Sie haben sich durch verschiedene Auswahlverfahren gekämpft. Ihren Lebenslauf können Sie mittlerweile auswendig aufsagen. Die zahlreichen Bewerbungsgespräche waren nervenaufreibend. Doch nun haben Sie die Anstellung. In den nächsten 30 Tagen wird sich entscheiden, ob man Sie behalten wird und wohin Sie der Job führt. «Die ersten vier Wochen können Ihre gesamte Karriere im Unternehmen beeinflussen», sagt Glenn Shepard, Autor des Buches «How to be the Employee Your Company Can’t Live Without». Der folgende Text gibt Ihnen Ratschläge und Empfehlungen, um Fettnäpfchen aus dem Weg zu gehen und jede Möglichkeit zu nutzen, einen guten Eindruck zu hinterlassen.
Die erste Woche
Langsame Annäherung
Informieren Sie sich
Erscheinen Sie nicht unwissend. «Rufen Sie den Personalverantwortlichen oder einen Assistenten Ihres zukünftigen Chefs an, und finden Sie heraus, was Ihre Aufgaben sein werden», rät Glenn Shepard. «Erkundigen Sie sich auch nach dem Dresscode und danach, ob die Kollegen und Kolleginnen ihre Verpflegung mitbringen oder nicht. Sie möchten sicher nicht mit einem Berg
belegter Brote dastehen, wenn alle anderen zur Mittagspause ins Restaurant gehen. Ziehen Sie sich etwas feiner an, als Ihnen empfohlen wurde. Setzen Sie zum Ende der Woche auf einen Kleidungsstil, der dem Ihrer Vorgesetzten ähnlicher ist als dem der anderen Kollegen.»
Überstunden? Lieber nicht
Glauben Sie, dass besonders frühes Erscheinen im Büro und spätes Verlassen des Arbeitsplatzes einen guten Eindruck machen? «Der Fehler ist, dass neue Angestellte das zu Anfang glauben. Aber dann merken alle Kollegen sofort, wenn Sie nach einiger Zeit plötzlich später kommen und früher gehen», gibt Debra Benton, HR-Consultant und Autorin von «How to Act Like a CEO», zu bedenken. «Erscheinen Sie zum vorgesehenen Arbeitsbeginn, und vermeiden Sie zunächst Überstunden. Ansonsten entsteht schnell der Eindruck, dass Ihnen die Arbeit schon in der ersten Woche über den Kopf wachse. Sollten Sie tatsächlich nicht alles schaffen, erledigen Sie den Rest zu Hause.»
Cool bleiben
Vermeiden Sie, gestresst zu wirken oder Kommentare wie: «Ich erledige das, aber vorher brauche ich einen starken Espresso.» Es ist völlig normal, dass die erste Woche mitunter anstrengend ist – aber lassen Sie es Kollegen und Vorgesetzte nicht merken.
Täglicher Smalltalk
«Gewöhnen Sie sich an, jeden Tag mit zwei oder drei bisher unbekannten Personen ein kurzes Gespräch zu führen», empfiehlt David Rock, Gründer und Geschäftsführer von Results Coaching Systems und Autor des Buches «Quiet Leadership». Damit sind nicht nur Ihre direkten Kollegen gemeint. «Knüpfen Sie Kontakte mit Leuten unterschiedlichster Position und Verantwortlichkeit. Finden Sie auch heraus, wie gearbeitet wird – ob in Teams oder eher jeder für sich.»
Hören Sie zu
Die beste Einleitung während der ersten Wochen? «Hallo, ich bin neu hier» – dann stellen Sie Ihre Fragen. Das empfiehlt Milo Sindell, Co-Autor von «Sink or Swim: New Job. New Boss. Twelve Weeks to Get It Right». Erfahren Sie, was Sie noch nicht wissen. «Wenn ambitiöse junge Leute einen neuen Job beginnen, wollen sie beeindrucken, daher reden sie viel», sagt ein Senior-Finanzberater. «Dabei merken sie nicht, dass dies häufig als negativ aufgefasst wird. Ich suche jemanden, der kommunikativ ist, aber auch weiss, wann man besser zuhören sollte.» Faustregel: Hören Sie viermal so viel zu, wie Sie selbst reden.
