Eigentlich macht Michel Parmigiani so gut wie alles selber – ausser Reklame für sich selbst. Die liegt ihm weniger. Er lechzt weder nach Interviews, noch tritt er in der Hochglanzpresse auf. Dafür beherrscht er alle Ebenen der Uhrmacherei: Konstruktion wie Produktion und, nicht zu vergessen, die Formgebung mitsamt den Zeigern, Zifferblättern und Bändern. Wer eine Parmigiani in der Hand hält, weiss, wer sie kreiert hat: Michel Parmigiani.
Statt an der Cocktailfront das Glas zu heben, erklärt der Mann seinem Besucher lieber in der Betriebsküche, warum er etwa Spiralfeder und Spiralrolle nicht laserschweisst, sondern mechanisch fixiert. Dabei wird klar: Er denkt wirklich über jedes Detail nach.
Seine umfassende Beherrschung der Uhrmacherei verleitet ihn jedoch keineswegs dazu, den Vorsprung zu geniessen und sich auszuruhen. Vielmehr dringt er immer weiter vor im Aufbau einer autonomen Produktionstiefe.
Erst kamen die Konstruktion und der Produktionsaufbau eigener Werke, dann ging das Haus dazu über, auch die Unruhfedern selber zu ziehen (statt sie bei der grossen nationalen Quelle zu beziehen), und jetzt steht der Aufbau einer Fertigung für die gesamte Unruhpartie an. Was relativ unspektakulär tönen mag, kostet viel Geld: eine Investition von 100 Millionen Franken.
Dahinter steckt eine gezielte Politik: Michel Parmigiani ist ein gelernter Uhrmacher mit einer Leidenschaft für alle Komplikationen. Als langjähriger Restaurator hat er ein scharfes Auge entwickelt sowohl für konstruktive Schwächen wie auch für den Einfluss von Material und Fertigungsqualität auf die Gesamtqualität einer Uhr, sprich ihre Ganggenauigkeit und ihre Zuverlässigkeit.
Mit dem Qualitätsstandard des Marktes und der Zulieferer mag er sich nicht begnügen. Michel Parmigiani ist in der Uhrenwelt nicht der Einzige, der so denkt. Rolex verfolgt seit Jahren eine Politik der «double source» und hat gezielt eigene Kapazitäten für Grundprodukte wie Unruhfedern aufgebaut. Nur ist Rolex ein Grossproduzent, der sich mit seiner – mit unendlicher Beharrlichkeit verfolgten – jährlichen Zuwachsrate von fünf Prozent auf die Millionengrenze zubewegt. Michel Parmigiani dagegen peilt die Schwelle von nur gerade 3000 Uhren im Jahr an. Gemessen an der Produktion von Rolex wären das drei Promille.
Paradoxerweise haben gerade die kleinen Zahlen und die Aussicht, dass sie sich kaum dramatisch steigern werden, den Weg in die vollständige uhrmacherische Autonomie gewiesen. Dass Parmigiani beispielsweise selbst die Zifferblätter im eigenen Haus herstellt, ergab sich aus der Konsequenz der kleinen Serien. Kein Lieferant reisst sich um kleine Lose. Schon gar nicht, wenn der Kunde Extrawünsche anmeldet bei Form, Farbe und Veredelung. Auch bei der Herstellung der Gold- und Platingehäuse ist Parmigiani autonom. Dank einer eigenen Produktion in La Chaux-de-Fonds.
Erst diese uhrmacherische Allkompetenz, zu der nicht zuletzt ein eigenes Konstruktionsbüro mit zwölf Ingenieuren gehört, ermöglichte Parmigiani in bemerkenswertem Tempo solch radikale Neuschöpfungen der Armbanduhr wie die Bugatti 370 mit ihrem vertikal aufgebauten Werk. Es zeigt da die Zeit an, wo sonst die Krone ist. Ein weiterer Reiz ist die «Kraftübertragung» über Kegel und Tellerrad. Auch das eine uhrmacherische Nouveauté.
