Offiziell ist noch nichts, aber im Radsport bahnt sich eine Fusion der Giganten an: Die zwei Topteams Jumbo-Visma aus Holland und Soudal-Quickstep aus Belgien könnten sich Gerüchten zufolge zusammentun. Im Fussball-Business käme dies einem Zusammenschluss von Real Madrid und Manchester City gleich, den beiden Dominatoren des europäischen Clubfussballs der vergangenen Jahre. Denn die zwei Radteams haben die Konkurrenz in diesem Jahr in Grund und Boden gefahren. Jumbo-Visma holte 64 Siege und stellte jeweils den Gewinner der drei grossen Rundfahrten Giro d’Italia, Tour de France und Vuelta. Und Soudal-Quickstep ist mit 53 Siegen die Nummer zwei der Welt.

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Im Fussball vollkommen ausserhalb jeglicher Vorstellungskraft, ist im Radsport eine solche Megafusion durchaus im Bereich des Möglichen. Denn die  Teams repräsentieren nicht eine Stadt und einen Verein, sondern ihre Geldgeber – was auch aus den Namen der beiden Teams hervorgeht, um die sich die Gerüchte ranken.

Hinter Jumbo-Visma stehen die niederländische Supermarktkette Jumbo und das norwegische Technologieunternehmen Visma. Soudal-Quickstep vereint die Namen eines Herstellers von Kleb- und Dichtstoffen sowie einer Bodenfertigungsfirma aus Belgien, wobei der in der Schweiz lebende Unternehmer Zdeněk Bakala seit 2010 der Hauptgeldgeber des Teams ist.  

Visma geht, Bakala hat Vermögenseinbussen

Geldnöte sind denn auch die Treiber der bestätigten Gespräche über eine mögliche Fusion der zwei Topteams. Bei Jumbo-Visma steigt Hauptsponsor Jumbo per Ende 2024 aus. Seit einem Jahr sucht Teamchef Richard Plugge nach einem Ersatz – bisher erfolglos. Offenbar stand ein Einstieg der Initianten von Neom, dem Mega-Bauprojekt in Saudi-Arabien, im Raum. Medienberichten zufolge verhindert aber der Zweitsponsor Visma den Deal, weil das Unternehmen Werte wie Nachhaltigkeit, Inklusion und Verantwortung für die Gesellschaft offen nach aussen vertritt, was sich schwer mit einem saudischen Partner in Einklang bringen liesse.

Bei Soudal-Quickstep wiederum plagen den Hauptgeldgeber Bakala, dem 80 Prozent des Radteams gehören, finanzielle Sorgen. Der tschechischen Bauunternehmer hat im letzten Jahrzehnt Vermögenseinbussen hinnehmen müssen. 2015 verschwand er aus der Milliardärsliste von «Forbes», und die «Bilanz» führt ihn seit 2018 nicht mehr in ihrer Liste der 300 reichsten Schweizer. Bakala soll aktuell noch rund 18 Milliarden tschechische Kronen – rund 710 Millionen Franken – schwer sein.

Plötzlich mischt Amazon mit

Die Megafusion könnte aber ein Grosskonzern aus den USA zum Scheitern bringen: Amazon. Um den Logistikgiganten ranken sich seit letzter Woche ebenfalls Gerüchte, wonach er bei Jumbo-Visma als Sponsor einsteigen könnte – was wiederum Soudal-Quickstep-Chef Patrick Lefevere stutzig werden liess. Er verlangte nach Aufklärung in der Sache. Demgegenüber gab sich Jumbo-Visma-Patron Plugge am Rande der Spanienrundfahrt Vuelta, an der sein Team einen Dreifachsieg feierte, optimistisch, was die Zukunft anbelangt. Sponsoren aus den USA seien sehr interessiert an einem Einstieg, verkündete er damals.

Festhalten lässt sich aber: Dass sich selbst die zwei dominierenden Radsportteams mit finanziellen Nöten herumschlagen, stellt dem Geschäftsfeld Radsport kein gutes Zeugnis aus. Eigentlich bietet das sportliche Messen auf zwei Rädern exzellente Werbeflächen. Über Stunden sind bei Radrennen die Logos der Sponsoren auf den Trikots der Fahrer zu sehen. Und bei Grossereignissen wie der Tour de France schaut ein Millionenpublikum aus 190 Ländern zu.

Dennoch ist die Fluktuation bei den Sponsoren sehr hoch. Und im Kerngebiet Europa scheint das Interesse der Unternehmen am Radsport abgenommen zu haben. Klassische Radsportländer verlieren darum an Bedeutung. Aus Italien beispielsweise ist in der World Tour, der höchsten Lizenzklasse, kein einziges Team mehr mit dabei. Vor zwanzig Jahren waren es noch deren sechs gewesen. Spanien stellt mit Movistar bloss noch ein Team.

Deshalb werden die Rufe nach Obergrenzen für Budget und Gehälter lauter. Im Radsport sind die finanziellen Unterschiede zwischen den Teams ähnlich gross wie zwischen den europäischen Spitzenfussballclubs und deren Konkurrenten am Tabellenende der jeweiligen Ligen. Jumbo-Visma agiert in diesem Jahr mit einem kolportierten Budget von 50 bis 55 Millionen Euro. Etwa gleich viel weist das britische Team Ineos auf.

