Kein Parkplatz ist zu bekommen vor dem Weinkeller in Zollikon. Drinnen ein Dutzend Kunden mit dem Weinglas in der Hand, es ist ein Kommen und Gehen. Mövenpick lädt zur grossen Jubiläumsdegustation, ungefähr 40 Flaschen sind entkorkt, dazu gibts Käse und Bresaola-Fleisch. Das Geschäft brummt in der Mövenpick-Niederlassung an der Zürcher Goldküste, der umsatzstärksten des Unternehmens.

Wenn es doch nur immer so wäre!

Doch es ist Samstagnachmittag, es ist Ferienzeit, es ist ein Spezialevent, und es gibt Rabatt. Gernot Haack, CEO von Mövenpick und als solcher einer der grössten Weinhändler im Land, muss auf der ganzen Marketing-Klaviatur spielen, um die Kunden in seine Geschäfte zu bekommen. «Der Markt ist umkämpft, die Marktanteile verschieben sich», nennt er es. Denn immer mehr wollen mitmischen im Geschäft mit den guten Tropfen: Weinhändler ist ein Trendberuf geworden. Knapp 3600 selbständige Weinhandlungen gibt es hierzulande, ein Fünftel mehr als vor sechs Jahren.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Kein Befähigungsausweis nötig

Brauchte es früher noch wenigstens einen einwöchigen Kurs, um den Beruf ausüben zu dürfen, ist heute keinerlei Befähigungsausweis mehr nötig. Dafür locken ein sinnliches Produkt, Reisen in schöne Weingegenden, gesellige Events, Sozialstatus. «In den neunziger Jahren war es Mode, eine Boutique zu eröffnen. In den nuller Jahren war es Mode, ein Restaurant zu eröffnen. Jetzt ist es Mode, eine Weinhandlung zu eröffnen», sagt Philipp Schwander, Inhaber der Selection Schwander. Sein Erfolgsrezept: «Die Marke bin ich.»

Schwander importiert vorwiegend unbekannte Weine mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis; sein Titel des ersten Schweizer Master of Wine verleiht ihm die Glaubwürdigkeit, das Richtige ausgesucht zu haben. Und in seinen Verkaufsbroschüren preist er nicht einfach das Sortiment an, sondern erzählt sehr persönliche Geschichten von seinen Reisen zu den Winzern. So hat sich Schwander in 15 Jahren von null auf 60 000 Kunden und auf über eine Million verkaufte Flaschen pro Jahr hochgearbeitet. Er macht mit dem Weinhandel gutes Geld.

Philipp Schwander

Philipp Schwander, 52: Seine Selection Schwander gilt als Erfolgsgeschichte im Schweizer Weinhandel: ein kleines Sortiment von relativ günstigen Weinen, die in der Blindverkostung häufig die grossen Namen schlagen. Und ein Marketing, das voll auf den ersten Schweizer Master of Wine setzt.

Quelle: René Ruis

Weine zum Plausch

Bei vielen anderen ist das nicht so. Sie verzichten auf einen Businessplan und verkaufen Weine zum Plausch. So wie Gregor Rutz. «Ich muss nicht davon leben können, ich habe ja einen Beruf. Von daher kann ich das entspannt angehen», sagt der SVP-Nationalrat und Kommunikationsberater. Seit drei Monaten importiert er hochwertige Bordeaux-Weine, zusammen mit einer Geschäftspartnerin und deren Mann, der Önologe ist. Zufällig habe sich die Idee ergeben, bei einem seiner häufigen Besuche bei Freunden in Frankreich und weil «es praktischer ist, gleich einen geregelten Import zu machen, als jedes Mal die Flaschen im Kofferraum mitzubringen».