Die Rituale kennen
Achten Sie genau auf eventuelle Rituale im Kollegenkreis. Unterhalten sich die Angestellten während des morgendlichen Kaffees, bevor sie an die Arbeit gehen? Ist Ihr Vorgesetzter den ganzen Tag nicht zu sehen und sitzt in seinem Büro oder in Besprechungen, oder taucht er häufig in den Fluren auf? Beobachten und analysieren Sie.
Präsenz zeigen
«Versuchen Sie, so viel Zeit wie möglich ausserhalb Ihres Büros zu verbringen – insbesondere dann, wenn das Unternehmen stark auf Teamarbeit setzt», sagt Benton. «Benutzen Sie nicht die nächstgelegene Toilette.» Zu empfehlen ist stattdessen das stille Örtchen ein Stockwerk über oder unter Ihnen. Je mehr Personen Sie auf dem Weg begegnen, desto besser.
Verlieren Sie nicht die Distanz
Sollten Sie bereits in der ersten Woche zu einem Essen nach Feierabend eingeladen werden, lehnen Sie höflich ab – ausser es ist Ihr Chef. Shepard weiss: «In den ersten Tagen ist die Gefahr gross, dass neue Mitarbeiter zu schnell zu enge Bindungen knüpfen wollen. Dies gilt besonders in Verbindung mit Alkoholkonsum.» Das sollte man vermeiden. Zum einen möchte man nicht den Stempel desjenigen aufgedrückt bekommen, der gerne einen über den Durst trinkt, zum anderen weiss man noch nicht, wie derartige Anlässe im Unternehmen überhaupt gehandhabt werden.
Nicht nur der Abschluss zählt
Wenn Sie von neuen Kollegen über Ihren bisherigen Werdegang befragt werden, nennen Sie zuerst vergangene Arbeitserfahrungen und danach Ihren Hochschulabschluss. Indem Sie den MBA lediglich zur Untermauerung Ihrer Kompetenz erwähnen und die zuvor aufgeführten Karriereschritte in den Mittelpunkt stellen, zeigen Sie, dass für Sie die praktischen Erfahrungen mindestens genauso viel zählen wie Ihr Hochschulabschluss.
Die zweite Woche
Seien Sie gutschweizerisch neutral
Beziehungen aufbauen
In Ihrer zweiten Woche können Sie mit dem Aufbau von Beziehungen beginnen. Halten Sie sich aber von schulähnlichen Cliquen fern. Seien Sie höflich, und wahren Sie weiterhin Distanz. Sindell weist darauf hin, dass es nicht immer leicht ist, «potenziell gefährliche» Kollegen oder Gruppierungen rechtzeitig als solche zu entlarven. Wenn die um Sie herumstehenden Personen sich aber lautstark und herzlich über den Sprachfehler Ihres Chefs amüsieren, dann ist das mehr als ein Indiz und für Sie ein Grund, sich abzuseilen.
Neutralität zählt
«Von Anfang an sollte Ihr Ziel sein, Neutralität zu bewahren», so Sindell. Schliessen Sie Ihre Augen, und wiederholen Sie in Gedanken: «Ich bin die Schweiz.» Manch einer wähnt sich dank Erfahrung und Qualifikation in grosser Sicherheit. Dies ist bei einer neuen Anstellung jedoch nicht immer ratsam. «Sie mögen durch Beobachtungen viel über die Assistentin Ihres Chefs erfahren haben. Dass diese ein Verhältnis mit Ihrem Vorgesetzten hat, ist dagegen eine Information, über die Sie in Ihrer zweiten Woche lieber noch nicht verfügen sollten.»
Objektivität nutzen
Neutral zu sein, heisst nicht, sich keine eigene Meinung zu bilden. «Ein grosser Vorteil der Anfangszeit ist es, dass man über eine Objektivität verfügt, welche die Kollegen nicht haben», so David Rock. Da Sie noch nicht völlig von den Gepflogenheiten und Prozessen im Unternehmen vereinnahmt worden sind, sehen Sie die Dinge mit anderen Augen. «Das kann beispielsweise zu der simplen Erkenntnis führen, dass die Firmenwebsite unübersichtlich und wenig nutzerfreundlich ist.» Das Problem: Nach den ersten Tagen befinden Sie sich noch nicht in der Situation, dies öffentlich anzuprangern, ohne dass sich Leute auf den Schlips getreten fühlen. Die Lösung: «Merken Sie sich Ihre Verbesserungsvorschläge und Beobachtungen, und bringen Sie diese zur Sprache, wenn die Zeit reif ist.»
