Wenn Anja Graf ihren Gästen Champagner serviert, werden sie mit einem Spitzengewächs verwöhnt. Aber getrunken wird aus einfachen Flutes, die nicht viel kosten: «Wir haben für unsere Gläser den gleichen Lieferanten, der auch für die Migros produziert», so die nüchterne Auskunft der Immobilienunternehmerin.
Ob in ihren verschiedenen Domizilen in Ibiza, St. Moritz, Bukarest, bei ihren Eltern in Winterthur oder in einer ihrer 2500 Wohnungen, die sie unter dem Label Visionapartments voll möbliert für kürzere oder längere Aufenthalte in den grösseren Schweizer Städten wie Zürich und Genf oder in Warschau und Bukarest vermietet – überall wird aus der gleichen Art Gläser getrunken. Sie sind robust, spülmaschinenfest und so günstig, dass es kein Drama ist, wenn mal eins zu Bruch geht.
Diese unprätentiöse Art prägt den Lebensstil der erfolgreichen Immobilienunternehmerin und Familienfrau Anja Graf. Bett- und Badewäsche sowie Geschirr und Küchengeräte werden nach eigenen Entwürfen in drei Stilrichtungen in grossen Mengen zu günstigen Konditionen in der ganzen Welt gefertigt. Sie finden sich nicht nur in den privaten Domizilen und den Mietwohnungen, sondern werden auch über einen eigenen Onlineshop verkauft, für besonders Eilige sogar als Pauschalpaket, zum Beispiel für eine grosse Küche. Graf geht davon aus, dass es vielen so geht wie ihr: «Ich habe keine Zeit, deshalb mag ich es praktisch, unkompliziert und effizient.»
Dank ihrer pragmatischen Art und ihrem Streben nach Effizienz und Standardisierung konnte Anja Graf ihr Unternehmen sehr schnell entwickeln. Was in jungen Jahren mit der Vermietung einiger möblierter Zimmer an Fotografen und Models begonnen hatte, wurde im Laufe der letzten 25 Jahre zu einem Imperium mit 2500 Mieteinheiten mit einem von Anja Graf bezifferten Anlagewert von 1,5 Milliarden Franken. Nach dem Abbruch des Gymnasiums und zwei Jahren harter Arbeit und einem Jahresumsatz von 280'000 Franken kaufte sie ihr erstes Haus an der Zürcher Militärstrasse. Das Startkapital bestand aus einem Erbvorbezug von ihren Eltern Margrit und Ulrich Graf, dem ehemaligen CEO der Schlüsselspezialistin Dormakaba. Seitdem hat sie regelmässig zugekauft, vor allem in Krisenzeiten und zunehmend auch mit Fokus auf grössere Objekte, so zum Beispiel in der Nähe von Zürich in Glattbrugg, wo sie seit April dieses Jahres ihr Wohnungsangebot auf einen Schlag um 316 zusätzliche Einheiten erweiterte.
Ihre Organisation mit rund 300 Mitarbeitenden sei inzwischen eine «gut geölte Maschine», so Anja Graf. Man hält Ausschau nach Gewerbebauten wie Bürohäusern oder Hotels in urbanen Zentren, die sich für eine Umnutzung zu möblierten Mietwohnungen eignen. Oft sind die Bewilligungsverfahren das Mühsamste und Langwierigste am ganzen Prozess, je nach Region und beteiligten Behörden können da manchmal Jahre vom Kauf bis zur Inbetriebnahme neuer Einheiten vergehen. Dennoch bleibt Anja Graf gelassen: «Wir haben einen guten Cashflow aus den Bestandsimmobilien und eine Eigenfinanzierung von rund 50 Prozent. Deshalb können wir auch Wartezeiten gut überbrücken.»
