Die Ausgangslage im Weinduell ist klar: Die Schweiz ist der Underdog und Frankreich der klare Favorit. Knapp hundert Millionen Liter Wein werden in der Schweiz pro Jahr produziert. Lächerlich, wenn man bedenkt, dass in Frankreich allein das Bordeaux jede Woche so viel schafft – insgesamt 4,5 Milliarden Liter. Kommt hinzu, dass aus Frankreich ein grosser Anteil exportiert wird, während es aus der Schweiz gerade mal 1 Prozent ins Ausland schafft – oft zu Auslandschweizern, Botschaften und Sammlerinnen.

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Kein Wunder, sah auch die hochkarätige Jury eher Frankreich in der Favoritenrolle, das ewige Vorbild in Sachen feine Weine. Vor dem Blindtest waren die fünf Profis und die zwei Amateurtester in der Brasserie des noblen «Baur au Lac» in Zürich noch der Meinung, dass man nicht ausschliessen könne, dass das grosse Frankreich die Schweiz überrollen könnte.

Der Test

Weinjournalist Hans Schneeberger hat vergleichbare Weine aus Frankreich und der Schweiz aus dem Sortiment Baur au Lac Vins ausgewählt. Die Weine aus der Schweiz sollten im Schnitt nicht teurer als die französischen sein.

Anschliessend wurden die ausgewählten Weine von Marc Almert (unten im Bild), dem Sommelier-Weltmeister 2019 und Chefsommelier des «Baur au Lac» in Zürich optimal für den Blindtest vorbereitet. Die anderen Jurymitglieder waren in diesen Prozess nicht involviert. Sie wussten nicht, welche Weine sie testen, nur dass es ein Ländervergleich zwischen Frankreich und der Schweiz sein würde.

Die Jury traf sich zum Tasting im noblen «Baur au Lac» in Zürich. Jeder Wein wurde von jedem Jurymitglied mit einer Note auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet. Für den Ländervergleich zählte, welchem Wein aus welchem Land ein Jurymitglied die bessere Note gegeben hatte. Getestet wurden je drei Rotweine (Merlot, Pinot, Syrah-Blend), je ein Weisswein und je ein Schaumwein.

Marc Almert ist Sommelier-Weltmeister 2019 und Chefsommelier des «Baur au Lac».

Marc Almert ist Sommelier-Weltmeister 2019 und Chefsommelier des «Baur au Lac».

Quelle: Anne Gabriel-Jürgens für Millionär Magazin

So ging es in die Startphase, die ein Duell der Schaumweine eröffnete. Aus Frankreich der biologisch produzierte Champagner André Clouet Silver Brut Nature (49.80 Franken). Aus der Schweiz der Brut vom Weingut Hansruedi Adank in Fläsch (46.50 Franken). Die Jury entschied mit vier zu drei für den Franzosen. Wobei die Profitester den Ausschlag zugunsten des Franzosen gaben, denn die Amateure waren beide für den Schweizer. Dem gaben auch die Profis gute Noten. Sie attestierten ihm eine wunderbare Machart, feine Zitrusnoten, Hefe, Popcorn, eine schäumende Perlage und eine komplexe Frucht. Doch der Franzose sei noch besser. Man rieche Brot, Granny-Smith-Apfel, der Champagner sei intensiv, gar pikant, er habe Charakter und sei sehr modern. Also eins zu null für Frankreich, wie Marc Almert, Sommelier-Weltmeister 2019 und Chefsommelier des «Baur au Lac», nach dem Duell auflöste.

Der Pinot noir bringt Frankreich in Führung

Mit einem Chardonnay-Vergleich gings in die nächste Runde. Auf Schweizer Seite ein Chardonnay «Unique» von Martin Donatsch aus der Bündner Herrschaft (circa 150 Franken) – wohl einer der besten Weissen der Schweiz. Er trat gegen einen nicht minder potenten Chardonnay an, den Puligny-Montrachet 2020 von Remoissenet (100 Franken). Hier entschied die Jury mit vier zu drei Stimmen zugunsten der Schweiz. Wobei die Mehrheit der Jury den Schweizer Wein für den Franzosen hielten. Umso grösser war die Überraschung über den Sieg der Schweiz in dieser Kategorie. 

Einen klaren Sieger gab es bei den Pinot noirs. Für die Schweiz stieg Erich Meier mit seinem viel gerühmten «Kirche» 2020 (59 Franken) in den Ring. Für Frankreich lief der Beaune-Grèves 2019 von Tollot-Beaut (72 Franken) auf. Beide Weine erhielten sehr hohe Noten, meist über 4,4 (in einer Skala von 1 bis 5). Aber der Pinot von Tollot-Beaut wurde im Blindtest als frischer, jugendlicher, saftiger und zugänglicher empfunden. Nur ein Jurymitglied sah den Schweizer vorne, womit Frankreich mit zwei zu eins in Führung ging.

Grosse Überraschung bei den Merlots: Die Schweizer Fahne hielten die vier Tessiner Winzer Brivio, Delea, Gialdi und Tamborini mit ihrem «Quattromani» 2020 (62 Franken) hoch. Auf der anderen Seite baute sich ein Schwergewicht auf: Château Gazin, mit 94 Franken doch deutlich teurer, und einer der renommierteren Merlots aus dem Pomerol. Auch hier erhielten beide Weine sehr hohe Noten. Gianduja, Brombeercoulis, Dörrpflaumen, viel Würze und klasse Tannine fand man beim Pomerol. Vanille, reife Pflaumen, herrliche Röstaromen, perfekt eingebundene Tannine, etwas weniger dicht, aber sehr einladend, wurden dem Schweizer zugeschrieben. Das Urteil war eindeutig: zwei zu fünf für den «Quattromani». Der Tessiner holte die Schweiz mit dem Punkt zum Zwei-zu-zwei ins Spiel zurück.

