Nur die Hälfte der Hausärzte arbeitet in eigener Praxis. Auf dem Land werden Ärzte rar, in Städten dominieren Praxisketten. Was dahinter steckt.
Rund 15 000 Franken investierte der Hausarzt Daniel Eggenschwiler in die Suche nach einem Nachfolger, unter anderem für Inserate im Ausland. Nach mehr als zwei Jahren gab der 66-Jährige frustriert auf und schloss im August seine Einzelpraxis in der Oberwalliser Gemeinde Stalden. Die Art, wie er als Selbstständigerwerbender in einer Einzelpraxis gearbeitet habe, sei nicht mehr attraktiv, sagt er: «Das ganze System ist innert zwei bis drei Jahren kaputtgegangen.» Nun wollen die fünf Gemeinden in der Region Stalden eine Gemeinschaftspraxis für Haus- und Fachärzte sowie eine Apotheke bauen.
Das ist mit einem gewissen Risiko verbunden, räumen die Gemeindebehörden ein. Denn Ärzte wollen heute in der Stadt oder in Agglomerationsgemeinden arbeiten, sagt der Hausarzt und Gründer des Ärztenetzwerks Medix Felix Huber, der acht Gruppenpraxen in der Region Zürich führt.
In der Tat ticken angehende junge Ärzte und Ärztinnen völlig anders als solche wie Eggenschwiler, der vor 32 Jahren in den Beruf eingestiegen ist. Maximilian Kuhn, Spezialist beim Krankenversicherer CSS für Hausarztmodelle, sagt, dass junge Ärzte nicht mehr in eine eigene Praxis investieren und diese abzahlen möchten: «Sie wollen sich anstellen lassen, möglichst in einer Gruppenpraxis in einem Ballungszentrum, um mit einem Teilzeitpensum in einem Team arbeiten zu können.» Dazu kommt, sagt Gesundheitsökonom Willy Oggier, dass ein junger Arzt kaum mehr einen Kredit von einer Bank erhalte, um eine eigene Praxis zu eröffnen.
Löhne inklusive Bonus von bis zu 220'000 Franken
Daher sind mittlerweile 56 Prozent der 8175 Haus- und Kinderärzte in 1100 Gruppenpraxen tätig. Das sind rund 120 mehr als Ende 2015, wie die «Handelszeitung» aufgrund der Statistik der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) schätzt. Rechnet man diejenigen dazu, in denen auch Fachärzte tätig sind, dürften es gar 250 mehr sein, in die wohl mehr als 500 Millionen Franken investiert worden ist.
Viele dieser neuen Angebote gehören Ketten. Ihre Ärzte sind meist Angestellte. Und bleiben es meist auch. So sagt Peter Zumstein, Gründer der EZ Medical Network AG, er biete seinen Ärzten eine Kaufoption: «Aber diese Möglichkeit nutzen sie sehr selten.» Denn seine Mitarbeitenden schätzten es, fachlich unabhängig arbeiten zu können, ohne dafür ein wirtschaftliches Risiko eingehen zu müssen.
Hausärzte halten sich für unterbezahlt
Obwohl sie Profiteure der Tarifeingriffe von Bundesrat Alain Berset sind, halten sich Hausärzte im Vergleich zu Fachärzten für unterbezahlt. Darben müssen sie als Angestellte einer Kette nicht. Für eine Vollzeitstelle bezahlt Per-Erik Diethelm, Geschäftsführer der Ärztezentren Deutschschweiz AG, einen Fixlohn zwischen 135 000 bis 180 000 Franken: «Dazu kommt eine variable Vergütung, die sich auf höchstens 20 Prozent des Fixsalärs belaufen kann.» Huber zahlt inklusive Bonus bis zu 220 000 Franken. Er achtet bei der variablen Vergütung auf die Qualität der Arbeit, andere auf den erzielten Umsatz.
Umsatzrendite von 5 Prozent oder mehr
Trotz solchen Löhnen lohnt es sich, in Gruppenpraxen zu investieren. Mittlerweile gibt es mindestens 15 Ketten, die an fünf Standorten aktiv sind. Total besitzen sie 214 Gruppen- und Einzelpraxen, in denen rund 1300 Fach- und Hausärzte tätig sind (siehe Kapitel 2 und 3). Wer eine Einzel- oder Doppelpraxis übernimmt und renoviert, investiert je nach Geschäftsmodell und Grösse zwischen 80 000 bis 1 Million Franken. Wer sie wie Huber selber baut, 2,5 Millionen. Damit liesse sich eine Umsatzrendite von 3 bis 5 Prozent erzielen, sagt er.