Zeigen Sie, was in Ihnen steckt
Finden Sie Wege, Ihre Erfahrung aus vorhergehenden Jobs vorsichtig und taktvoll ins Gespräch zu bringen. Sindell: «Sitzen Sie während Ihrer zweiten Woche in einer Besprechung, hauen Sie nicht mit der Faust auf den Tisch und erklären allen, wie etwas gemacht werden muss und wie man ein Problem bei Ihrer vorherigen Firma gelöst hätte.» Besser: «Kann ich Ihnen meine Idee erläutern? Eine Möglichkeit, die sich als geeignet erwiesen hat …»
Woran arbeiten Sie gerade?
Halten Sie Ihren Vorgesetzten auf dem Laufenden. Sindell rät, in einer Mail an den Chef oder die Chefin kurz und bündig wiederzugeben, was man getan hat, womit man gerade beschäftigt ist und welchen Effekt beziehungsweise Erfolg man sich verspricht. Wichtig: Wenn auf Ihre Mails keine Antwort mehr kommt – was spätestens nach der vierten Woche der Fall ist –, versenden Sie keine mehr.
Wissen, wohin die Reise geht
Die beste Art zu erfahren, was das Unternehmen mit Ihnen vorhat, ist das Verfolgen der Stellenausschreibungen. Werden Strategen gesucht? Finanzexperten? Marketingleute? Wenn im Management eine neue Position belegt wird, sagt die gewünschte Qualifikation des Kandidaten viel über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens aus.
Die dritte Woche
Werden Sie der hellste Kopf im Raum
Eine eigene Identität schaffen
Nach drei Wochen ist es an der Zeit, Wege zu finden, um sich von Ihren Kollegen abzuheben und zu zeigen, was Sie wirklich können. Was haben Thomas Jefferson, Virginia Woolf, Ernest Hemingway und Winston Churchill gemeinsam? Sie standen während der Arbeit. «Wenn Sie die Möglichkeit haben, richten Sie Ihren Arbeitsplatz so ein, dass Sie stehen, statt zu sitzen», empfiehlt Benton. Ein anderer Trick: Verwenden Sie hellere Glühbirnen in Ihrem Raum. «Ich kenne den Firmenchef eines Grosskonzerns, der dies jedes Mal macht, wenn er in ein neues Büro zieht», so Benton. Es geht darum, eine eigene Identität zu schaffen und sich deutlich von der Person zu unterscheiden, die zuvor im selben Raum gearbeitet hat.
Der Chef verräts
Sindell gibt den Tipp, den Arbeits- und Führungsstil des Vorgesetzten zu beobachten. «Ist das Büro Ihrer Chefin überhäuft mit Papierstapeln und Aktenordnern? Dann sollten Sie keine perfekte Kommunikation erwarten. Legt der Chef Wert auf ein übermässig gepflegtes Äusseres? Dann erhöht das womöglich auch die Erwartungen an Ihr Erscheinungsbild.»
Grenzen ziehen
«Wenn Dinge vorfallen, die Sie stören, dann ist nun der richtige Zeitpunkt, um diese anzusprechen», meint Benton. «Die offizielle Arbeitszeit ist von 9 bis 17 Uhr, doch Sie arbeiten jeden Tag von 7 bis 21 Uhr? Wenn Sie jetzt nicht etwas dagegen tun, werden sich Ihre Kollegen und Ihr Vorgesetzter daran gewöhnen und Ihnen weitere Aufgaben übertragen.» Gleiches gilt auch in anderen Situationen. Stellen Sie sich vor, Ihr Chef kommt wiederholt in Ihr Büro und stellt Fragen, während Sie telefonieren. Benton rät, dass Sie beim nächsten Mal, wenn das passiert, das Gespräch beenden. Bitten Sie dann Ihren Chef mit einem Lächeln, Ihnen in Zukunft ein Signal zu geben, bevor er fragend in Ihr Büro kommt, während Sie am Telefon sind.