Die Handschrift der Kreativdirektorin
Aber wenn die Bewilligung mal erteilt ist, geht es Schlag auf Schlag. Mit ihrem festen internen Architekturteam und einer langjährigen Mitarbeiterin, die im Verkauf begonnen hat und inzwischen als Kreativdirektorin zusammen mit Anja Graf die Interiorkonzepte entwickelt und umsetzt, können die Umbauten und Gestaltungen dank standardisierten Lösungen, eingespielten Teams und effizienten Prozessen sehr schnell realisiert werden. Dank der Einbindung von Totalunternehmern schützt sich Anja Graf vor unangenehmen Überraschungen auf der Kostenseite und Baumängeln.
So geht Bauen à la Anja Graf
Wenn Anja Graf ein neues Projekt in Angriff nimmt, bindet sie neben ihrem eigenen Architekturteam in jeder Stadt das am besten vernetzte Büro ein. Dieses ist für die Baueingabe verantwortlich, und die lokale Verankerung hilft beim Bewilligungsprozess.
Graf setzt für die Umsetzung von Umnutzungsprojekten nach der Bewilligungsphase auf Totalunternehmer, die auch die volle Verantwortung für die Architektur übernehmen.
In den Verträgen mit den Totalunternehmern werden Zeitpläne und Kostendächer geregelt. Sie müssen auch die Verantwortung und die Haftung für allfällige Baumängel auf 20 Jahre hinaus übernehmen. Graf: «Damit spare ich Geld und vermeide Risiken.»
Anja Graf akzeptiert in ihren Verträgen mit den Totalunternehmern keine Mehrkosten, die im Laufe eines Projekts auftauchen können. Auch Inflationsanpassungen werden vertraglich ausgeschlossen. Anja Graf schützt sich so vor unliebsamen Überraschungen und kann ihre Businesspläne leichter einhalten.
Zusätzlich zu einem Totalunternehmer bindet Graf für jedes Projekt ein Bauherrschafts-Treuhandbüro ein. Jedes auftauchende Problem muss innerhalb von 24 Stunden gemeldet werden.
Jede zweite Woche finden zwischen allen Beteiligten Abstimmungsmeetings statt, an denen Anja Graf auch meist selbst teilnimmt.
Ihre Kreativdirektorin setzt Anja Graf auch als Mitgestalterin ihrer Privatdomizile ein, so etwa beim Haus in Ibiza. Als sie die grosse Villa mit 1200 Quadratmetern Wohnfläche und sieben Schlafzimmern in einer Gated Community mit Wachposten beim Eingang vor einigen Jahren zum ersten Mal sah, wusste sie sofort, dass sie das richtige Haus für die grosse Patchworkfamilie mit vier Kindern von drei Partnern war: «Ich brauchte nur drei Tage von der ersten Besichtigung bis zur Unterschrift», erinnert sie sich. Ein paar grössere Dinge störten sie aber von Anfang an. So war alles knallweiss gestrichen – nicht ideal für die lichtempfindliche neue Eigentümerin. Ihr missfiel auch, dass die zwei Seitenflügel des Hauses den Poolbereich umschlossen und einen grossen Teil der fantastischen Aussicht auf die Stadt Ibiza und das offene Meer einschränkten. Also baute man die Seitenflügel zurück und erstellte stattdessen eine luftige Pergola mit einer farbenfrohen Sitzecke. An den Fassaden und vielen Wänden, wo früher grelles Weiss dominierte, kamen dunkle erdige Töne zum Einsatz. Im Inneren des Hauses wurde die Einliegerwohnung einem Spa und einem voll ausgebauten Fitnessraum geopfert.
«Wir ändern, was sein muss»
Einige Dinge hat Anja Graf aber nicht geändert, obwohl sie für sie nicht erste Wahl gewesen wären. Dazu gehören zum Beispiel die Elemente in rot gesprenkeltem Kunststein an einigen Wänden und in einer der zwei Küchen. Diese wurden belassen, weil Anja Graf findet, dass man Immobilien nicht «vergewaltigen» solle. Stattdessen wurde Rot zu einem neuen Leitmotiv, eine Farbe, die in einigen der neu angeschafften Kunstwerke wiederaufgenommen wird.
