Nichts. Kein Know-how, keine Energie und keinen Rappen haben die Brüder Chuard ins Geschäft des jeweils anderen investiert. Zum einen, weil jeder für sich derart mit dem Aufbau des eigenen Unternehmens beschäftigt war, dass er sich nicht auch noch um jenes des Bruders kümmern konnte. Zum anderen, weil sie gut 9000 Kilometer und neun Zeitzonen auseinander wohnen. Aber vor allem weil die Brüder Geschäft und Familie klar auseinanderhalten wollen: «Wenn wir uns sehen oder telefonieren, reden wir über die Kinder, die Familie, über Persönliches», sagt Olivier Chuard, «nicht übers Geschäft. Und das ist gut so.»
Geschwister und Beruf – das sind oft zwei klar getrennte Welten. Nicht nur bei Alain und Olivier Chuard, sondern auch bei den Schwestern Doris und Karin Frick, die ganz eigene Wege eingeschlagen haben, und auch bei den Dainese-Brüdern, obwohl Werber Livio seit sechs Jahren Verwaltungsrat bei Timos Vermögensverwaltungsfirma ist. Dies aber primär, um das Gremium von Finanzspezialisten mit kommunikativen Fähigkeiten aus der Sicht eines Nicht-Finanzexperten zu ergänzen.
Denn Finanzthemen sind sonst weniger Livios Sache, genauso wenig, wie Timo sich für Werbung interessiert. Wenn Daineses zusammensitzen in der Familie, dann ist alles andere Thema. Dann geht es um Familie, Kinder, Sport und Ferien. «Das Geschäft interessiert die anderen weniger», sagen Livio und Timo übereinstimmend.
Berufliche Hilfestellungen
Aber keine Regel ohne Ausnahme: Bei den Brüdern Biver gab es immer wieder Überschneidungen geschäftlicher Natur. So war es der Jüngere, Marc, der dem Älteren, Jean-Claude, die Tür zum Hause Omega und damit zur Swatch Group öffnete. Marc war damals in der Abteilung für Zeitmessung tätig, als sein Chef ihn fragte, ob sein Bruder auch so tüchtig sei wie er. Und schon war Jean-Claude angestellt. Oder 2017, als Marc von dem mittlerweile verstorbenen Unternehmer und Radfan Andy Rihs geholt wurde, um zu versuchen, mit seinem Netzwerk in die Sportwelt hinein die finanzielle Zukunft des Radteams BMC zu sichern und neue Sponsoren zu finden, stieg bald darauf die von Jean-Claude geführte Uhrenmarke TAG Heuer ein.
Er werde sicher einmal im Monat mit seinem Bruder verwechselt, sagt Marc Biver. Auf den ersten Blick ist das wenig verwunderlich, Marc und Jean-Claude Biver ähneln sich, allein ihrer Glatze wegen. Wer mit ihnen am Tisch sitzt, merkt aber schnell, dass sie grundverschiedene Typen sind. Marc erzählt mit ruhiger Stimme, wenig Gesten, antwortet knapp. Jean-Claude redet nicht, sondern ruft, rudert mit den Armen, holt weit aus. Und sonst? «Mein Arzt gibt mir ein Rezept, ich gehe in die Apotheke und finde es nicht mehr», sagt Jean-Claude; «wenn mein Bruder sagt, er sei um 10 Uhr da, dann ist er um 10.00 Uhr da.» Gross herausgekommen sind die Söhne eines Schuhhändlers aus Luxemburg und Enkel eines Hoteliers aus dem Burgund beide. Dank Leidenschaft.
Marc hat eine für Sport und hat ein Geschäft daraus gemacht. Im Glauben an die kommerzielle Zukunft des Sports begann er Anfang der achtziger Jahre mit Skirennen als einer der Ersten, Sportevents zu vermarkten, und nahm Athleten wie Pirmin Zurbriggen, Vreni Schneider oder Tony Rominger unter Vertrag. Offiziell pensioniert, zieht er im Hintergrund noch viele Fäden. Jean-Claude dagegen liebt Uhren und entwickelte sich zu einem Star der Branche. Bis zu seinem krankheitsbedingten Rücktritt im September war er Chef der Uhrendivision des Luxuskonzerns LVMH mit den drei grossen Marken Hublot, Zenith und TAG Heuer. Er sagt, Passion sei Charaktersache.
