Autofahren mit Stromantrieb? Für Porsche kein Neuland, sondern ein alter Hut. Tatsächlich hat ausgerechnet der Sportwagenbauer, dessen legendärster Antrieb bis heute ein röchelnder, luftgekühlter Sechszylinder ist, eine lange Geschichte in der Elektromobilität: dank dem Lohner-Porsche, den Stammvater Ferdinand Porsche für den Fahrzeugbauer Ludwig Lohner entwickelte; das erste Modell erblickte im Jahr 1900 als «Semper Vivus» («immer lebendig») an der Pariser Weltausstellung das Licht der Öffentlichkeit.
 
Optisch noch deutlich mit Pferdekutschen verwandt, hatte es mit seiner Bleibatterie bereits rund 50 Kilometer Reichweite. Porsche entwickelte in der Folge für Lohner auch bis heute moderne Konzepte für direkt am Rad montierte Nabenmotoren, 1902 sogar für ein Strom-Benzin-Hybrid, um die Reichweite zu verlängern.
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Rein elektrischer Viersitzer-Sportler

Dass es nun die Zuffenhausener Autoschmiede ist, die bei der Elektromobilität aufs Tempo drückt, folgt also einer historischen Kontinuität – und passt auch zum jüngsten Schritt, ihr wichtigstes Engagement im Motorsport neu auszurichten. Denn Porsche verlässt die Prototypen-Klasse LMP1 der Langstreckenweltmeisterschaft, wo der Konzern erst 2014 mit dem Modell 919 und einem technisch komplexen Hybridmotor angetreten war, dreimal in Folge Le Mans gewann und zweimal Weltmeister wurde.
 
Nun steigt Porsche in die günstigere Formel E um – und lernt hier mit den batteriegetriebenen Sportlern Neues für die Entwicklung der Strassenfahrzeuge, wie es zuvor mit den Hybriden vorexerziert wurde. Früh bot Porsche in drei Baureihen Hybridmodelle an und bringt 2019 einen rein elektrischen Viersitzer-Sportler namens Mission E.
Porsche Mission E

Gegenläufig öffnenden Türen: Porsche bringt 2019 einen rein elektrischen Viersitzer-Sportler namens Mission E.

Quelle: ZVG

Neue Infrastruktur für Elektromobilität

Die Leistungsversprechen für dieses Auto setzen auch der gesamten künftigen Infrastruktur für Elektromobilität neue Leitplanken. Weil die Batterie insgesamt 500 Kilometer Reichweite vorhält, 80 Prozent davon aber innert 15 Minuten nachladbar sein sollen, operiert Porsche mit einer Stromspannung von 800 Volt, doppelt so viel wie die derzeit üblichen 400 Volt – was zugleich eine Halbierung der Ladezeit bedeutet: Sie sinkt linear, weil Leistung ein Produkt aus Spannung mal Stromstärke ist. Dazu müssen nicht nur die Ladesäulen aufgerüstet werden von den heute verbreiteten 50 Kilowatt Ladeleistung auf 320 bis 350 Kilowatt – solche Säulen müssten erst einmal bereitstehen.
 
Genau diese Infrastruktur nimmt nun aber Formen an. Zusammen mit Audi vertritt Porsche den VW-Konzern im Vierer-Konsortium mit Daimler, BMW und Ford, das gemeinsam das Joint Venture Ionity betreibt.

Henne und Ei haben bald ausgedient

Diese Gemeinschaftsfirma will bis 2020 ein Netz von 400 solchen hochleistungsfähigen Schnellladestationen an Europas Hauptverkehrsachsen aufgebaut haben. Ein erster «Ladepark» geht bald versuchsweise in Berlin-Adlershof in Betrieb, die ersten rund 20 der 400 Stationen sind bereits in Bau und gehen ebenfalls in eine Testphase. Mit den 400 Ionity-Stationen sollen an den Fernverkehrsstrassen alle 100 bis 150 Kilometer Lademöglichkeiten bestehen. Damit dürften rein elektrische Urlaubstrips von Zürich an die deutsche Nordseeküste oder von Basel an die Amalfiküste künftig ohne Angstschweiss möglich sein.
 
Diese Grundabdeckung herzustellen, ist die hehre Aufgabe von Ionity, um das Henne-Ei-Problem aufzulösen: Ohne gesicherte Ladeinfrastruktur kauft kaum ein Kunde einen Stromer. Ohne Kaufinteressenten lohnt sich die Entwicklung von E-Autos nicht, und ohne genügend Stromer auf den Strassen lohnt sich wiederum der Aufbau einer kommerziellen Infrastruktur nicht.
Porsche Mission E

Hybrid-Porsche an der heimischen Ladesäule.

Quelle: ZVG

Typischer E-Tankstopp

Das Laden soll dann dem bekannten Tanken ähnlich werden. Gemäss Studien des Konsortiums sieht ein typischer Tankstopp von Auto-Fernreisenden wie folgt aus: Alle 500 bis 1000 Kilometer wird der Sprit knapp, das Tanken plus Bezahlen nimmt fünf bis sechs Minuten in Anspruch, oft gefolgt von einer 20-minütigen Kaffeepause. Das künftige Batterie-Aufladen werde rund 15 Minuten dauern, die Bezahllösung aber bereits im Tankvorgang integriert sein; Software machts möglich. Ebenfalls via Software nehmen Fahrzeug und Säule Kontakt miteinander auf; die Säule erkennt den Fahrzeugtyp selbständig.
 
