Wer trinkt in der schnelllebigen Welt noch Weine, die für vierzig Jahre im Keller vor sich hingeschlummert haben? Wo ist da noch Raum für den gepflegten zwanzigjährigen Tawny, einen fruchtigen Ruby oder einen frischen White Port?
Da ist viel Platz, wie die Verkaufszahlen zeigen. Das Jahr 2021 war für das Port-Business eines der besten Jahre seit langem. In der Schweiz ist der Absatz um 21 Prozent gestiegen, im Premium-Markt der teuren Ports sogar um 31 Prozent. Darüber freut sich Port-Experte Hans Bürgi. Er ist Besitzer des wichtigsten Port-Händlers in der Schweiz, der Ceracom AG – Port Wine Company. «Portweine sind noch immer sehr gefragt. Das wird sich auch nicht so schnell ändern. Dafür sind sie einfach schlicht zu bezaubernd», sagt er.
Woher kommt dieser Zauber? Portweine sind aufgesprittete Weine, die nur aus einer ganz bestimmten Region stammen dürfen, nämlich aus dem portugiesischen Dourotal. Unter Reben stehen etwa 45'000 Hektaren. 22'000 Weinbauern sorgen für den Nachschub an Trauben, die von grossen Herstellern und in sogenannten Quintas verarbeitet werden. Die Regionen sind seit mehr als 250 Jahren definiert, seit 2001 ist das Dourotal auch Weltkulturerbe. Die trockenen, steilen Hänge bieten sich für den Weinbau an. Unterschiedliche Höhen, divergierende Mikroklimata, das trockene Klima, unterschiedliche Säure, Reifegrade und Tannine – dieser Mix sorgt seit Jahrhunderten für komplexe, lagerfähige, grandiose Weine.
Die Königsklasse der Portweine
Das Herstellungsverfahren ist nicht kompliziert. Port wird wie andere Weine auch auf der Maische gelassen, der Zucker wird in Alkohol umgewandelt, Wein entsteht. Aber dann wird die Gärung gestoppt, indem man dem Wein geschmacks- und geruchsneutralen Branntwein beigibt, seit Ende des 19. Jahrhunderts etwa im Verhältnis 1:5. Der Branntwein von etwa 70 Volumenprozent tötet die Hefen ab, die Weine bleiben süss und entwickeln sich sehr viel langsamer. Es entstehen tiefe, grossartige Weine. Das «Aufspritten» nennen die Briten «Fortification». Ein viel schönerer Begriff. Den Briten haben wir diese Art der Fermentierung zu verdanken. Sie hatten im Spätmittelalter so die Weine transportierbarer und lagerfähiger gemacht. Portweine sind nie reinsortig, sie müssen immer mindestens vier Sorten vereinen. Meist sind das die «üblichen Verdächtigen», die grossen portugiesischen Traubensorten Touriga Franca, Tinta Roriz, Tinta Barroca und Touriga Nacional. Zugelassen wären aber 115 Sorten, 67 rote und 48 weisse Rebsorten.
Nach der Gärung wird der Wein in grossen Behältnissen gelagert und kontrolliert, bis er schliesslich für die jeweiligen Portweinsorten unterschiedlich weiterverarbeitet wird. Aber da wird es etwas komplizierter. Denn Portwein, das ist nicht nur Rot (85 Prozent), Weiss (13 Prozent) und Rosé (2 Prozent). Bei den roten Portweinen unterscheidet man grundsätzlich einmal zwischen flaschengelagerten Weinen, den sogenannten Ruby und den fassgelagerten, den Tawny.
Rubies sind, wie es der Name sagt, rubinrot bis fast violett, Tawnies bernsteinfarben bis braun. Rubies werden nach der Vinifizierung in Flaschen abgefüllt und reifen in der Flasche, Tawnies reifen in kleinen Fässern. Standard-Rubies werden meist aus mehreren Jahrgängen verschnitten, sind nur kurz gelagert, schnell verkauft und nicht wirklich teuer (um die 10 Franken). Sie eignen sich zum schnellen Trinken oder für die Küche. Es hat keinen Sinn, sie zu lagern, sie profitieren nicht davon.