Delegieren Sie nicht zu früh
Auch wenn Ihre Aufgaben mitunter langweilig sind und sich wiederholen, sollten Sie mit dem vorzeitigen Delegieren warten. Das Übertragen bestimmter Tätigkeiten an Kollegen, deren Stärken und Schwächen Sie noch nicht genau kennen, ist riskant. Letztlich ist es Ihre Verantwortung, dass alle Aufgaben pünktlich und zuverlässig erledigt werden. Einen Fehler sofort einem Kollegen anzulasten, verschlimmert das Problem nur.
Keine Asche auf Ihr Haupt streuen
Mittlerweile sind Sie sicherlich schon in ein oder zwei Fettnäpfchen getreten. «Übertreiben Sie es nicht mit Entschuldigungen», sagt Shepard. «Es ist völlig unnötig. Ein solcher Perfektionismus kann sich als Karriere-Killer erweisen.» Zudem wird sich Ihr Verhältnis zu einigen Kollegen sowieso verschlechtern, wenn Sie schnellen Erfolg haben. «Wichtig ist, nett zu sein. Sie sollten sich aber nicht zu sehr darum kümmern, was die anderen über Sie denken, wenn es bergauf geht», meint Shepard. «Ich hatte einen Bekannten in einem Technologieunternehmen, der bereits nach der dritten Woche eine erfolgreiche Präsentation vor Regierungsvertretern hielt. Einige Kollegen waren neidisch. Ihn selber hat das natürlich wenig gekümmert.»
Die vierte Woche
Treffen Sie Entscheidungen
Das Gesamtbild betrachten
«Am Ende der vierten Woche sollten Sie eine klare Vorstellung von Ihren Zielen und Ihrer Stellung im Unternehmen haben», sagt Rock. Auch sollten Sie sich darüber bewusst sein, was Sie bieten und was Sie dafür bekommen können. «Der Schlüssel zum Erfolg ist, darauf zu achten, was Leute im Unternehmen tun, nicht, was sie sagen», so Sindell. «Gehört das Unternehmen zu jenen, die am einen Tag Erfolge feiern und einen Tag später Entlassungen vornehmen?» Auch wenn man sich nicht zu vorschnellen Beurteilungen verleiten lassen sollte, so ist es durchaus in Ordnung, sich das bisher erhaltene Gesamtbild vor Augen zu führen und langfristige Pläne zu schmieden.
Stark sein
Seien Sie einfallsreich und unabhängig. «Ich habe festgestellt, dass junge Angestellte, selbst Abgänger von Spitzenuniversitäten, häufig nicht in der Lage sind, allein klarzukommen», gibt Eileen Benwitt, Senior-Vizepräsidentin von Horizon Media, zu bedenken. «Es klingt absurd, aber ein Mitarbeiter, der Probleme mit seinem Vorgesetzten hatte, fragte mich tatsächlich einmal, ob er seine Mutter anrufen könne.»
Keine Lässigkeit
«Das, wovor Sie während der ersten vier Wochen am meisten auf der Hut sein sollten, ist Selbstzufriedenheit», rät Benwitt. «Die Menschen fühlen sich zu schnell zu wohl. Tatsächlich kann es bis zu sechs Monate dauern, bis man sich wirklich eingearbeitet und ein gewisses Ansehen erreicht hat. Nach der dritten Woche sollten Sie aber damit aufhören, von Ihrem vorherigen Job zu sprechen. Ansonsten entsteht schnell der Eindruck, Sie hätten mental den Wechsel noch nicht vollzogen.»
Sie stehen im Rampenlicht
Sie befinden sich stetig unter Beobachtung des Managements. Der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin, leitende Angestellte oder Abteilungsleiter achten mehr auf Sie, als Sie denken. «Das ist besonders dann der Fall, wenn Ihr Chef oder Ihre Chefin häufig durch das Büro wandert und guckt, was die Mitarbeiter treiben», so Benton. Laut Benwitt sind besonders ältere Führungskräfte sensibel, was das Stellen von Ansprüchen betrifft. Sie empfiehlt, vorsichtig zu sein. «Manch ein Neuling neigt dazu, nach einigen Wochen der Mustergültigkeit unvorsichtig zu werden. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Wer den ersten Monat erfolgreich überstanden hat, darf sich nach Feierabend gerne ein Bier mit den Kollegen gönnen.»
Mehr zu diesem Thema im BILANZ-Dossier Ausbildung und Studium