Die Pause jedenfalls wäre in der Ladezeit quasi schon enthalten. In dieser Zeit kann der Betreiber des Ladeparks dann Geld verdienen – obwohl die Porsche-Manager versichern, nach ihren Berechnungen lasse sich mit einem künftigen Ladepark über eine Laufzeit von rund zehn Jahren ein finanzieller Break-even erreichen, während bisherige Ladestationen fast immer geförderte seien, also betriebswirtschaftlich Zuschussgeschäfte. Interessante Renditen müssten aber auch künftig mit Nebengeschäft erwirtschaftet werden: Kiosk, Restauration, Toilettenbetrieb, Werbung.
 
Porsches Hochvolt-Experte Michael Kiefer ist überzeugt: Sobald die Autos am Markt seien, werde das neue Businessmodell greifbar. Schon heute überlegten zahlreiche Firmen, wie man die Elektromobilität ins eigene Geschäft integrieren könne. Energieversorger etwa, so Kiefer, reagierten positiv auf die Entwicklung; für sie wären stromernde Autofahrer ein Zusatzgeschäft, das sie mit eigenen Ladeparks abschöpfen könnten. Aber auch Tankstellenketten, naturgemäss skeptischer gegenüber der Abwanderungsbewegung von Benzin und Diesel, würden die wachsende Kundengruppe der Stromer kaum auf Dauer vernachlässigen wollen. Ab 2020, so Kiefers Prognose, werde sich die Ladeinfrastruktur schnell verdichten.

Ladesäulen auf Gehsteigen

Porsche hat eine eigene Ladesäule für den neuen Standard entwickelt, überlässt den Vertrieb aber dem Partner Omexom, einer Tochter des französischen Bauriesen Vinci. Auch firmeneigene Garagen sollen mit Ladestationen ausgerüstet werden, eine Heimlösung für Privatanwender ist ebenfalls in Vorbereitung – ob Ionity zur Technik des Konsortialpartners greifen wird, sei aber nicht sicher. Es gebe keinen Startvorteil, und viele andere Anbieter aus der Stromausrüstung, wie Siemens oder ABB, dürften als Wettbewerber antreten.
Porsche
Quelle: ZVG
Unter den Autobauern soll Porsche der einzige sein, der eine Ladetechnik bis zur Marktreife entwickelt hat. Die Säule ragt über Kopfhöhe hinaus und hat einen Querarm, der auch körperlich schwächeren Personen die Handhabung des sieben Kilogramm schweren Ladekabels vereinfachen soll und zudem verhindert, dass das Kabel auf dem schmutzigen Asphalt liegen gelassen wird – heute ein häufiges Ärgernis bei Stromtankstellen.
 
Ihre kompakte Bauweise soll die Säule auch für Innenstädte attraktiv machen: Die Entwickler stellen sich vor, dass Exemplare auf Gehsteigen montiert werden, sodass die Autos am Strassenrand zum Laden parkieren können. Dass neue Softwarelösungen Fahrer zu Lademöglichkeiten lotsen, den aktuellen Belegungszustand und die Bezahlmöglichkeiten des Ladeparks übermitteln, aber auch freie Stellplätze in Parkhäusern suchen oder auch dank der starken Batterie das Auto per Fernbedienung schon zum Fahrtantritt auf gemütliche 22 Grad aufgeheiztwerden kann, dürfte Ende des Jahrzehnts zum Standard gehören.

Festkörper-Batterien als Standard

Die aktuelle Lithium-Ionen-Batterietechnik dürfte noch fünf bis sieben Jahre Lebensdauer und durchaus noch Potenzial zur Leistungssteigerung haben, vermuten diverse Branchenmanager – bis dann ein Technologiesprung einsetzt und die sogenannten Festkörper-Batterien zum neuen Standard avancieren. Sie verzücken Forscher bereits heute durch ihre Vorzüge, sind nicht brennbar, weisen aber eine längere Lebensdauer, eine höhere Energiedichte und kürzere Ladezeiten auf. An solchen «Solid State»-Batterien forschen nicht nur Autofirmen wie Toyota, Hyundai oder Continental, auch E-Auto-Pionier Henrik Fisker und Elektro-Tausendsassa James Dyson sind eingestiegen. Die Ladesäulen von Ionity werden auch diese Batterien problemlos laden.
 
Und zumindest Porsche, andere Zulieferer für Ladetechnik haben ihre Projekte bisher nicht präsentiert, hat schon einen Entwicklungsschritt eingebaut: Die Säulen sollen auf 500 Kilowatt hochrüstbar sein. Dann würde das Laden einer Batterie tatsächlich kaum noch länger dauern als das klassische Volltanken.
 
Dieser Text erschien in der Ausgabe 01/2018 der BILANZ.