Eine Kategorie höher sind die Reserve Ruby Ports und die Late Bottled Vintage Ports zu finden, die sogenannten LBVs. Reserves und LBVs ruhen drei bis fünf Jahre in grossen Fässern. Sie werden runder, aromatischer und zugänglicher. Während die Reserve Ports aus mehreren Jahrgängen verschnitten werden, stammen die LBVs nur aus einem Jahrgang. LBVs sind für Weinliebhaber quasi die «Einstiegsdroge», weil sie eine ähnlich fruchtige Komplexität wie grosse klassische Weine haben. Die Preise bewegen sich um 25 bis 40 Franken.
Portwein als Investment
Port-Guru Axel Propst antwortet in seinem umfangreichen, neu aufgelegten Standardwerk «Portwein» auf die Frage, ob Portwein ein sinnvolles Investment sei: «Jein, aber …» Natürlich sind die Preise für exklusive Ports in den vergangenen Jahren teils regelrecht explodiert. Das hat aber mehr mit den tiefen Zinsen als mit dem – durchaus attraktiven –Produkt zu tun. Heute, da die Zinsen wieder steigen, ist Vorsicht geboten. Probst: «Nur Vintage-Ports eignen sich als Investments, vielleicht mit Ausnahme einiger sehr alter Colheitas und Garrafeiras. Und man sollte sich auf grosse, bekannte Häuser und sehr gute Jahrgänge konzentrieren.» Das heisst: Was für Bordeaux gilt, gilt auch für Port.
Seit auch erste Weinfonds beim Topjahrgang 2011 eingestiegen sind, sind gewisse Top-Vintages sofort weg und tauchen in den Angeboten fast nicht mehr auf. Kommt dazu, dass man als Investor einen langen Atem braucht. Die grossen Preissprünge ergeben sich erst, wenn die Topweine langsam das optimale Trinkfenster erreichen. Dann kann der Markt das Potenzial abschätzen. Aber das ist bei den besten Portweinen erst nach 30 bis 40 Jahren der Fall.
Die «Königsklasse» unter den Ruby-Ports sind die Vintage-Ports. «Sie zählen zu den grössten Weinen der Welt», sagt Weinexperte Axel Probst in seinem Standardwerk «Portwein». Sie werden nach zwei Jahren bereits in die Flasche abgefüllt und sollten «mindestens 20 Jahre, je nach Jahrgang noch wesentlich länger gelagert werden», schreibt Probst. «After 19 years, you can tell the men from the boys», formulieren es die Engländer. Vintage-Ports entwickeln Aromen von dunkler Schokolade, von Malz oder Kirsch, von Honig, Trüffel oder Nougat. Heute werden die Jahrgänge von 1927 bis 1977 zum Kauf empfohlen. Die Preise fangen bei 50 Franken an und gehen weit über 100 hinaus. «Vintage-Ports sind zurzeit beim Publikum sehr gefragt», sagt auch Hans Bürgi, nach Meinung vieler der beste Portwein-Kenner der Schweiz. Welches sind für ihn zurzeit die gefragtesten Vintage-Ports?: «Es sind alles Portweine mit Charakter, mit komplexer Machart, breitem Aromenspektrum und Tiefgang. Sie sind oft mehr Essenz denn Wein.» Die besten hat er in der Top-Seven-Liste aufgeführt.
Port at its best!
Sieben erstklassige Portweine, die in der Schweiz – noch – erhältlich sind. Zusammengestellt vom Portwein-Experten Hans Bürgi.
Aromen von Weihnachtsgebäck
Die zweite grosse Kategorie der roten Portweine sind wie beschrieben die Tawnies. Der Grossteil wird nach einigen Jahren in 550-Liter-Fässer abgefüllt und reift dort vor sich hin. Mindestens 10 Jahre, oft aber noch mehr, 20, 30 oder 40 Jahre, seit neustem dürfen sogar 50- und 80-jährige Ports verkauft werden. 10-jährige Tawnies kosten etwa bis 25 Franken, 20-jährige zwischen 35 und 50 Franken, 40-jährige bis weit über 100 Franken. Und wie so oft: Je älter der Wein, desto tiefgründiger und einladender die Aromenvielfalt: Da riecht und schmeckt man Orangeade, geröstete Haselnüsse, Malz, Espresso, Trüffel oder Marzipan. Es steigen plötzlich Aromen von Trockenfrüchten auf, von Karamell, Weihnachtsgebäck, von Feigen, gebrannten Mandeln – Jahrmarkt, Erntedankfest und Weihnachten, alles gleichzeitig in der Nase.