Um die Fixkosten niedrig zu halten, verzichtet er auf ein Ladengeschäft und betreibt einen Webshop namens Le Chardon Bleu. Das Sortiment ist mit derzeit 15 Weinen winzig. «Le Chardon Bleu ist ein Geheimtipp – das meiste, was man bei uns bekommt, bekommt man nirgendwo anders», sagt Rutz. Sein Businessplan? «Wir wollen von Anfang an schwarze Zahlen schreiben und die Verkaufszahlen sukzessive steigern.» Mehr als 1000 Flaschen habe er seit Dezember verkauft.

Im Durchschnitt neun Franken

Natürlich sind das keine grossen Mengen. Aber jede Flasche, die einer der zahlreichen Kleinsthändler verkauft, entgeht einem anderen Player. «Wir kämpfen letztlich alle um dieselben Kunden», sagt Sylvia Berger, Category Manager Wein bei Coop. Zumal der Konsum in der Schweiz seit Jahren rückläufig ist (siehe Grafik unten): «Man trinkt nicht mehr jeden Tag, aber wenn, dann etwas Spezielles», so Berger.

Bei rund neun Franken liegt der Durchschnittspreis pro verkaufte Flasche hierzulande – das klingt nach sehr wenig, ist aber dennoch dreimal so viel wie etwa in Deutschland. Im unteren und mittleren Segment sind die üblichen Handelsmargen mit etwa 100 Prozent hoch. «Bei den teureren Flaschen sinken sie dramatisch», sagt Schwander. Zapfenretouren gehen zulasten der Händler.

Kapitalintensives Geschäft

Dabei ist das Geschäft kapitalintensiv: 40 bis 150 Prozent des Jahresumsatzes, so die Faustregel, liegen im Keller gebunden. Wer Restaurants beliefert, verkauft zwar grössere Mengen, muss aber den Nachschub über das ganze Jahr sicherstellen und braucht ein entsprechend grösseres Lager, will er den Sommelier nicht verprellen. Vor allem aber muss er sich mit 50 Prozent Marge zufriedengeben und damit rechnen, dass immer mal wieder ein Betrieb pleitegeht und seine Rechnung nicht bezahlt.

Für die Grossverteiler, die im Foodbereich noch eine viel schlimmere Rappenspalterei gewohnt sind, sind das freilich attraktive Margen. Kein Wunder, haben sie Wein als Wachstumsmarkt entdeckt. Allein Coop und die Migros-Tochter Denner decken zusammen rund die Hälfte des Schweizer Weinkonsums ab. «Wir wollen ein sehr breites Publikum ansprechen», sagt Berger, «deshalb führt auch jede unserer über 900 Verkaufsstellen Wein.»

Der Preiskampf tobt: Coop lockt mit regelmässigen 20-Prozent-Aktionswochen, die auch gerne mal länger dauern als eine Woche. Denner, einst bekannt für das hochwertige Bordeaux-Sortiment zu Kampfpreisen, wirbt mit Wochenendrabatt in gleicher Höhe. Und dann sind da natürlich noch die vermeintlichen Sonderangebote auf Eigenmarken: 6.25 statt 12.50 Franken etwa, das sieht nach einem Superschnäppchen aus. «Dabei sind das Fantasiepreise, die erfunden werden, damit man 50 Prozent darauf Rabatt geben kann», lacht Schwander. «Danach ist man beim normalen Preis.» Doch es funktioniert, andere müssen nachziehen: Mövenpick etwa beglückt die Kunden seit kurzem fast jeden zweiten Tag mit einem speziellen Onlinediscount.

Onlinehandel ist zu teuer

Dabei spielt der Onlinehandel schweizweit mit gerade mal vier Prozent Umsatzanteil noch kaum eine Rolle. Es ist zu teuer, einzelne Flaschen oder Kartons zu verschicken, ausser bei den wirklich edlen Tropfen. «Und die Mystik von Wein ist allein online nicht erfahrbar», sagt Haack. Mövenpick baut daher das Filialnetz aus, letztes Jahr um vier Filialen, heuer sind weitere vier geplant.

