei TÜV Süd, kürzlich über E-Branchendienste wie Electrive.net wissen: «Kaufgründe waren bisher eher Technikbegeisterung und bei vielen Kunden auch der Klimaschutzgedanke. Preis und Praxistauglichkeit standen in keinem günstigen Verhältnis, während sich die Autos der kommenden Generation in vielen Anwendungen erstmals rechnen.» Zu erwartende Rahmenbedingungen mit deutlich höheren Reichweiten und guter Infrastruktur seien ideal «für die Mobilitätsanforderungen vieler Flottenbetreiber und zunehmend auch für den Privatkunden».
Viele Fragezeichen
Es bleibt also spannend mit der E-Mobilität 2.0. Die ist praxisorientiert und unverkrampfter, weil dahingehend entzaubert, der allein gültige Königsweg zu sein. Bis es zu einer Brennstoffzelle kommt, die technologisch enorme Fortschritte gemacht hat – was noch mit Fragezeichen behaftet ist –, werden wir es beim Thema Auto mit einem Energiemix aus Elektrizität sowie gasförmigen wie flüssigen Kraftstoffen zu tun haben, denn auch bei Letzteren tut sich eine ganze Menge. Klar ist aber schon jetzt: Der Stellenwert der E-Mobilität wird weiter zunehmen.