Die zwei turbogeladenen Triebwerke dröhnen perfekt synchron, gleichmässig zersäbeln ihre Propeller den Himmel über New York, unter den Flügeln glänzt der Hudson. Der Banker Patrik Gisel steuert die Piper Aerostar 601P, eine elegante, zuverlässige Maschine, auf knapp 500 Metern Flughöhe so mühelos über den Big Apple, als hätte er nie im Leben etwas anderes getan.
Sitzungen, Bilanzen, Marktanalysen – für Minuten sind diese Alltäglichkeiten Nebensache, das Augenmerk des Managers gilt der Vielzahl von Knöpfen und Anzeigen auf dem Instrumentenbrett des Flugzeugs. Ein Tag ohne wie auch immer geartete Turbulenzen, vor der Frontscheibe des Cockpits zum Greifen nahe ein Meer von Wolkenkratzern – Gisel fühlt sich in bestem Sinne weltentrückt.
Der Plauschtrip ist inzwischen zwar Geschichte, der Banker fliegt zurzeit höher als vor 13 Jahren. Beruflich zumindest. Gisel ist seit Anfang Oktober neuer CEO der Raiffeisen Gruppe, deren Erfolgskurs er nach eigenem Kompass sichern und optimieren soll. Zum Aeroplanieren dürfte er deshalb momentan eher selten kommen. Aviatisch wird er aber nichts verlernen: Gisel hat bisher 1200 Flugstunden «abgeschrubbt», wie es im Pilotenjargon heisst, und unzählige davon nach kniffligen Instrument Flight Rules (IFR), was der korrekte Begriff ist für das, was Laien unter Blindflug verstehen.
Kkeine Ausnahmeerscheinung unter Firmenführern
Der Raiffeisen-Commander, der mit einem Freund mittlerweile eine eigene, über 400 Stundenkilometer schnelle Piper Aerostar 700P besitzt, ist als moderner Ikarus keine Ausnahmeerscheinung unter Firmenführern. Zahlreiche Schweizer Unternehmen haben eigene Businessjets oder zumindest Hightechmaschinen mit Propellerturbinen. Und unter den 4909 Privatpiloten der Schweiz finden sich diverse Topshots aus Teppichetagen.
Peter Brabeck-Letmathe etwa, Verwaltungsratspräsident von Nestlé, sicherte sich als einer der Ersten eine PC-24 der Pilatus Flugzeugwerke in Stans, einen Jet, der am Nationalfeiertag des vergangenen Jahres seinen Rollout hatte. In die Luft geht regelmässig auch Rainer-Marc Frey, der einstige «Golden Boy» der heimischen Wirtschaft, der als illustrer Financier in Pfäffikon SZ seine eigene Beteiligungsgesellschaft Horizon21 lenkt. Oder Ernst Thomke, unter den Firmensanierern ein bewährter Haudegen alter Schule und aktuell Verwaltungsrat der Air-Connect AG in Grenchen SO, die Flüge für Geschäftsreisen anbietet.
Luxus und Genuss
Selber fliegen ist für Wirtschaftsführer eine spannende Möglichkeit, auf Reisen flexibel und unabhängig zu sein. Die modernen Ikarusse zelebrieren aber auch ganz gerne Luxus und Genuss. Früher war man wer, wenn man diskret seinen Bentley-Schlüssel auf dem Tisch eines Nobelrestaurants platzierte, heute punktet man, wenn – rein zufällig selbstverständlich – das Foto eines stromlinienförmigen Jets aus irgendwelchen Akten flattert.
Zu den Novizen am Steuerhorn zählt Urs Rohner, der VR-Präsident der Credit Suisse, der im vergangenen Sommer bei der Motorfluggruppe Zürich (MFGZ) seine ersten Hüpfer in Kloten gemacht hat. Falls er sich als Pilot als ebenso tauglich erweist wie in seinem Brotjob, dürfte er dereinst des Öftern mit einer Maschine abheben. Vielleicht sogar mit einer Gulfstream G550, die zu den Prestigegeräten der Geschäftsfliegerei gehört und ohne Zwischenlandung 10 000 Kilometer schafft.