Marc denkt, sie sei ein Ergebnis ihrer anspruchsvollen Kindheit. Geboren in Luxemburg, zogen sie mit der Familie in die Westschweiz. Dort wurden die Jungs, acht und zehn Jahre alt, ins Internat geschickt, später ans Institut auf dem Rosenberg in St. Gallen. «Da lernt man sich durchzusetzen und seinen eigenen Weg zu finden», sagt er.
Beide haben für ihre Leidenschaft einen Preis bezahlt: Ihre ersten Ehen sind gescheitert. Jean-Claude ist ein zweites Mal verheiratet und ein drittes Mal Vater, Marc hat zwei erwachsene Töchter, ist geschieden und lebt mit einer neuen Partnerin.
Aber ob allein oder mit Hilfe des Bruders oder der Schwester: Erfolg kommt nicht von nichts, ist meist hart erarbeitet und hat ein Fundament. Alle vier hier porträtierten Geschwisterpaare sind wohlbehütet gutbürgerlich aufgewachsen, besuchten teilweise private Schulen und wurden von ihren Eltern gefördert oder mindestens nicht behindert.
Losgelöst und trotzdem verbunden
Klar, eine Matur musste her, aber danach waren sie frei, durften ihren eigenen Weg einschlagen – und auch Umwege gehen. Und sie haben alle Karriere gemacht, leben ihr eigenes Leben, losgelöst und trotzdem verbunden. Über die Werte, die sie teilen, über die Art und Weise, wie sie Dinge angehen, über Charaktereigenschaften, die ihnen eigen sind: der unternehmerische Geist bei den Chuards, der Hang zur Perfektion bei den Daineses, die anpackende Grundhaltung bei den Fricks oder die Leidenschaft bei den Bivers.
Das Verbindende haben sie von zu Hause: Vater Chuard war ein überzeugter Unternehmer, Vater Dainese, Leiter der Bauabteilung bei Swisslog, war ein «Krampfer» und Perfektionist, Vater Frick ein Bauunternehmer und Pragmatiker, der Grossvater der Bivers ein leidenschaftlicher Hotelier und angefressener Sportler. Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm. Aber was für einen Einfluss haben Äpfel auf Äpfel? Und: Warum sind leibliche Geschwister – gleiche Eltern, gleicher Schoggipudding, gleiches Weihnachtsritual – so verschieden?
Wir sind zusammen aufgewachsen, aber jede hatte ihr eigenes Leben», sagt Karin Frick. Sie war in der Pfadi, Doris im Turnverein. Sie machte die Matura in Sargans SG, Doris in Vaduz FL. Karin war die Aufmüpfige und hat für Doris manchen Weg geebnet. Die Schwestern sind mit zwei Brüdern in einer Bauunternehmerfamilie in Schaan FL aufgewachsen.
Karin ist heute Forschungschefin am Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) in Rüschlikon, Doris Botschafterin des Fürstentums Liechtenstein in Bern. «Viel arbeiten», antwortet Doris auf die Frage nach Werten im Elternhaus. «Nicht faul sein», sagt Karin in Erinnerung an das Frühstück, das selbst am Wochenende für jeden verbindlich spätestens um acht Uhr morgens parat stand, Ausgang hin oder her. Verinnerlicht haben sie auch die väterliche Sichtweise: «Er sah mehr die Möglichkeiten als die Probleme.» Die Frick’sche Marschrichtung: vorwärts.
Dass die Schwestern ihr Geld dereinst erstens selbst und zweitens ausserhalb des Familienunternehmens verdienen würden, war selbstverständlich, besonders für die Mutter, die ihre Töchter stark dahingehend förderte. Die Brüder waren nämlich allein schon von ihrem Geschlecht her als Nachfolger gesetzt. Gut möglich, dass es heutzutage anders käme: «Die Branche hat sich inzwischen stark verändert», sagt Karin, als Studienverfasserin immer wieder mit dem Thema Bauen und Wohnen befasst. Aber vor 30 Jahren? «Für Frauen gab es nur den Posten des Bürofräuleins.»
Jobinhalte wie die des «Fräuleins» waren für sie No-Gos. Karin studierte an der Hochschule St. Gallen Volkswirtschaft und landete in der Forschung, als Doris, ebenfalls HSG-Volkswirtin, noch an ihrer Diss zum Thema Fürstentum Liechtenstein und EWR arbeitete. Diese Arbeit öffnete ihr, die Hotelfachfrau hatte werden wollen, diesen Wunsch aber wegen Wartelisten an der Hotelfachschule Lausanne sausen liess, die Tür zum Staatsdienst.