Und genauso geht sie auch bei den Renovationen ihrer Gewerbeobjekte vor: «Wir ändern, was sein muss, und brauchen, was man noch gebrauchen kann.» Bei solchen Entscheidungen kommen auch das Kostenbewusstsein und das ausgeprägte unternehmerische Denken von Anja Graf ins Spiel. Dieses zeigte sich schon in früher Jugend: Mit zwölf Jahren bekam sie ein eigenes Pferd, ein halbes Jahr später baute sie einen Stall und beschloss, vier Pensionspferde für gutes Geld einzumieten, auch wenn das viel zusätzliche Arbeit bedeutete. Denn sie hatte morgens vor dem Gang ins Gymi nicht viel Zeit zum Frühstücken, sondern musste den Stall putzen.
Bis heute ist Anja Graf ein Arbeitstier geblieben. Für viele Dinge bleibt deshalb zu wenig Zeit, zum Beispiel für Ferien: Im letzten Jahr verbrachte sie nur sechs Tage in ihrem Haus in Ibiza. Dennoch ist ihr dieses Domizil wichtig: «Wenn man immer auf Reisen ist, braucht man eine Heimat für die Familie, und das finden wir im Sommer hier und im Winter in unserer Ferienwohnung in St. Moritz.» Die Domizile in den Bergen und am Meer sind also zu Rückzugsorten für die Familie mit vier Kindern zwischen 10 und 22 Jahren geworden. Dank ihrer pragmatischen Art hat Anja Graf auch kein Problem damit, ihre Villa zu vermieten, zum stolzen Preis von 4600 Franken pro Nacht in der Hauptsaison. So hat sie im letzten Jahr ohne grossen Vermarktungseffort mit der Vermietung der Villa in Ibiza von zweimal vier Wochen die Nebenkosten des Hauses gedeckt und noch eine ordentliche Rendite erwirtschaftet. Das freut die Unternehmerin.
Mehr Fokus auf die Schweiz
Irgendwann möchte Anja Graf aber schon mehr Zeit für sich haben: Vor acht Jahren überlegte sie sich schon mal ein Going-public und ist jetzt an einem Punkt angelangt, wo sie kein so grosses Wachstum mehr anstrebt, dafür eine stärkere Fokussierung auf den Schweizer Markt.
Hierzulande ist Visionapartments bereits gut aufgestellt: Allein in Zürich hat das Unternehmen seit der Neueröffnung in Glattbrugg 1300 Einheiten im Portfolio, in Basel sind es 130, im Grossraum Lausanne 170, in Genf 115, in Vevey 100, in Luzern und Lugano je 60, in Zug 55 – insgesamt hierzulande also derzeit rund 2000 Apartments. Schon im nächsten Jahr kommen in Zug knapp 100 Einheiten hinzu, in Zürich werden 75 zusätzliche zur Vermietung freigegeben und in Lausanne weitere 40.
Anja Graf achtet bei ihrer Expansionsstrategie aber darauf, dass ihr Unternehmen nicht mitverantwortlich für die Wohnungsnot in den grossen Städten ist: «Wir sind kein Airbnb, das Wohnraum aus privater Dauernutzung zugunsten von Kurzfristmieten entzieht. Wir nutzen Gewerbe- und Hotelimmobilien um und stellen damit Raum zur Verfügung, den zum Beispiel Unternehmen oder Organisationen ihren Expatriates oder für spezialisierte Mitarbeitende für Projektaufgaben anmieten können.»
Das Geschäftsmodell von Visionapartments funktioniert auf jeden Fall, und deshalb möchte Anja Graf das Unternehmen in der Familie behalten. Damit wird sie bis auf Weiteres die prägende Figur bei Visionapartments bleiben und mit ihrer praktischen und effizienten Art die Unternehmenskultur bestimmen.
Dieser Artikel erschien bei «Homes – Das Magazin für Wohnen und Immobilien».