Viel zu büffeln
Die Aviatik als Steckenpferd für Manager ist eine nachvollziehbar logische Sache. In Unternehmen wie in Cockpits gilt es, analytisch und schnell komplexe Abläufe zu durchschauen und zu meistern. Und in beiden Bereichen ist gegen einen Crash nur gefeit, wer weit vorausblickt, Risiken kalkuliert und in einem Krisenfall weiss, wie man sinnvoll durchstartet. Aufsteiger, die nie ins Trudeln geraten wollen, haben deshalb intensiv und konsequent mannigfaltigen Grundstoff zu büffeln.
Milchiges Grau hängt über dem Flugplatz Altenrhein SG. Philipp Rohner, seit zwei Jahren Luftibus in seriösem Sinn, bugsiert die einmotorige Piper Archer von Kreutzer Aviation, einer von 45 Flugschulen im Land, zur Tankstelle. «Der Geruch von Flugbenzin ist das Beste, was je in meine Nase gelangt ist», sagt der 25-jährige Maschinenbau-Student, der seinen Pilotenschein nach neun Monaten erlangt und sich durch Spitzfindigkeiten von theoretischen Fächern wie Meteorologie, Flugrecht, Flugplanung und Notverfahren gemüht hat.
Etwas mehr als 18'000 Franken musste er für seine Leidenschaft aufbringen, aber das, weiss er, ist ein Klacks auf dem Weg zu höheren Lizenzen und anspruchsvolleren Maschinen. «Frisch ausgebildet ist man nur zu Flügen auf eher simplen Dingern berechtigt, die weder Einziehfahrwerk noch Verstellpropeller oder sonderlich powervolle Kolbenmotoren haben.»
«Unbeschreibliche Sensation»
Von seinen bisher 205 Flugstunden hat Philipp Rohner einige in einer Decathlon verbracht, einem Akrobatikflitzer, in dem er sich «um alle Achsen frei wie ein Vogel» fühlt und der ihm oft «dezente Atembeschwerden» beschert, wenn ihn Fliehkräfte in schwierigen Figuren mit dem vierfachen Körpergewicht in den Sitz drücken. Jeder Start, jedes Erleben, wie die Welt unter ihm bleibt, ist für ihn als «völlig Angefressenen» eine «unbeschreibliche Sensation».
Rohners Euphorie teilt fast jeder Manager, der erdgebundenen Hobbys wie Golfen nichts abgewinnen mag. Für Ulrich Bettermann, VR-Präsident der OBO Bettermann, die für Elektroinstallationen und Gebäudetechnik global renommiert ist, gibt es keinen besseren Platz als den «ganz vorne links» in einem seiner drei Firmenjets.
Als Flieger mit Berufspilotenlizenz ist der Mann hoch qualifiziert und dennoch einer, der sich volksnah und hemdsärmlig stundenlang über sein Schalten und Walten an Bord auslässt. «Ich habe die Bodenhaftung nie verloren und bin kein abgehobener Businessmacher», sagt der 69-jährige Sauerländer, dem nahe Dortmund der Flugplatz Arnsberg-Menden gehört, von dem er zu seinen Betrieben in Wolfenschiessen NW, in Ungarn, Russland, Indien und Südafrika startet.
Luftkutscher für Prominente
Bettermann, zu dessen Flotte auch ein paar Propellermaschinen zählen – «Gurkenschneider», wie er die nennt –, hat noch «mit dem Arsch» fliegen gelernt. Für ein halbes Jahr war er als Jungspund Co-Pilot bei der deutschen LTU, auf einer längst eingemotteten Caravelle und zu einer Zeit, «in der wir im Cockpit noch alles mit dem eigenen Kopf berechnen mussten».
Bis heute ist der Joviale, der privat immer wieder für Prominente wie Thomas Gottschalk oder Rowan Atkinson alias «Mister Bean» den Luftkutscher gibt und früher dem bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauss das Pilotieren beibrachte, ein hellwacher Vielchecker. Einer, der bei jeder Firmenexpansion darauf achtet, «dass der Standort jeder Filiale nur 30 Minuten von einem Flugplatz entfernt ist».
45 Ausbildungsstunden
Ein Pilot, sagt Philipp Rohner in Altenrhein, brauche keine übermenschlichen Fähigkeiten. Ein sauberer Auszug aus dem Zentralstrafregister, ein Untersuch bei einem Vertrauensarzt des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, ein Mindestalter von 17 Jahren – das reicht als Starterkit. Der Rest ist Training und Durchhaltewille. Und zudem sollte man «nicht zwei linke Hände haben», sagt der aviatische Novize, über eine Luftfahrtkarte gebeugt, die mit einem Wirrwarr von eingezeichneten Luftstrassen, Kontroll- und Sperrzonen wie ein Schnittmusterbogen wirkt.