Auch heute lebt jede ihr Leben, doch die Schwestern sind gleicher als einst: Beide haben Familie, zwei Kinder und einen Job, den sie lieben. Neid? «Nein», sagt Karin. «Eifersucht kommt, wenn es ein Gefälle gibt, und das gibt es nicht, wir sind ja beide erfolgreich.»
Junges Forschungsgebiet
Psychologen, wie kaum eine Zunft an tiefen Bindungen interessiert, haben sich lange nicht um diese Beziehung gekümmert. Das Thema beschäftigt sie sowie Biologen, Genetiker und Ethnologen erst seit den 1980er Jahren. Seitdem verteilen sie Fragebogen, filmen Familien, führen Gespräche. Allgemeingültiges, gar Überraschendes ist dabei bislang nicht herausgekommen: Forscher der University of Calgary, der Université Laval, der Tel Aviv University und der University of Toronto haben Anfang Jahr das wenig erstaunliche Fazit publiziert, dass Geschwister Einfluss auf die Entwicklung des Einfühlungsvermögens des jeweils anderen haben.
Letztes Jahr sorgte die Universität Edinburgh für fette Schlagzeilen mit dem Studienergebnis, dass das ältere Geschwister das jüngere IQ-mässig überflügelt. 5000 Kinder waren hierfür bis zu ihrem 14. Lebensjahr alle zwei Jahre einem Lese- und Vokabeltest unterzogen worden. Die älteren schnitten besser ab als ihre jüngeren Geschwister. Erklärt wurde dieses Resultat damit, dass Eltern sich mehr mit Kind Nummer eins befassen als mit den nachfolgenden.
Es wird viel Energie darauf verwendet, das Geschwister-Mysterium zu entschlüsseln. Vergangenen Winter widmete das deutsche Magazin «Der Spiegel» einer Studie von Forschern des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock und an der Universität Stockholm eine Story und titelte: «Erstgeborene studieren die renommierteren Fächer». Sagenhafte 146 000 Studierende wurden dafür befragt. Es war quasi die Anschlussstudie an eine ältere Untersuchung, die behauptete, dass nachfolgende Geschwister tendenziell schlechtere Ausbildungen bekommen und weniger Geld verdienen als der ältere Bruder oder die ältere Schwester.
Ältere Geschwister leben tendenziell ungesünder
Nun sind also auch Unterschiede in den Präferenzen für einzelne Fächer erforscht. Ein Ausschnitt aus den Ergebnissen: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zweites Kind Medizin studiert, ist um 27 Prozent geringer als beim ersten. Dafür ist die Wahrscheinlichkeit, dass Zweitgeborene Kunst studieren, um 27 Prozent höher als beim ersten Kind. Dass es so ist, gilt nun also als bewiesen. Warum, muss erst noch erforscht werden.
Übrigens: Es hat auch sein Gutes, nicht zuerst auf die Welt gekommen zu sein, kam doch eine schwedische Studie zum Schluss, dass ältere Geschwister tendenziell ungesünder leben und dicker werden. Bei den Biver-Brüdern trifft das prompt zu, bei den Chuards ist es umgekehrt, die Frick-Schwestern sind beide hyperschlank, die Daineses ebenfalls. Für diese Studie gilt, wie für alle anderen auch: Es findet sich immer ein Geschwisterpaar, welches das Forschungsresultat stützt – und eines, für welches das Gegenteil gilt.
Sie waren 12 und 14 Jahre alt und soeben zurück aus ihren ersten Ferien in den USA. Im Gepäck eine Kiste voll Skateboard-Rädchen, die sie in ihrer Wohngemeinde Bolligen BE «mit sehr guter Rendite» an Nachbarn und Freunde verkauften.
Ein Modell, das Alain (links im Bild unten) und Olivier Chuard über die Jahre variierten und verfeinerten, etwa Ende der 1980er Jahre, als sie die neusten, bei Sammlern begehrten Swatch-Modelle in der Schweiz kauften und in Italien absetzten. «Der Vater war Unternehmer, der Onkel war Unternehmer, wir haben nichts anderes gekannt», sagt Olivier. Sich ins gemachte Nest zu legen, war aber keine Option. «Ich wollte selber etwas aufbauen», betont Alain.