Noch etwas besser – mit einem Budget von 55 bis 60 Millionen Euro – ist das in Lugano ansässige Team UAE Team Emirates ausgestattet. Das ist rund viermal mehr als das, was Intermarché-Wanty-Gobert Matériaux zur Verfügung hat. Das Budget des französischen Teams ist mit geschätzten 12 bis 18 Millionen Euro das tiefste aller achtzehn World-Tour-Vertreter. Soudal-Quickstep kommt auf 25 bis 30 Millionen Euro.

Schlechte Nachrichten für Fahrer ...

Einen Grossteil ihrer Budgets wenden die Radsportteams für die Gehälter ihrer Fahrer auf. Und wie im Spitzensport üblich, sind es die grossen Stars, die aufgrund ihrer zentralen Rollen besonders hohe Löhne einfahren. Der Emirates-Leader und zweifache Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar soll rund 6 Millionen Euro pro Jahr verdienen, was ihn zum Branchenprimus macht. Für die Topfahrer von Jumbo und Quickstep bedeutet die mögliche Fusion keine existenzielle Bedrohung. Sie finden schnell Unterschlupf in einem anderen Team, sollten sie ihre Zukunft nicht beim Benelux-Superteam sehen.

Primoz Roglic hat bereits jetzt die Flucht angetreten, er verkündete vergangenes Wochenende seinen Abgang bei Jumbo-Visma. Unterdessen hat er am Freitag einen Zweijahresvertrag beim deutschen Team Bora-Hansgrohe unterschrieben. Der Soudal-Quickstep-Captain Remco Evenepoel, dem eine gewisse Abneigung gegenüber Jumbo-Visma nachgesagt wird, flirtet mit einem Wechsel zu Ineos.

Abseits der Radstars wäre die Fusion für die restlichen Fahrer keine gute Nachricht. Bei einem zusammengeführten Team würden viele Radprofis ihre Plätze verlieren, weil ein World-Tour-Team maximal dreissig Fahrer beschäftigen darf. Und auch im Betreuerstab von Jumbo-Visma und Soudal-Quickstep käme es zu Entlassungen.

Entsprechend haben sich einige ehemalige Radsportler wie beispielsweise der Deutsche Jens Voigt kritisch über die Pläne geäussert. Sogar direkt betroffene Fahrer sprachen sich gegen den Merger aus. Der Soudal-Quickstep-Fahrer Ilan Van Wilder redete sich nach seinem Sieg beim Rennen Tre Valli Varesine letzten Dienstag in Rage. Seine Teamkollegen wären mit der Fusion nicht einverstanden, sagte er – inklusive Verwendung eines Fluchworts.

Sollte die Fusion dennoch zustandekommen, wären plötzlich rund fünfzehn gute Radprofis auf dem Markt. Die Ausgangslage würde sich dann für Radprofis mit auslaufenden Verträgen klar verschlechtern. Davon betroffen wären auch einige Schweizer wie etwa der bereits 38-jährige Reto Hollenstein.

... und eine Chance für Schweizer Teams?

Ein Türchen würde hingegen für die zwei neuen Schweizer Radsportteams aufgehen. Das von Ex-Profi Fabian Cancellara 2022 ins Leben gerufene Team Tudor und das ebenfalls im letzten Jahr von Ex-Glencore-Chef Ivan Glasenberg mitgegründete Team Q36.5 gehören aktuell beide zur Kategorie «Pro Teams» und sind damit in der zweithöchsten Radliga unterwegs. Durch die Fusion würde dann plötzlich eine World-Tour-Lizenz frei, auf die jedoch das Team Israel-Premier Tech als erster Anwärter gilt.

Gegenüber dem «Blick» gaben sich beide Teams interessiert, wiesen aber jeweils darauf hin, dass ein Aufstieg in die World Tour zum jetzigen Zeitpunkt noch verfrüht wäre. Cancellaras Tudor-Team hat zumindest seine Ansprüche auf höhere Ziele im Sommer untermalt mit der Verpflichtung einiger namhafter Fahrer – darunter des früheren Europameisters Matteo Trentin.

Schwierige Lage, aber kein Abgesang nötig

Ein mit Superstars gespicktes Benelux-Team würde die Chancen für die Konkurrenz auf Siege aber wohl noch weiter schmälern. Davon zeugen die bereits erwähnten Dauersiege von Jumbo-Visma und Soudal-Quickstep. Letztlich würde das für den Rest des Feldes auch weniger Präsenz in den Medien und damit auch weniger Sichtbarkeit ihrer Sponsoren bedeuten – was den Radsport gänzlich in Schieflage bringen könnte. Ein Abgesang wäre aber noch verfrüht: Erstens haben schon frühere Fusionen gezeigt, dass der sportliche Erfolg nicht gesichert ist. Und zweitens ist die Fusion ja noch nicht offiziell.