Ursula von der Leyen wird neue Präsidentin der Europäischen Kommission. Mit einer knappen Mehrheit wurde sie vom EU-Parlament gewählt. Ab November wird sie die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antreten. Damit steht erstmals eine Frau an der Spitze der Behörde und seit ihrem Bestehen erst zum zweiten Mal jemand aus Deutschland. Zuletzt war mit Walter Hallstein von 1958 bis 1967 ein Deutscher Kommissionspräsident der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

Welche Folgen die Wechsel für die Schweiz und das Rahmenabkommen mit der EU hat, ist nicht absehbar. Über die Beziehungen der scheidenden deutschen Verteidigungsministerin zur Schweiz ist nichts bekannt.

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Englisch und Französisch fliessend

Seit 2005 war Ursula von der Leyen Ministerin in den Regierungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel – zuerst für Familie, dann Arbeit und seit 2013 für Verteidigung.
Sie gilt als überzeugte Europäerin. Sie spricht Englisch und Französisch fliessend, wurde in Brüssel geboren, besuchte dort die Europäische Schule – ihr Vater war hoher Beamter in der EU-Kommission und später Ministerpräsident Niedersachsens.

Als Arbeitsministerin forderte sie 2010 inmitten der Euro-Krise den Ausbau der EU zu einer politischen Union. «Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa – nach dem Muster der föderalen Staaten Schweiz, Deutschland oder den USA», verkündete von der Leyen.

Schweizer Erwartungen

Als Deutsche, die zudem auch Französisch spricht, dürfte sie sich der Schweiz mit ihrer föderalen Struktur auch sprachlich näher fühlen. Allerdings sollte sich die hiesige Politik nicht allzu viele Hoffnungen machen, dass eine deutsche Kommissionspräsidentin etwaigen Gesprächen über das Rahmenabkommen aufgeschlossener sein könnte.
Wie sich das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU weiter entwickelt, hängt nämlich nur bedingt an der Person von der Leyens. Denn es sind die Mitgliedstaaten, welche letztlich über die Beziehungen zu Drittstaaten entscheiden. In den Schlussfolgerungen des Rates über die Beziehungen zur Schweiz von Februar forderten sie den Bundesrat auf, das Rahmenabkommen als Voraussetzung für neue binnenmarktrelevante Abkommen zu unterstützen.

Etwas Spielraum im Umgang mit Drittstaaten wie der Schweiz hat die Europäische Kommission dennoch. So soll etwa Jean-Claude Junckers Kabinettschef und Generalsekretär der Kommission, Martin Selmayr, durchgesetzt haben, die Börsenäquivalenz mit dem Rahmenabkommen zu verknüpfen.

Chance für die Schweiz

Da Präsidentin und oberster Beamter der Behörde nicht aus einem Land sein sollten, tritt Selmayr nun zurück. Sein offensiver Stil wurde auch in Brüssel immer wieder kritisiert. Laut dem Nachrichtenmagazin «Politico» dürfte ein Franzose an seine Stelle treten – mit Olivier Guersent, derzeit Generaldirektor für Finanzdienstleistungen bei der EU-Kommission, kursiert bereits ein Name.

«Die neue EU-Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen ist ein Neuanfang – darin liegt die eigentliche Chance für die Schweiz. Das ist viel entscheidender als die Frage, wie wohlgesonnen uns die neue Kommissionsspitze ist», sagt Martin Naef, SP-Nationalrat und Co-Präsident der Neuen Europäischen Bewegung (Nebs).

So hätten Jean-Claude Juncker und Martin Selmayr bereits so häufig mit der Schweiz geredet, dass allein ein frischer Blick positiv sei – etwa auf die Börsenäquivalenz, welche Ende Juni ausgelaufen war. Vor allem eine neue Generalsekretärin oder ein neuer Generalsekretär der EU-Behörde dürfte «unbefangen mit dem Schweiz-Dossier umgehen», so Naef.

Keine Eingeständnisse, aber Verzögerungen

Eine andere Haltung der EU erwartet auch FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann nicht; er ist Präsident der Efta/EU-Delegation. Ursula von der Leyens Aufgabe als EU-Kommissionschefin sei es in erster Linie, «die Interessen der EU gegenüber Drittstaaten zu verteidigen. Daher wäre es falsch, wenn wir glaubten, eine neue EU-Kommission würde gegenüber der Schweiz mehr Eingeständnisse machen.»

Einige negative Folgen könnte die neue EU-Kommission dennoch für die Schweiz haben. So könnten sich etwaige Präzisierungen beim Rahmenabkommen, wie sie der Bundesrat anpeilt, mit der neuen Kommissionsspitze weiter verzögern. Ursula von der Leyen nannte in ihrer Rede vor dem EU-Parlament etwa den Klimaschutz und einen europäischen Mindestlohn als die drängendsten Aufgaben der EU.

Völlig unklar sei, ob die neue Kommission «gewillt ist, die vorliegende Vertrags-Offerte noch lange aufrecht zu halten, und ob bei den für die Schweiz wichtigen drei Bereiche die neue EU-Führung ein gleich grosses Entgegenkommen haben wird», sagt Hans-Peter Portmann.

Auch auf eine Fortsetzung der Börsenäquivalenz sollte die Schweiz mit einer neuen Kommissionspräsidentin nicht hoffen – zumindest ohne Rahmenabkommen nicht. Dies habe der EU-Ministerrat beschlossen und sei völlig unabhängig von neuen Personalien.