So kam es. Der Vater, ein anerkannter Pensionskassenexperte, sicherte die Zukunft seines Geschäfts via Verkauf. Die Söhne bauten ihre eigenen Unternehmen auf. Ganz unabhängig voneinander – mit einem finanziellen Zustupf der Eltern als Erstinvestoren, mit Hilfe ihrer Ehefrauen und mit dem Geist, in dem sie aufgewachsen sind: Wer Erfolg haben will, muss hart arbeiten und besser sein als die anderen. Sowie mit Start-up-Mentalität, das heisst mit «fairen Löhnen», aber ohne dicke Boni, ohne Luxus und ohne «flashy offices» an Toplagen. «Schlank und bescheiden», so das Credo der beiden technikaffinen Brüder, die trotz der Distanz von über 9000 Kilometern ähnlich ticken. Olivier in Bern und Alain in San Francisco steckten jeweils ihr ganzes Geld in ihr Vorhaben, bevor sie Fremdkapital suchten. Nicht nur, weil beide glauben, dass man das Risiko selber tragen muss, sondern auch, weil sie die Kontrolle über ihre Firma behalten wollen.
Alain hat dann die Kontrolle doch abgegeben – zweimal: Zuerst verkauften er und seine Frau ihre auf Abenteuer- und Sportferien spezialisierte Reisefirma. Und vor sechs Jahren ihre Social-Marketing-Firma Wildfire für rund 450 Millionen Dollar an den Google-Konzern. Seit zwei Jahren sind sie auf Reisen, verbringen viel Zeit mit ihren zwei kleinen Kindern.
Olivier hat vier Kinder zwischen zwei und sechs Jahren, die er jeden Morgen in den Kindergarten bringt. Und er versucht, am Abend spätestens um 18 Uhr zu Hause zu sein. Später in der Nacht macht er sich wieder an die Arbeit. Daran fehlt es derzeit nicht. Denn er baut gerade seine mit zwei Freunden gegründete Livesystems-Gruppe aus: Die Betreiberin von über 6000 Werbe-Screens in Bussen, Trams und an Tankstellen ist mit Nau.ch neu ins Onlinegeschäft eingestiegen – und hat dabei den Personal-Etat fast verdoppelt. Auch Alain will bald wieder «entrepreneurial» tätig werden, wie er betont. Wohl im Gesundheitswesen, wo er dank Technik viel Verbesserungspotenzial sieht. Aber spruchreif ist noch nichts.
Tiefenbindung zwischen Geschwistern
Der Schweizer Psychologe und Geschwisterforscher Jürg Frick konzentriert sich bei seiner Arbeit mehr aufs Feinstoffliche. «Jedes Geschwister-Dasein bedeutet ein hochkomplexes Gefühlswirrwarr», sagt der Autor von «Ich mag dich – du nervst mich!». In diesem Buch schält er in aller Deutlichkeit heraus, dass ein Kind dank Geschwistern das ganze Spektrum menschlicher Gefühle wie Liebe, Hass, Freude, Trauer, Rivalität, Enttäuschung und Ambivalenz erleben kann.
Im Kindesalter ist Nähe gegeben, schon rein umständehalber. Was dabei entsteht, nennen die Psychologen Tiefenbindung – und die hält lange an. Die Nähe ist umso grösser, je kleiner der Altersabstand ist. Die Biver-Brüder, gerade einmal zwei Jahre auseinander, wurden im Zweierpack ins Internat gesteckt. «Wir waren in anderen Klassen, hatten nicht viel miteinander zu tun», erinnert sich Marc. «Schon, aber ich fühlte mich immer für dich verantwortlich», hält Jean-Claude dagegen.
Gescheiterte Wiedervereinigung
Nach der Matura dividierten sich die beiden erst einmal auseinander. Jean-Claude studierte und lebte in einer Hippie-Kommune, Marc arbeitete bei der Post in Lausanne, bis er das Geld für eine monatelange Wanderung durch die USA beisammenhatte. Sie fanden erst wieder zusammen, als Jean-Claude ebenfalls bei Omega zu arbeiten anfing. Was lag näher, als unter einem Dach zu wohnen? «Wir haben im gleichen Haus gewohnt», sagt Marc, «doch das ging gar nicht.» Die Wiedervereinigung scheiterte am diametralen Temperament der beiden: Marc der Ordentliche, Jean-Claude der Chaotische.
