Warum auch in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah!», lautet das ein wenig lapidare Sprichwort, das von einer eher engstirnigen Weltsicht zeugt. Doch gelegentlich trifft es den Nagel auf den Kopf. So etwa im Falle der Weine, welche die in der Associazione Viticoltori Vinificatori Ticinesi (AVVT) zusammengeschlossenen Tessiner Selbstkelterer erzeugen. Der 1984 gegründete Dachverband umfasst gut 40 Betriebe aus dem Kanton Tessin. Auch wenn sie zusammen lediglich rund 100 Hektaren Rebland bewirtschaften (was 10 Prozent der gesamten Rebfläche des Kantons entspricht), so ist es bestimmt nicht übertrieben zu behaupten, dass es vor allem die Mitglieder der AVVT waren und sind, die mit ihren Weinen die ehemals träge Tessiner Weinwelt aufrüttelten. Seither beweisen sie, dass sich in der helvetischen Sonnenstube sehr wohl eigenständige Gewächse erzeugen lassen, die den internationalen Vergleich absolut nicht zu scheuen brauchen.

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Wie in anderen Weinbaugebieten in der Schweiz und in Europa setzte auch im Tessin in den 1980er-Jahren eine umfassende Qualitätsrevolution ein. Eine heterogene Gruppe von vornehmlich aus der Deutschschweiz stammenden Zuzügern leistete wertvolle Pionierarbeit. Der ausgebildete Winzer Werner Stucky und die Quereinsteiger Daniel Huber, Adriano Kaufmann und Christian Zündel sowie die Westschweizer Eric und Fabienne Klausener übernahmen alte, teils nicht mehr bewirtschaftete Rebberge, setzten sie instand und kelterten die Trauben selbst. Ihre reinsortigen Merlots und Merlot-Assemblagen (mit Cabernet Sauvignon und/oder Cabernet franc) setzten neue Qualitätsstandards. Gleichzeitig ermutigten diese beeindruckenden Gewächse eine wachsende Zahl von bestandenen und jungen Winzern, im eigenen Betrieb die Messlatte gleich hoch zu legen. Auch heute noch sind es vor allem die professionellen, in der Associazione Viticoltori Vinificatori Ticinesi zusammengeschlossenen Selbstkelterer, die dem Weinbau im Tessin immer wieder neue Impulse geben. Neben den berühmt gewordenen Pionieren macht inzwischen eine Reihe weiterer qualitätsversessener Winzer und Winzerinnen mehr und mehr von sich reden.

Sie alle, die Etablierten und die teils in der Deutschschweiz (noch) wenig bekannten Newcomer setzen mehrheitlich auf die Tessiner Leitsorte Merlot, mit der vier Fünftel der Rebfläche des Kantons bestockt sind. Doch trotz der Allgegenwart der seit gut 100 Jahren im Tessin angebauten Bordeauxsorte ist seit einigen Jahren eine gewisse Diversifizierung festzustellen. Eine wachsende Zahl der Tessiner Selbstkelterer hat insbesondere das Spektrum der roten Sorten erweitert. So kultivieren sie etwa neben den Schweizer Züchtungen Carminoir und Diolinoir auch die Bordelaiser Sorten Cabernet franc, Cabernet Sauvignon und Petit Verdot sowie Arirarnoa (eine Kreuzung aus Merlot und Petit Verdot) und last, but not least die fast vergessene autochthone Tessiner Sorte Bondola, die zurzeit im Sopraceneri eine kleine Renaissance erlebt.

Wer sich eine Übersicht über die unterschiedlichen Terroirs und Winzerhandschriften verschaffen will, hat jetzt die einmalige Gelegenheit, dies anhand der zum 25-jährigen Bestehen der AVVT von Sommelier-Vizeweltmeister Paolo Basso zusammengestellten Jubiläumsedition zu tun. 27 von insgesamt über 40 Mitgliedsbetrieben haben ein Barriquefass des Jubiläumsjahrgangs 2009 ausgewählt, um damit eine auf 300 Exemplare limitierte Kollektion zu bestücken. Jedes Exemplar enthält je eine mit einer Sonderetikette versehene Flasche der 27 Kellereien und wird zum Preis von 1600 Franken verkauft. Das ist gewiss ein stolzer Preis, doch darf man jedem der selektionierten Weine – dies hat die Verkostung gezeigt – ein hohes Qualitätsniveau attestieren. Hilfreich sind dabei die von Paolo Basso verfassten Degustationskommentare zu jedem Wein, die jeder Edition beigelegt sind.