Es kann auch mehr sein. Ketten gehörende Praxen sind meist AG oder GmbH. Solche Firmen setzen gemäss einer Erhebung des Bundesamts für Statistik 1,2 Millionen um. Das Betriebsergebnis, der Median, beträgt 102 000 Franken. Das sind 8,5 Umsatzprozente.
Die Bildung von Ketten stärkt die Rentabilität. Daher werde sich der Trend zur Bildung von Ketten weiter akzentuierten, sagt Huber: «Synergiegewinne lassen sich damit im Bereich der Administration erzielen.» Die Zentrale übernimmt die Buchhaltung, das Personalwesen, den Einkauf und die Informationstechnik. Der Arzt kann sich auf seine medizinische Tätigkeit konzentrieren.
Tiefere Prämien
Pioniere in diesem Bereich waren in den neunziger Jahren Krankenversicherer wie Concordia oder Swica. Sie gründeten erste Gruppenpraxen, sogenannte HMO. Die Ärzte, darunter auch Felix Huber, erhielten einen Lohn. Sie verfügten über ein sogenanntes Capitation-Budget zur Deckung der Behandlungskosten. Wer sparsam mit den Mitteln umging, wurde belohnt. Damit entfiel der Anreiz, Umsatz zu bolzen. Dank tieferen Leistungsausgaben profitieren die HMO-Versicherten von günstigeren Prämien.
Swica verkaufte 2015 Medbase einen Anteil von 70 Prozent ihrer Gruppenpraxen. Heute ist die Migros-Tochter mit 53 medizinischen Zentren die grösste Kette. Zudem führt sie 44 Apotheken. Investiert hat sie dafür bisher mehr als 150 Millionen Franken, schätzt die «Handelszeitung». Der Jahresumsatz dürfte sich 2019 auf mehr als 250 Millionen belaufen. Insgesamt möchte das Unternehmen bis zu 140 Standorte betreiben. Geplant sind gemäss CEO Marcel Napierala weitere Ärztezentren mit integrierter Apotheke.
Was sind die Folgen der Hausarztballung in urbanen Zentren? Philippe Luchsinger, Verbandschef der Haus- und Kinderärzte, spricht im Interview über die Gründe des Personalmangels in der Hausarztmedizin, Zusammenschlüsse von Arztpraxen auf dem Land und branchenfremde Investoren. Das komplette Gespräch finden Sie hier.
Zudem kooperiert Medbase mit Spitälern wie beispielsweise der Gesellschaft Spital Simmental-Thun-Saanenland AG, um gemeinsam Gesundheitszentren mit Hausärzten zu betreiben. Einen ersten Standort hätten sie in Zweisimmen konzipiert, sagt Napierala. Gespräche über mögliche Kooperationen führt Medbase gemäss dem Branchenportal Medinside aktuell auch mit Hirslanden.
Die Privatklinik-Gruppe will ebenfalls Partnerschaften eingehen, statt wie bisher selbst weitere Zentren mit Hausärzten aufzubauen. Das Ziel bleibt das gleiche: Patienten umfassend betreuen zu können. Der Gesundheitsökonom Oggier sagt: «Spitäler, öffentliche wie private, investieren in Gruppenpraxen mit Hausärzten, weil sie sich in einem überversorgten Markt Zuweisungen von Patienten sichern wollen, die sich stationär behandeln lassen müssen.»
Migros und Co. wollen Rendite erzielen
Nicht nur die Migros, auch andere branchenfremde Investoren entdecken, dass sich mit Arztpraxen eine schöne Rendite erzielen lässt. Dazu zählen nicht zuletzt Immobilienbesitzer, die in ihre Liegenschaften Praxen einbauen, die sie vermieten. Oder die Ufenau Capital Partners: Die Beteiligungsgesellschaft investiert gemäss Website in «gesunde Dienstleistungsunternehmen», darunter die Hausarztkette Doktorhuus.
«Viele Leute haben keinen Hausarzt mehr»
Doch obwohl es in Ballungszentren heute eher zu viele als zu wenige Grundversorgungsangebote gibt, haben viele Leute keinen Hausarzt mehr, sagt der Gesundheitsökonom Willy Oggier: «Dazu kommt: Oft wollen sie ihr Gesundheitsproblem dann lösen, wenn sie gerade Zeit haben.» Daher lassen sie sich in Gruppenpraxen mit flexiblen Öffnungszeiten in der Nähe von Bahnhöfen behandeln. Diese kann man ohne Voranmeldung aufsuchen. Nicht wenige gehören Ketten.
Davon profitiert auch die von Medbase übernommene Permanence am Zürcher Hauptbahnhof. Sie decke heute mehr als 35 Prozent des hausärztlichen Notfalldiensts ab, sagt Napierala: «Ohne Abgeltung durch den Kanton, wie sie Spitäler erhalten.»
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