BILANZ: Madame Nichanian, was ist Luxus?

Véronique Nichanian: Etwas sehr Subjektives und insofern auch etwas Undefinierbares. Für mich persönlich bedeutet Luxus beispielsweise, eine Arbeit zu haben, die mich glücklich macht. Oder dass ich zu Fuss zur Arbeit gehen kann, seit ich vor zwei Jahren ins Quartier Saint-Germain-des-Prés gezügelt bin. Aber auch etwa ein Glas Rotwein.

Haben Sie, als Designerin der Hermès-Herrenmode, auch eine materiellere Sicht aufs Thema?

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Durchaus nicht. Für meine Kollektionen verwende ich zwar nur das Beste vom Besten, was aber nicht das Luxuriöse daran ist. Das wirklich Luxuriöse daran sind die Einzigartigkeit der Dinge, die hohen Ansprüche, die wir an sie stellen, und schliesslich auch die Tatsache, dass sie Bestand haben und nicht nach einer Saison aus der Mode kommen.

Und die Preise, die Sie verlangen?

Luxus ist keine Frage des Preises.

Zumindest landläufig würde kaum jemand einen solchen Zusammenhang bestreiten.

Leider. Und ich weiss auch, woher das kommt: Viele Brands behaupten, sie machten Luxus, weil sie ihre Sachen teuer verkaufen. Manchmal schaue ich mir solche Dinge an und komme zum Schluss, dass sie das Geld nicht wert sind. Verkaufen lassen sie sich erstaunlicherweise trotzdem – weil es Leute gibt, denen die Marke wichtiger ist als das Produkt.

Wie hält es der Hermès-Kunde diesbezüglich?

Umgekehrt. Hermès-Kunden tragen die Sachen nicht als Statussymbole, mit denen man andere beeindruckt, sondern einzig für sich. Wenn sie sich etwas von Hermès kaufen, geht es ihnen nicht darum zu zeigen, dass sie Geld haben. Es geht ihnen um die stille Befriedigung, die derjenige hat, der sich das Beste vom Besten leistet.

Mit Hermès zu protzen, ist den Herren nicht vergönnt, weil Sie ja ganz auf sichtbare Logos verzichten.

Ich mag Logos auf Kleidern nicht. Zudem ist das nicht der Stil des Hauses. Ich ziehe es vor, die Stücke mit Understatement zu signieren statt mit Namen.

Sie machen Mode für einige wenige Superreiche, die es sich leisten können, für ein Hemd ein paar hundert Franken zu bezahlen. Ist das befriedigend?

Es sind nicht nur die Reichen. Und es sind auch nicht wenige. Hermès verkauft inzwischen 45 000 Hemden im Jahr. Wir haben Kunden, die sparen, um sich eines unserer Stücke leisten zu können.

Was für einen Mann haben Sie vor Augen, wenn Sie Ihre Kollektionen entwerfen?

Ich mache reelle Kleider für reale Männer. Vom Äusseren habe ich keinen bestimmten Typus im Kopf, dann schon eher von der Persönlichkeit her: Ich designe für Männer, die sich gut kennen, die wissen, was ihnen steht und was nicht. Ich verzichte konsequent darauf, Kollektionen einzig für Modeschauen und Fachmedien zu entwerfen, wie es manche andere Labels tun. Was ich präsentiere, gibt es in den Geschäften auch wirklich zu kaufen.

Sie kleiden Prominente ein, etwa den Filmstar Nicholas Cage, und behaupten, keinen Traummann vor Augen zu haben, wenn Sie Ihre Kollektionen entwerfen?

Ja, mich inspirieren die unterschiedlichsten Charaktere. Das einzig Gemeinsame ist, dass dies alles Männer sind, die sich in ihrer Haut wohl fühlen und ihren Stil gefunden haben.

Was reizt Sie an Männermode?

Männermode ist vom Design her etwas sehr Subtiles. Und sie erfordert viel mehr Disziplin als Frauenmode, wo man auch mal ausgeflippte, gar lächerliche Designs lancieren kann. In der Männermode bewegen sich die Möglichkeiten oft im Millimeterbereich. Das gefällt mir, ich mag Nuancen und Details viel mehr als grosse Würfe.

Kaufen Männer anders ein als Frauen?

Ja, sie achten sehr viel stärker auf die Bequemlichkeit als Frauen. Und Männer sind ihrem Stil, wenn sie ihn einmal gefunden haben, auch viel treuer.

Apropos Treue: Sie arbeiten seit 1988 für Hermès – das ist ungewöhnlich lange in Ihrer Branche.

