Der Gourmettempel war exklusiv, das Interieur klassisch elegant, Kerzenlüster, weiss gedeckte Tische, serviert wurde ab Silbertabletts. Und dann das! Der grosse Alain Ducasse, Drei-Michelin-Sterne-Koch im Hotel de Paris in Monte Carlo, balancierte auf den Armen ein schlichtes Holzbrett, auf dem nichts anderes lag als ein Kalbshohrücken. Von dem schnitt er vor den Augen der Gäste virtuos einzelne Koteletts ab und servierte sie mit einem einfachen Kalbsjus. Das war es. Und Alfred von Escher, der dem Schauspiel zusah, rieb sich die Augen.

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Zwölf Jahre ist das jetzt her. Doch wenn man von Escher fragt, was in Bezug auf Fleisch sein eindrücklichstes Erlebnis war, dann kommt ihm diese Szene in den Sinn. «Man stelle sich vor», sagt er, «dieser fantastische Koch servierte auf eine Art und Weise, die das Fleisch in den Fokus stellte.» Nicht das Arrangement, nicht die Saucen. Nein, Ducasse setzte schlicht auf seine wunderbare, würzige Fleischqualität. Und von Escher, der seit 25 Jahren in der Schweiz mit Esswaren auf höchstem Niveau handelt, setzte fortan noch mehr Ehrgeiz ein, um das beste Fleisch für die gehobene Gastronomie aufzuspüren.

Lamm aus dem französischen Sisteron oder den Pyrenäen etwa, Rindfleisch aus Argentinien, Poularde de Bresse aus Frankreich oder Hirsch aus Österreich. Zu Beginn seiner Arbeit als Artisan en Comestibles, als Händler exklusiver Fleisch- und Kolonialwaren, gehörte Fleisch aus der Schweiz nicht in das Repertoire, das seine Kunden, hoch dekorierte Köche in der gesamten Schweiz, ihren Gästen servierten. Vor allem das Rindfleisch und dessen edelste Stücke, Filet oder Huft, konnten verwöhnte Gaumen nicht wirklich befriedigen.

Ein offenes Geheimnis, aus dem auch Metzger kein Hehl machen. «Die Schweiz», sagt Christian Stucki, Verkaufsleiter der Viehbörse in Dübendorf, der Importorganisation des Verbandes Schweizer Metzgermeister, «ist traditionell ein Milch produzierendes Land.» Und weil die Milchproduktion lange Jahre im Zentrum stand, wurde praktisch zu 100 Prozent auf Rinder für die Milchproduktion gesetzt. Das ideale Nutztier sollte mehrere 10 000 Liter Milch pro Jahr bringen und anschliessend als leckeres Steak in der Pfanne landen – die Eier legende Wollmilchsau sozusagen. «Man wollte den Fünfer und das Weggli», sagt Jacky Donatz, Koch im Zürcher Restaurant Sonnenberg und für sein hervorragendes Fleisch bekannt. Das Ergebnis dieser Art von Fleischproduktion: ausgelaugtes, faseriges Fleisch selbst bei Edelteilen wie Filet oder Hüfte. Jahrelang galt daher als Axiom, dass saftiges, zartes Steak nur als Beef aus den USA oder Argentinien zu haben war.

Tempi passati. Seit einigen Jahren züchten auch Schweizer Bauern Fleischrinderrassen wie Angus, Aubrac, Charolais, Hereford, Limousin oder setzen auf die alte Rasse der Simmentaler. Unterstützt und gefördert von Grossmetzgereien wie etwa der Traitafina in Lenzburg. SwissPrimBeef heisst das von ausgewählten Bauern unter besonderer Kontrolle erzeugte Fleisch spezieller Rassen, das Traitafina verkauft. Mit zunehmendem Erfolg: 60 Prozent der von Traitafina verkauften Edelstücke, wie Nierstück oder Filet, stammen heute aus heimischer Premium-Produktion. «Wir erziehen unsere Bauern, Fleisch in der von uns geforderten hoch stehenden Qualität zu produzieren», sagt Markus Zimmermann, Traitafina-Geschäftsleitungsmitglied.

Was aber unterscheidet das gute Fleisch vom exzellenten? «Alles muss stimmen», sagt Christian Stucki von der Viehbörse, «die Rasse, die Haltung, die Fütterung und die Art der Schlachtung.» Markus Dettwiler, Inhaber der «Farnsburg» oberhalb von Ormalingen BL ist dafür ein gutes Beispiel. Seine Produkte gelten unter Connaisseurs als Crème de la Crème der Schweizer Fleischproduktion. Seit 1995 züchtet der Gutsbesitzer Schweine und Rinder der besonderen Art. Die Schweine von der «Farnsburg» sind Kreuzungen aus alten Rassen wie Duroc, Hampshire, Landschwein und Sattelschwein. Das Ergebnis ist das Ormalinger Weideschwein, über dessen überragende Qualität sogar Alfred von Escher ins Schwärmen gerät. «Das Fleisch schmeckt einzigartig würzig», sagt der Feinschmecker, «und ist von wunderbarer Konsistenz.» Die Dettwilers züchten neben ihren Kräuter fressenden Schweinen aber auch Galloway-Rinder und eine kleine Anzahl Bisons, deren Fleisch dieselbe hohe Qualität aufweist.