Syrah bringt den Sieg für die Schweiz

Die Entscheidung musste also der letzte Rotwein bringen. Hier traten ein Syrah aus dem Wallis gegen einen Syrah-Blend aus der Côte Rôtie, im nördlichen Rhône-Weinbaugebiet, gegeneinander an. Der Schweizer Prés des Pierres Vieilles Vignes 2018 von Didier Joris aus Chamoson VS (64 Franken) gegen den Franzosen Côteaux de Bassenon 2018, Côte Rôtie (103 Franken).

Ausgerechnet beim letzten Duell gingen die Meinungen so in alle Richtungen wie nie davor. Das lag wohl auch an der eher schwierigen Sorte Syrah. Einige Juroren und Jurorinnen mochten beide Weine nicht, andere attestierten ihnen gute Struktur, intensive Beerigkeit, balsamische und Pfeffernoten sowie Frische und Tiefe. Interessanterweise tippten hier zum einzigen Mal alle sieben der Jury die beiden Länder richtig. Und zudem sahen fünf von ihnen die Schweiz vorne. Das führte zum Endresultat von 3:2 für die Schweiz.

Sieg für die Aussenseiterin. Ein Hoch auf die Schweiz und ihre Winzer und Winzerinnen. «Die Schweiz kann an der internationalen Spitze absolut mithalten. Vor allem bei den Stillweinen», sagte Jurorin Miriam Grischott, Weinakademikerin und Gründerin des Wine Hub Alps. Oft sei es auch gar nicht mehr so einfach, die französischen Weine überhaupt herauszuschmecken: «Die Stilistiken vermischen sich weltweit immer mehr.» Und die deutsche Önologin Ursula Geiger ist gar überzeugt: «La Grande Nation braucht es als Vorbild nicht mehr.»

Die Duelle

Nach der Niederlage beim Schaumwein und einem knappen Sieg beim Weisswein konnte die Schweiz zwei von drei Duellen bei den Rotweinen gewinnen.

Nach Einschätzung von Lidwina Weh, Wine-Consultant, Ausbildnerin und x-fach ausgezeichnete Sommelière, hat die Schweiz «Preis-Wert-mässig absolut geglänzt» und super abgeschnitten. Sie schränkt allerdings ein, dass es bei den Franzosen «schon noch einige Etagen nach oben gehen würde», in Qualitätsregionen, bei denen dann die Schweizer wohl Mühe hätten, noch mitzuhalten – dazu dürften Château d’Yquem, Latour und Romanée-Conti gehören.

Auch Ivan Barbic, Master of Wine, mochte nicht ganz in die Schweizer Euphorie einsteigen. Er hatte in vier von fünf Duellen blind dem französischen Vertreter den Vorzug gegeben. «Man vergisst oft, dass Frankreich die Wiege der Qualitätsweinproduktion ist.» Die Degustation habe ihm in Erinnerung geru-fen, dass es doch von Vorteil sei, schon jahrzehntelang Weine in allen Details auf höchstem Niveau zu produzieren. «Wie Frankreich halt.»

Die Stärken der Terroirs herausgearbeitet

Für die beiden Amateurweinliebhaber war die Blinddegustation ein «Augenöffner», so fasste es Christina Elvedi, Art Directrice des Magazins «Millionär», zusammen: «Sich voll auf den Geschmack konzentrieren, ohne Ablenkung.» Das Resultat freut sie: «Ich mag Schweizer Weine. Als Heimwehbündnerin vor allem die aus der Bündner Herrschaft. Auch «Millionär»-Chefredaktor Harry Büsser ist ein Fan von Schweizer Weinen. «Nach diesem Sieg natürlich noch mehr!», so der Genusstrinker, der über sich selber sagt, er sei kein «Weinphilosoph», sondern einfach gestrickt: «Ein Wein schmeckt mir oder eben nicht.»

Fakt ist: Schweizer Wein hat in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Die Weine wurden besser, filigraner oder mächtiger. Junge, gut ausgebildete Winzerinnen und Önologen wagten Neues, stellten die Arbeit ihrer Väter infrage. Sie experimentieren mit neuen Sorten, mit Beschränkungen, mit biologischem und biodynamischem Anbau, sie blenden, testen, spielen.

In den verschiedenen Regionen wurden die Stärken der Terroirs herausgearbeitet, die Schwächen zurückgedrängt: Im Tessin entstanden grandiose Merlots, in der Bündner Herrschaft feingliedrige, elegante Pinots, die den Vergleich mit dem Burgund nicht zu scheuen brauchen. Die Waadt glänzt mit grossartigen, mineralischen Chasselas, das Wallis mit wunderschönen autochthonen Weinen, die den Ruf von Petite Arvine, Cornalin, Humagne rouge und Co. in die Welt hinaustragen. Dass die wichtigste und einflussreichste Weinkritikerbibel, Robert Parkers «Wine Advocate», dem Petite Arvine «Grain par Grain» der Walliser Winzerin Marie-Thérèse Chappaz kürzlich den Perfect Score, also 100 Punkte, verlieh, war letztlich nur noch die Bestätigung für diesen Aufschwung.

Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der Handelszeitung, erschienen (Oktober 2023).