Zum Wechseln braucht es einen Grund, und ich hatte bisher keinen. Im Gegenteil, ich geniesse hier riesige Freiräume, habe keine Vorgaben, weder bezüglich Kosten noch bezüglich Materialien. Ich kann tun, was ich will.

Das klingt wie aus einer anderen Welt.

Eben. Warum sollte ich da weggehen?

Was war die Männermode bei Hermès, als Sie hier anfingen?

Da war alles sehr klein. Da gab es mich und einen Assistenten. Personalmässig hat sich seither nicht viel verändert: Es gibt hier mich und drei Assistenten. Das hat letztlich wohl auch damit zu tun, dass ich nur sehr schlecht delegieren kann und sehr vieles allein machen will, weil ich total detailversessen bin. Jeder Millimeter ist mir wichtig, auf jede noch so kleine Kleinigkeit kommt es mir an. Ich will immer alles genau so, wie ich es im Kopf habe. Ich bin da absolut unfähig, Kompromisse einzugehen.

Jean Paul Gaultier macht hier im Haus die Frauenmode. Wie arbeiten Sie zusammen?

Überhaupt nicht. Wir gehen manchmal miteinander Mittag essen. Aber er arbeitet für sich, ich für mich. Er arbeitet anders als ich.

Und wie erleben Sie den Konkurrenzkampf ausserhalb?

Gar nicht. Weder besuche ich Modeschauen, noch schaue ich, was die anderen machen. Ich will nicht beeinflusst werden, sondern meine eigene Geschichte erzählen und auch weiterhin das machen, was ich über viele Jahre entwickelt habe.

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Keine Extravaganz, höchste Qualität der Materialien, raffinierte Details, perfekte Verarbeitung.

Wo bleibt die Mode?

Ich habe mich vom Modediktat schon vor langer Zeit befreit. Ich richte mich mit meinen Sachen nicht an jene Männer, die gross an Mode interessiert sind. Oder anders gesagt: Ich mache keine Mode, ich mache Kleider.

Sie machen keine Mode?

Ich mache nie etwas, was aus der Mode kommt. Wenn man eine Jacke kauft und dafür eine hohe Summe bezahlt, möchte man die doch eine lange Zeit tragen können. Ich achte daher darauf, dass ich nur Materialien einsetze, die schön alt werden.

Wann gefällt Ihnen ein Mann?

Wenn er Charme hat, Humor auch. Mir gefallen Männer, die etwas zu sagen haben. Einfach schön zu sein, ist komplett uninteressant.

Gibt es ein Todsünde bei der Kleidung?

Ich bin sehr tolerant. Klar, weisse Socken trägt man nicht. Aber Geschmacksverirrungen können durchaus charmant sein. Es gibt ja viele Männer, die sich nicht für Kleider interessieren, sondern für ganz viele andere Dinge. Das kann ich problemlos akzeptieren.

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?

Es gibt Tage, da habe ich keine Ideen, und Tage, da kommen sie einfach. Ich liebe Reisen, die grossen Städte der Welt. Die Ideen kommen manchmal aus der Architektur, aus Parkanlagen.

Was, wenn keine kommen?

Leiden. Es gibt Kollektionen, die entstehen allez hop. Andere verlangen mir sehr viel ab, bis ich sie habe. Ein Rezept für neue Ideen habe ich den 30 Jahren, die ich in diesem Beruf schon tätig bin, noch keines gefunden.

Haben sich die Männer in dieser Zeit verändert?

Ja, sie kennen sich heute besser, sind selbstbewusster geworden, achten besser auf sich. Als ich angefangen habe, sind die meisten von ihnen mit ihren Frauen zum Einkaufen gekommen oder haben das sogar ganz an ihre Frauen delegiert. Heute kommen viele allein und wissen genau, was sie wollen.

Was für ein Verhältnis haben Sie zu Ihrem Schaffen aus der Vergangenheit?

Ich erkenne mich in meinen Modellen wieder. Wenn ich alte Kollektionen anschaue, ist das, wie wenn andere ihr Familienalbum durchblättern.

Véronique Nichanian

Véronique Nichanian (50) ist eine von nur wenigen Frauen, die Herrenmode designen. Sie kreiert in Paris eine der wichtigsten Männerkollektionen überhaupt: jene von Hermès. Und das mit viel Erfolg. Die Kritiker der Branche rechnen die energiegeladene und überaus charmante Frau zu den grossen Machern maskuliner Mode. Ausgebildet an der renommierten Ecole de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne, wo auch Karl Lagerfeld und Yves Saint Laurent studiert hatten, stieg sie 1977 beim italienischen Couturier Nino Cerruti ins Berufsleben ein. 1988 holte sie Jean-Louis Dumas, Patron von Hermès, nach Paris und übertrug ihr die Verantwortung für die Herrenmode.