Für Geschmack sorgt die Fütterung. Während die Amerikaner ihre Rinder mit Mais mästen, das am Ende für einen leicht süsslichen Geschmack des Fleisches sorgt, fressen argentinische und brasilianische Rinder das, was sie auf der Weide finden: Gras und Kräuter. Das sorgt für einen würzigen Geschmack. Das würzige Fleisch der Lämmer aus dem Sisteron verdankt seinen Geschmack dem wilden Thymian und Rosmarin auf der Weide. Gewiefte Landwirte wie die Dettwilers setzen daher dem Futter der Schweine Kräuter zu, deren Aroma dann ins Fleisch eindringt.

Die Freilandtiere wachsen wesentlich langsamer heran als ihre auf Hochleistung getrimmten Verwandten in den Zuchtställen. Das ist aufwändig, wirkt sich aber positiv auf die Fleischqualität aus. Gut Ding, und das gilt auch für Fleisch, will eben Weile haben. Und das hat seinen Preis. Ein Kilo Fleisch vom Rücken des Ormalinger Freiland-Jungschweinchens kostet bei Alfred von Escher 59 Franken, ein Kilo Kalbsfilet vom Charolais- oder Limousin-Kalb aus der Schweiz 89 Franken.

Einer der entscheidendsten Aspekte eines schmackhaften Fleisches im Kapitel Produktion ist die Art der Schlachtung. Gestresste Tiere, die über kalte Metallböden in schwankende Lkw getrieben werden, um dann eng zusammengepfercht vor dem Schlachthof ihr Ende zu erwarten, schütten Stresshormone aus. Diese übersäuern das Fleisch und machen es minderwertiger. «Dieser letzte Akt kann entscheidend sein», sagt Markus Zimmermann von Traitafina. Vorbild einer verträglichen Schlachtung ist Argentinien, wo die Tiere vor dem Schlachthof erneut für einige Wochen akklimatisiert werden. Und die Dettwilers von der «Farnsburg» trainieren gar mit ihren Tieren den Transport so lange, bis sie ihn, weil gewohnt, stressfrei überstehen.

Sind sie dann geschlachtet, die Rinder, Ochsen, Schweine, Lämmer und das Geflügel, so beginnt die für die Fleischqualität wichtige Arbeit der Metzger. In diesem Arbeitsschritt ortet von Escher einen guten Teil der Gründe, warum gutes Fleisch oft nicht zum herausragenden wird. Er zeigt in seinem Wollishofer Büro auf mehrere riesige Kühlräume. Dort, hinter panzerartigen Türen, bei knapp über null Grad, reift sein Fleisch. Wochenlang. Dort hängen Bresshühner neben Enten, Lammrücken neben Schinken, lagern Kalbsrücken und Schweinelenden. Fast liebevoll streichelt von Escher über einen Lammpopo, drückt kurz auf das dunkelrote Fleisch. «Wenn eine Delle im Fleisch bleibt, dann ist es mürbe und reif», sagt von Escher. Gut abgehangenes, gelagertes Fleisch sei dunkel und matt. Mindestens 21 Tage sollten Rinder, bis 14 Tage Schweine, Lämmer und Geflügel gelagert werden. Ein Graus ist für ihn das feucht schimmernde Fleisch in den Theken der Supermärkte. «Die Konsumenten glauben, dies sei ein Zeichen besonderer Frische», meint er, «dabei ist es häufig nur kurz gelagert und innen zu feucht, der Saft tritt noch sichtbar aus.»

Letzteres aber kann im harten Kampf unter den Detaillisten für den Profit entscheidend sein. Ausgetretener Saft bedeutet Gewichtsverlust und damit Preiseinbusse. Und die Konsumenten glauben aus Unwissenheit, dass Fleisch, je kürzer gelagert, umso qualitativ einwandfreier und appetitlicher sei. Die Händler richten sich nach den Kundenbedürfnissen, aber das, was häufig angeboten wird, zeigt seine mangelnde Qualität in der Küche: «Beim zu frischen Fleisch tritt Saft aus, es schrumpft in der Pfanne und wird zäh», sagt Jacky Donatz, der beim Metzger seines Vertrauens im Bündnerland kauft und auf den ersten Blick und auf Fingerdruck hin weiss, wie es um die Qualität des Fleisches steht.

Eines ist klar: Das geschmacklich ausgereifteste Fleisch ist auf dem Teller nur so gut wie der Koch, der es zubereitet hat. «Andererseits», sagt Jacky Donatz, «kann der beste Koch aus einem schlechten Stück keine Delikatesse zaubern.»