Frau Pavliscak, was steht im Mittelpunkt Ihrer Forschung?
Ich konzentriere mich mehr auf qualitative denn quantitative Forschung. Wir haben viele Daten darüber, wie oft und wie lange Menschen ihre Smartphones verwenden und wofür. Wir wissen aber wenig darüber, was das für die Menschen bedeutet. Ich versuche, den Dialog der Menschen mit Technik zu verstehen, und welchen Einfluss dieser auf ihr Leben hat.

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Wie geht das?
Ich lasse meine Probanden zum Beispiel Tagebuch schreiben...

Ihre Probanden schreiben Tagebuch über die Beziehung zu Ihrem Smartphone?
Genau. (lacht) Sie beschreiben darin die Höhen und Tiefen, die sie mit dem Smartphoneerleben. Was sich dabei zeigt: Wir sprechen an vielen Stellen darüber, wie Technik uns ablenkt. Wir sehen aber nicht, welche neuen, vielschichtigen Formen der Kommunikation entstehen.

Also zum Beispiel, wenn Long-Distance-Freundeskreise durch Whatsapp-Gruppen im Alltag einen Austausch aufrechterhalten?
Zum Beispiel. Genauso gilt das aber auch für temporäre digitale Räume, etwa wenn wir in einer Video-Konferenz zusammenarbeiten. Das ist eine neue Form der Kreativität. Auf diesen Aspekt der Digitalisierung müssen wir uns noch stärker konzentrieren.

Im Gegensatz wozu?
Im Gegensatz zu destruktiven Formen wie Hasskommentaren zum Beispiel.

Wie sehen Sie Hasskommentare – zeigen sich hier menschliche Eigenschaften in einem neuen Gewand? Oder existieren diese erst, seit Menschen sich derart anonym in sozialen Netzwerken äussern können?
Das sind wahrscheinlich schon grundmenschliche Eigenschaften, die sich zeigen. Aber es ist einfacher, in sozialen Netzwerken anonym seine Ablehnung überspitzt auszudrücken. Die Hater müssen ihrem Gegenüber nicht persönlich ins Gesicht schauen und die Agression hat weniger Konsequenzen. Die sozialen Netzwerke haben hier bisher keinen guten Job gemacht, dieses Verhalten zu managen. Es gibt eine Menge, was getan werden könnte und sollte. Zum Beispiel, das Design von sozialen Netzwerken stärker auf Eins-zu-eins-Dialoge umzustellen. Hoffnung macht auch, dass die nächste Welle an künstlicher Intelligenz (AI) über mehr emotionale Fähigkeiten verfügen wird.

Was bedeutet das?
AI wird künftig in der Lage sein, am Tonfall oder der Wortwahl zu erkennen, ob jemand verärgert ist oder ungeduldig. Sie kann sich dann entsprechend anpassen. Also, Amazons Alexa merkt dann zum Beispiel, wenn ein Nutzer genervt von ihr ist und ihre Kommunikation anpassen. AI wird diplomatischer.

Was halten Sie von solchen Erfindungen wie Woebot, dem Therapie-Chatbot von Facebook?
Das ist wahrscheinlich eine gute Sache, denn viele Menschen scheuen sich davor, psychologische Hilfe anzunehmen. Bei einem Therapie-Chatbot ist die Schwelle niedriger, das mal auszuprobieren. Natürlich hat so ein Chatbot seine Grenzen, er kann reale Therapie nicht ersetzen. Er kann allenfalls eine Ergänzung sein.

Wie weit reicht die Kommunikationsfähigkeit von AI schon an die von Menschen heran?
Wir sollten das nicht überbewerten. Schnell schreiben wir AI menschliche Fähigkeiten zu. Dabei hat künstliche Intelligenz ein schlechtes Gedächtnis. Sie erinnert sich, wie wir einmal waren und schreibt uns auf diesen Status fest. Auch kann sie den Kontext nicht beachten, wie ein Mensch das könnte.

Was heisst das?
Für einen Menschen ist klar: Ich kommuniziere nicht in der gleichen Weise mit meinem Kumpel wie mit meinem Chef. Menschen erkennen den Kontext und ordnen die Kommunikation ein – in formelle und in informelle Kommunikation, zum Beispiel. Künstliche Intelligenz kann das nicht. Ein Problem ist auch, dass AI aus einer Datenmasse eine Durchschnittsperson errechnet. Das bedeutet dann, eine Person diesen Alters, diesen Geschlechts mit diesem Bildungsstand müsste sich für Thema XY interessieren, zum Beispiel für Schuhe. Und dann bekomme ich Schuhwerbung gezeigt, obwohl mich Schuhe vielleicht überhaupt nicht interessieren.

Sie schreiben viel darüber, wie Technik uns glücklich machen kann. Solch dilettantische Algorithmen werden aber wenig zu unserem Glück beitragen, oder?
Menschen suchen sich immer ihre Mittel und Wege, um Technik für sie passend anzuwenden. Die Forschung zeigt, dass Menschen am glücklichsten mit Technik sind, wenn sie sie verwenden, um echte Verbindlichkeit zu erleben. Zum Beispiel, um viele Eins-zu-eins-Kontakte mit Freunden zu pflegen.

Haben digitale Freundschaften eine andere Qualität als Offline-Freundschaften?
Freundschaften, die digital beginnen, sind genauso real. Die Menschen können genauso eine wirkliche Verbindung zueinander entwickeln, wenn der Beginn einer Freundschaft zum Beispiel Kontakt über Facebook ist. Wenn die Freundschaft eine bestimmte Tiefe erreichen soll, bedeutet das allerdings, sich auch persönlich zu sehen. Das verändert die Qualität einer Beziehung dann nochmal wesentlich.

Immer wieder zeigen Studien, dass Menschen sich von Technik gestresst fühlen.
Wir müssen lernen, Technologie den richtigen Platz in unserem Leben zu geben. Das Problem ist doch, dass Firmen unsere technischen Bedürfnisse bedienen, die ja gar nicht in unserem Interesse agieren, sondern Geld mit uns verdienen wollen, wie zum Beispiel Netflix oder Amazon. Doch ich glaube nicht, dass sich diese Firmen durchsetzen werden.

Tatsächlich nicht?
Wir können uns dabei nicht auf die Unternehmen verlassen, wir müssen selbst handeln. Einen Vorteil hat es doch, dass die Firmen unsere Daten genau analysieren: Die Firmen richten sich danach, wie wir uns verhalten – eben Netflix zum Beispiel. Wenn wir also unser Verhalten anpassen und zum Beispiel das Binge-Watching stoppen, wird das zur Firma zurückgespielt. Und es wird für sie wichtig, unser Bedürfnis nach einer Pause zu bedienen. Sie werden dann ihr Angebot ändern. Als Mutter zum Beispiel würde ich zahlen, wenn Netflix mir anböte, den Konsum meiner Kinder einzugrenzen.

Pamela Pavliscak ist die Gründerin von ihrer Firma «Change Sciences» und thematisiert als Speakerin (TEDx, Stanford University, Web Summit) die Beziehung von Mensch und Technik. Sie lebt in New York und berät Unternehmen, wie sie Technik dem Menschen gemäss gestalten können. Zu ihren Kunden zählen unter anderem Google, Virgin und Ikea.

Pamela Pavliscak

Pamela Pavliscak: Erforscht die Beziehung von Mensch und Technik.

Quelle: ZVG