Auch die Brüder Dainese mussten vor über zwanzig Jahren ihr Projekt vom Zusammenwohnen nach kurzer Zeit wieder beenden. «Wir dachten beide, das sei eine Superidee», erinnert sich Livio. In Aarau sind sie in ein altes, sanierungsbedürftiges Haus gezogen. Jeder hatte zwar eine Etage. Zu nah. «Es ist nicht gut herausgekommen: Wir haben uns wegen Kleinigkeiten verkracht – und das Projekt schliesslich wieder beendet», erzählt Timo mit einem Grinsen zu seinem Bruder. Der fährt fort, heute seien sie nicht einmal mehr für gemeinsame Ferien kompatibel. Timo bleibe gern an Ort und Stelle, wolle ausruhen, die Familie und den Pool geniessen, während er am liebsten ständig in Bewegung sei – Hügel rauf, Hügel runter, vorzugsweise per Velo.
Wenn schon, denn schon. «Wenn wir etwas machen, dann machen wir es richtig.» Dieser Satz fällt bei Livio und Timo Dainese immer wieder. Und das heisst in ihrem Fall: viele Stunden Arbeit. Perfektion. Und die Überzeugung, zu wissen, wie man es richtig machen muss. Deshalb sind sie beide heute Chef – Livio bei der Werbeagentur Wirz, Timo bei der Zugerberg Finanz. Chef sein war für die Brüder aber nur «Mittel zum Zweck», wie Livio sagt. «Es geht nicht um Status, sondern um die Möglichkeit, ein Unternehmen in die Richtung zu lenken, die man für richtig hält.» Das treibt auch Timo an, der oft morgens um sechs Uhr alle Fenster des 200-jährigen Bauernhauses öffnet, in dem seine Finanzboutique untergebracht ist, damit die 33 Mitarbeiter ein «angenehmes Klima» haben. Ihren Perfektionismus finden die Brüder in ihrer Familiengeschichte wieder – beim Vater, «einem Krampfer», der als Bauingenieur bei Swisslog viel unterwegs war, und beim Grossvater, der den «Frohsinn» im aargauischen Stilli – heute Villigen – führte.
Ihre Wege ins Chefbüro waren aber sehr verschieden. Bei Timo ging alles sehr schnell: Nach der Matur arbeitete er ein Jahr für eine Privatbank, dann kurz bei einer Vermögensverwaltung, bevor er als 23-Jähriger in Zug die eigene Firma, «mein Lebenswerk», gründete. Sein Rezept damals wie heute: Er legt das Geld seiner Kunden gleich an wie das eigene. Und das seiner Familie.
Livio hingegen machte Umwege, fing an, Geschichte zu studieren, machte das Grundstudium in Wirtschaft, suchte in Deutschland nach einer Internet-Ausbildung und landete letztlich an der Fachhochschule, wo er Media Arts and Sciences studierte und abschloss. Nach Stationen bei Jung von Matt und Hinderling Volkart wurde er 2014 Kreativchef bei Wirz, 2016 Co-CEO. 2018 wurde er als «Werber des Jahres» ausgezeichnet, Timo fast gleichzeitig von BILANZ als «Bester Vermögensverwalter». Würdigungen, die ihnen bestätigen, dass sie etwas richtig machen – und die ihnen etwas mehr Raum für anderes geben. Jedenfalls auf dem Papier arbeiten heute beide Teilzeit: Livio 90 Prozent. So hat er mehr Zeit für seine Zwillinge (9) und fürs Velofahren. Timo ist bei 80 Prozent. Am «Papitag» kümmert er sich um den zweijährigen Sohn. Ein Luxus, den er sich bei den drei Kindern (13, 15, 16) aus erster Ehe nicht leisten konnte.
Lebenslange Verbindung
Geschwister sucht man sich nicht aus. Und man wird sie auch nicht los. «Die Geschwisterbeziehung ist oft nicht die engste, aber meist die längste», sagt Forscher und Psychologe Frick. Eltern sterben, Partner wechseln, Freundschaften zerbrechen – Bruder und Schwester bleiben für immer Bruder und Schwester, ob im Guten oder Bösen. Üblicherweise wird das Band im Erwachsenenalter enger und Geschwister zu einer Ressource. Denn auf sie ist meist Verlass.
Nach 9/11 verfasste Doris Frick, ihre Kinder waren damals noch klein und sie oft auf Reisen, vorsichtshalber ein Testament. Darin betraute sie ihre Schwester damit, alles die Kinder Betreffende zu regeln, sollte ihr etwas passieren. «Bei allem Vertrauen zu meinem Mann dachte ich einfach, Karin kennt mich noch besser.»