Gernot Haack

Gernot Haack, 54: In seinen 24 Weinkellern macht der Mövenpick-Chef rund 120 Millionen Franken Umsatz, das Sortiment umfasst 1200 Flaschen. Um neue, unentdeckte Tropfen zu finden, schickt er vier Mitarbeiter von Weingut zu Weingut auf allen Kontinenten. Zur Mövenpick-Strategie gehören auch ein Weinrestaurant in Zürich und mehrere Weinbars.

Quelle: René Ruis

Bauchgrimmen macht den Schweizer Händlern der Einkaufstourismus: Seit die Zollfreimenge auf fünf Liter pro Person angehoben wurde, ist der Weinladen oder Supermarkt ennet der Grenze noch attraktiver geworden. Und: Jeder vierte Schweizer kauft am liebsten direkt beim Weinbauern ein – aber halt eben nicht nur im Wallis, sondern auch in der Toscana, im Burgund oder im Priorat.

Exklusiver Vertrieb als Überlebensstrategie

Wie also überlebt man in einem Markt, bei dem das Glas eher halb leer erscheint als halb voll? Die meisten Händler versuchen, den Vertrieb für bestimmte Weingüter exklusiv zu bekommen und sich so dem Preiswettbewerb zu entziehen. Doch: «Viele der Produzenten haben gewisse Umsatzerwartungen», sagt Mövenpick-Chef Haack. Um diese erfüllen zu können, liefert Mövenpick Exklusivimporte wie Robert Mondavi, Errázuriz oder Frescobaldi auch an die Konkurrenz von Denner und Coop.

Wohin das führt, zeigt das Beispiel Peter Lehmann. Die Erzeugnisse des Australiers galten in den neunziger Jahren als hochqualitative Exoten, erhältlich nur bei den Spezialisten von Bataillard in Rothenburg. Doch mit zunehmendem Erfolg wurden sie zu Massenweinen, längst erhältlich im Supermarkt, dafür verschwunden aus den Regalen des Fachhandels. Bei populären Gütern wie Torres oder Penfolds passiert derzeit Ähnliches.

Philipp Schwander geht daher noch einen Schritt weiter: Er lässt Spezialabfüllungen nach seinen Vorstellungen machen, die dann auch nur bei ihm erhältlich sind – etwa vom Toscana-Klassiker Giusto di Notri oder von den Grünen Veltlinern des österreichischen Traditionswinzers Oskar Hager. «Das lohnt sich aber erst ab 20 000 Flaschen und nur dann, wenn der Wein signifikant besser wird», sagt Schwander. Und es funktioniert nur, weil er als Master of Wine das nötige Know-how hat.

Der junge Wilde unter den Weinhändlern

Auch Markus Lichtenstein kreiert eigene Tropfen. Der Inhaber von Smith and Smith zählt zu den jungen Wilden unter den Weinhändlern. Speziell für ihn abgefüllt werden etwa zwei Zürcher Stadtweine mit den sinnigen Namen Felix und Regula. Vor allem aber setzt Lichtenstein auf Events. «Wir möchten mit unseren Kunden reden», sagt er, «deshalb bauen wir Momente auf, in denen man Wein lebt.»

Dazu gehören Blind Tastings, eine Weinschule, Koch- und Knigge-Kurse, Networkingevents für Gastronomen. Und es gibt immer etwas zu essen: Direkt neben seinem Ladengeschäft im Westen von Zürich betreibt Lichtenstein ein Steakhouse, mit dem Fleischveredler Luma ist er eine Partnerschaft eingegangen. Das Konzept geht auf: 2013 fing Smith and Smith mit vier Mitarbeitern an, mittlerweile beschäftigt Lichtenstein 25 Angestellte, der Umsatz wächst jedes Jahr um 35 Prozent.

Markus Lichtenstein

Markus Lichtenstein, 49: Ursprünglich Gastronom, setzt der Zürcher auf die Verbindung von Wein und Essen, mit Events vom Kochkurs bis zum Dinnerabend. Und er betreibt direkt neben seiner Weinhandlung ein Steak-Restaurant.