Möglich wurden diese Leistungen durch eine glückliche Verbindung von Geist und Geld. Michel Parmigiani – Abkömmling einer aus dem Piemont ins Val-de-Travers eingewanderten Familie und geboren 1950 im benachbarten Couvet – ignorierte die Uhrenkrise ebenso wie die Quarzwelle. Er machte sich 1976 unter seinem Namen selbständig. Die Leidenschaft für uhrmacherische Spitzenleistungen führte zum Aufbau einer eigenen Sammlung, und über seine Arbeit als Restaurator wurde der vielseitig Begabte so etwas wie der Kurator der Uhrmacherei und insbesondere derjenigen im Val-de-Travers. Darüber kam er zu den Rechten an bekannten Namen: Vaucher und Bovet. Gleichzeitig arbeitete er an einer eigenen Kollektion.
Bis sich 1996 das Geld mit dem Geist verband. Die Sandoz-Stiftung der Familie Landolt – an schneller Rendite gänzlich uninteressiert, am Wiederaufbau und Ausbau von uhrmacherischem Savoir-faire und an der Erhaltung eines Werkplatzes Schweiz dagegen sehr interessiert – stieg ein. Rückblickend kann man ihr nur einen guten Riecher attestieren. Die Nachfrage nach hochwertigen mechanischen Werken nahm seither nur zu, und langsam entwickelt sich auch wieder ein Bewusstsein für das, was echt ist.
Nach dem Entscheid von Hermès, die Werke fortan aus Fleurier zu beziehen, beschloss Parmigiani, die Werkekonstruktion und die Montage fortan unter dem Namen Vaucher Manufacture Fleurier weiterzuführen und exklusiv für Parmigiani einzig ein Atelier für die ultimativen Komplikationen zu reservieren. Wobei die Werke in den Parmigiani-Uhren mit dem Stempel «Parmigiani» gepunzt sind, während sie in den Gehäusen anderer Marken seither unter dem Namen «Vaucher Manufacture Fleurier» segeln. Das war im Jahre 2003.
7000 Werke produziert Vaucher derzeit, 28 000 könnte sie maximal herstellen. 250 Angestellte beschäftigt das Unternehmen, das grossen Wert auf optimale Bedingungen legt, heute. Die Uhrmacher-Etablis stehen allesamt in staubgeschützten Zonen.
Grosszügig ausgelegt ist auch das Konstruktionsbüro. Elf Ingenieure entwickeln jedes Jahr ein neues Kaliber. Eine eigene Lehrwerkstatt, geführt von einem Meister als Ausbildungschef, ist ein weiterer Beleg für das sehr langfristige Denken bei Parmigiani.
Platinen und Brücken fertigt Vaucher in den eigenen Ateliers. Räder, Triebe, Schrauben, Zapfen – gute Zapfen waren noch nie so selten in den letzten 100 Jahren –, Spiralfedern und nunmehr auch alle Komponenten der Hemmpartie fertigt die unternehmenseigene Atokalpa im jurassischen Alle bei Porrentruy. Die Feinbearbeitung der Teile – das Anglieren (so heisst das Kantenschleifen der Werkteile), das Polieren und die Werkdekoration – ist wieder die Aufgabe einer eigenen Abteilung in Fleurier.
Die rechteckig flächigen Uhren der Kalpa-Serie mit den schwungvollen Attachen in Form kleiner Kotflügel bestimmen heute stark das Bild der Marke Parmigiani. AC-Milan-Stürmer Andrej Schewtschenko trägt sie in Weissgold. Das grosszügig dimensionierte Formwerk ist eine Rarität.
Ultimative uhrmacherische Leistung ist sicher die Westminster mit der Minutenrepetition und dem Carillon auf vier Tonfedern. Nicht zu vergessen die 24-Stundenanzeige und das Tourbillon. 300 Stunden braucht der Chefuhrmacher, um das Werk zu remontieren.
Die Bugatti, die sich Giorgio Armani gönnte (Kostenpunkt: 269 000 Franken), ist aus einer einmaligen Serie, limitiert auf insgesamt 300 Stück. Ein grosses Wort angesichts des eigens für diese Uhr entwickelten Werkes mit einem Handaufzug, für den eine Art elektrischer Schraubenzieher mitgeliefert wird. Man könnte sie auch mit einem Schlüssel aufziehen. Nur für die Krone fanden die Konstrukteure keinen Platz mehr. Aber bei einer Gangreserve von zehn Tagen ist die Krone ja auch nicht mehr ganz so wichtig.