Für die Ausbildung sind 45 Flugstunden vorgeschrieben, zehn davon müssen solo absolviert werden. Rohners Flugerfahrung betrug erst zehn Stunden, als er erstmals alleine himmelwärts geschickt wurde. «Das kam ohne Vorankündigung, völlig überraschend, für Sekunden für Schweissperlen sorgend.» Vor der Landung, erinnert er sich, «schien mir die Piste beängstigend kurz wie ein Streichholz in der Landschaft».
Jahrelang über alle Kontinente
Auf Rohners Homebase, wo sich bei jedem WEF Privatjets stauen und Luxus manifestieren, landete oft auch Reinhold Würth, Patron des deutschen Unternehmens für Befestigungs- und Montagetechnik und bekannt als Europas bedeutendster Schraubenhändler. Jahrelang jagte er seine dreistrahlige Falcon des französischen Herstellers Dassault Aviation über alle Kontinente, bis er im vergangenen April 80 wurde und die Lizenz abgab.
Noch immer denkt er ans Navigieren über unbekannten Gegenden oder ans märchenhafte Mondlicht über dem Pazifik während eines Flugs von Neuseeland nach Papeete, und nie vergisst er das erhabene Gefühl, «die drei Powerhebel auf einer Piste nach vorne zu schieben und dann mit einer Steigrate von 600 Metern pro Minute durch die Wolken zu brechen». Den Entschluss, nur noch als Passagier unterwegs zu sein, fällte er aus Vernunftsgründen: «Ich wollte nicht, dass mir ein Arzt mal sagen muss: ‹Würth, es geht nicht mehr.›»
Vernunft steht auch hinter dem Entscheid vieler Firmen, eigene Maschinen zu betreiben. Mit diesen sind neben den Airports auch Kleinflugplätze ansteuerbar, und die Passagiere kennen keine Warteschlangen an Abfertigungsschaltern. Time is Money, auch wenn von Letzterem bei der Anschaffung der Flugzeuge einiges fällig ist: Eine gut ausgerüstete Propellermaschine kostet locker eine Viertelmillion, ein Jet zwischen zwei und sechzig Millionen Franken. Und pro Flugstunde verbrutzeln viele Hightechgeräte Treibstoff im Wert von zwei- bis viertausend Franken.
Sicherer im Instrumentenflug
Wer als Firmenchef pilotiert, ist meist im Instrumentenflug unterwegs. Die Ausbildung dafür schlägt zwar mit etwa 18'000 Franken zu Buche, macht Einsätze aber sicherer als jene von Sichtfliegern. Ausschliessen lässt sich aber auch damit nicht alles. Ulrich Bettermann musste auf einem Nachtflug mit einer Zweimot mal in Frankfurt landen, weil ein Motor wegen ausgelaufenen Öls zu brennen begann.
Und bei Reinhold Würth vereiste die Frontscheibe einer Cessna Citation, die er aus den USA nach Europa überführte. Bei der trotzdem geglückten Zwischenlandung im neufundländischen Gander, sagt er, «hatte ich noch ein Sichtfeld von 16 Quadratzentimetern». Wenns schiefgegangen wäre, weiss er, «hätte mir auch ein goldener Fallschirm nichts genützt».
Ein Malheur, das vor über 20 Jahren Robert «Bob» Lutz widerfuhr, dem einstigen Vorzeigemanager der US-Autobranche, hatte dieser seiner Schusseligkeit zuzuschreiben: Er vergass, das Fahrgestell seines privaten Militärjets L-39 Albatros auszufahren, und legte die Maschine bei der Landung auf den Bauch.
Philipp Rohner agiert auf der sicheren Seite. Er hat sein Wetterbriefing beendet, eine Fluganmeldung ausgefüllt und den Aussencheck der Piper Archer begonnen. Wenig später wird ihm der Tower von Altenrhein die Startfreigabe erteilen. Ob der Student nebst Flugzeugen mal eine grosse Firma lenken wird, steht noch in den Wolken. Vielleicht revolutioniert er dereinst ja die Aviatik. Auf seiner Visitenkarte steht nebst seinem Namen jedenfalls schon mal ein vielversprechendes «Rohnair».