«Mein persönlicher Favorit ist der 20-Year-Tawny von Graham’s»
Harry Symington ist Vintage-Port-Verantwortlicher bei Symington Family Estates. Mit Marken wie Graham’s, Dow’s, Cockburn’s und anderen ist die Firma einer der grössten Anbieter auf dem Markt für Portwein, wo insgesamt Ports für 930 Millionen Dollar umgesetzt werden.
Harry Symington, wo sehen Sie die Zukunft im Portwein-Geschäft?
Im vergangenen Jahrzehnt ging der Trend klar zu den Rubies. Vor allem bei Premium-Ports stiegen die Verkäufe deutlich. In den nächsten Jahren dürfte auch bei den Tawnies wieder ein Zuwachs zu verzeichnen sein. Einfach weil sie so attraktiv sind – preislich und von der Qualität her. Was auch für sie spricht, ist die Tatsache, dass man sie offen besser lagern kann.
Welche Vintage-Jahrgänge würden Sie empfehlen?
Im letzten Jahrhundert sind das die Topjahrgänge 1955, 1945, 1953 oder 1970. In diesem Jahrhundert waren 2007 und 2011 phänomenale Jahrgänge.
Und Ihr persönlicher Port-Tipp?
Mein persönlicher Favorit ist der 20-Year-Tawny von Graham’s. Abgesehen davon, dass er wundervoll gealtert ist und herrliche Aromen zeigt, ist er unkompliziert. Ich kann ihn in den Kühlschrank stellen und glasweise trinken. Er hält sich so bis zwei Monate.
Die Liebe zum Port hat natürlich ein Biotop von noch älteren, rareren Weinen entstehen lassen. Bei den Rubies sind das die Limited-Edition-Vintage-Ports, bei den Tawnies die Premium-Tawny-Ports. Hier wirds sehr exklusiv und teuer. Schon die Vintage-Ports machen nur 2 bis 5 Prozent des 950-Millionen-Marktes mit Portweinen aus, da bleibt für die Überflieger noch viel weniger. Da gibt es zum Beispiel die Quinta do Noval Vintage Ports «Nacional», die auf wurzelechten Stöcken wuchsen (je nach Jahrgang bis 1400 Franken). Oder Taylor’s Quinta de Vargellas Vinha Velha (ca. 300 Franken) , der von vier verschiedenen Parzellen mit über 100-jährigen Reben stammt. Oder den Pisca von Niepoort, der von einem komplett für diese Limited-Edition-Vintages angelegten Weinberg stammt. Bei den fassausgebauten Tawnies sind der Scion (ca. 2500 Franken) oder der VV von Niepoort (1450 Franken) schon Legende.
«Es ist wie bei anderen grossen Weinen auch: Exklusive, hochwertige Portweine sind in der Regel halt stark limitiert und daher sehr teuer», sagt Bürgi. Aber beim Kauf sollte man vorsichtig sein: «Selten» oder «sehr alt» garantieren noch nicht einen aussergewöhnlichen Genuss.» Am besten schmeckt man sich ganz einfach von unten hoch. Man muss nicht direkt mit einem Ne Oublie beginnen, der 6500 Franken kostet.
Das Dourotal mit den Weinstöcken sehen. Dann das erste Mal das bernsteinfarbene Elixier trinken, umflort von Aromen wie Orangeade, Blütenhonig oder Karamell. Das entfacht die Liebe zum Portwein.
Eine Kombination für die Ewigkeit
Portweine sind als Digestif die perfekte Ergänzung für eine feine Zigarre. Rolf Scherrer (80 Jahre), früherer Besitzer des House of Port, hat seinen Lebensmittelpunkt vor einigen Jahren nach Kuba verlegt. Wenn jemand weiss, welches die perfekten Kombinationen von Zigarren und Port sind, dann er.
Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der «Handelszeitung», erschienen (Dezember 2023).