Quelle: René Ruis

Angriff von Coop

Auch Mövenpick setzt auf regelmässige Degustationen sowie Weinmessen. Und auf ein Treueprogramm für 3000 ausgewählte besonders gute oder besonders weinaffine Kunden: Wer Mitglied ist im Club 20/20, erhält Spezialangebote, wird zu Gastronomieabenden eingeladen oder zu Verköstigungen mit den Winzern. Als Teil der Gesamtstrategie müssen diese Events nicht profitabel sein.

Viel breiter führt Coop den Club Mondovino mit 140 000 Mitgliedern. Diese profitieren von Spezialrabatten; in Kurzfilmen auf der Website oder in Seminaren wird ihnen Weinwissen vermittelt. «Mondovino ist für uns von strategischer Bedeutung und entwickelt sich sehr schön», sagt Berger.

Auch in den Gastronomiemarkt stösst Coop systematisch vor. In kurzer Zeit hat die Tochter Transgourmet drei alteingesessene Weinhändler aufgekauft, Casa del Vino, Riegger und Zanini – zu, wie man hört, hohen Preisen. Die Offensive von Coop ist derzeit das Aufregerthema der Branche. «Wein ist eine wichtige Warengruppe in der Gastronomie», heisst es bei Transgourmet dazu, der Kauf der Weinhändler «ergänzt die Kompetenz im Bereich Lebensmittel und Frischprodukte». Die drei übernommenen Firmen sind freilich auch im Endkundengeschäft tätig. «Unser Angebot wird dadurch noch kompetenter und reichhaltiger», sagt Coop-Weinchefin Berger.

Grosse Player werden mächtiger

Klar ist: Auch wenn es immer mehr Weinhändler gibt, wird die Macht der grossen Player zunehmen. «Coop wird noch andere etablierte Händler kaufen», ist Lichtenstein überzeugt: «Kleinere Händler müssen sich hoch spezialisieren oder sehr nahe am Kunden sein.» Auch Mövenpick-Chef Haack sagt: «Der Markt wird sich konsolidieren, weil die Anforderungen steigen. Einen professionellen Onlineshop zu betreiben, ist nicht jeder in der Lage oder willens.» Und bei vielen Familienbetrieben ist die Nachfolge nicht sichergestellt, ein Verkauf dann der einzige Ausweg.

Das wird den Wettbewerbsdruck noch mal erhöhen. Ihre Hoffnung setzt die Branche derweil auf den Trend zu Schaumweinen: Prosecco und Champagner werden immer beliebter, und hier lässt sich noch Geld verdienen. Auch regionale Tropfen liegen im Trend: «Es ist Mode, Schweizer Weine auf der Karte zu haben», sagt Schwander, inzwischen machen sie hierzulande ein Drittel des Konsums aus.

Exportiert werden die Erzeugnisse primär aus dem Wallis, dem Waadtland oder dem Tessin wegen der hohen Preise dagegen kaum. Ebenfalls ein lukratives Wachstumssegment sind naturbelassene oder biologisch angebaute Weine, auch wenn unter dem ökologischen Deckmantel bisweilen Schindluderei mit der Qualität betrieben wird. Und vielleicht hilft ja auch Petrus, der im Himmel, nicht der vom Château: Denn 2017 wurde wegen der Wetterkapriolen in ganz Europa die schlechteste Ernte seit 40 Jahren eingefahren, 27 Prozent weniger als im Vorjahr. Das könnte Qualität, Preise und Margen steigen lassen.

Doch egal, wie der Markt wird, eines kann den Weinhändlern niemand nehmen: die Freude an ihrem Produkt. Oder wie es Mövenpick-Chef Haack ausdrückt: «Bei aller Wettbewerbsintensität ist Wein das schönste Nahrungsmittel, das man als Händler verkaufen kann.»