Eine 0:1-Niederlage in Österreich wirkt nicht gerade ein Aushängeschild für Russland als Gastgeber der diesjährigen Fussball-Weltmeisterschaft. Aber Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte die Niederlage im Freundschaftsspiel am 30. Mai locker verschmerzen: Denn die in Kürze beginnende Weltmeisterschaft bedeutet nach Ansicht von Kritikern wie Unterstützern für ihn einen Prestigegewinn, weil er eines der weltgrössten Medien-Ereignisse in sein Land holen konnte. Deshalb ist aber auch umstritten, wie der Westen auf das global gebannt verfolgte Fussball-Ereignis reagieren sollte. Es gibt Boykottaufrufe - und eine Debatte, wie sich die Spiele auf Putins Politik auswirken.

«Gerade in autoritären Staaten sind Grossveranstaltungen durchaus dazu geeinigt, zumindest kurzfristig die Macht der Regierung zu stabilisieren», sagt Timm Beichelt, Professor der Europa-Universität Viadrina und Autor des Buches «Ersatzspieler» über das Verhältnis von Fussball und Macht. «Es entstehen neue Stadien, Gebäude und Verkehrsverbindungen - das alles nimmt die Bevölkerung zumindest in den Spielorten wahr.» Dazu kommt der Glanz internationaler Anerkennung durch die vielen Besucher. Für Oppositionelle dürften dagegen harte Wochen anbrechen, glaubt Beichelt - und verweist auf die Erfahrungen während der Olympischen Winterspiele 2014, die Putin nach Sotschi geholt hatte.

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Ablenkung von strukturellen Problemen

«Ein solche Grossereignis stärkt die Legitimation, weil Putin beweisen kann, dass Russland eine solche Grossveranstaltung organisieren kann und alle kommen», sagt auch Gwendolyn Sasse, Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (Zois). «Das lenkt von strukturellen Problemen des Landes ab.»

Wie stark der langfristige Nutzen sein kann, gilt dagegen als weniger eindeutig. Auch hier gilt Sotschi als Vergleich. Denn die Olympischen Winterspiele fanden im Februar 2014 auf dem Höhepunkt der Ukraine-Russland-Krise statt. Die Empörung über das russische Agieren in der Ostukraine war gross. Zudem häuften sich in westlichen Medien Berichte über Umweltzerstörung und Korruption im Vorfeld des Ereignisses. Im Vorfeld der Fussball-WM kommen nun die Vorwürfe eines systematischen Staatsdopings in Russland hinzu.

Langfristigen innenpolitischen Groll wird Putin nach Einschätzung von Beichelt jetzt aber nicht fürchten müssen - trotz des von Experten erwarteten frühen Ausscheidens der russischen Mannschaft. Und obwohl umstritten ist, wie gross der wirtschaftliche Nutzen der Milliardeninvestitionen wirklich ist. «Sicher dürfte es auch nach der WM wie in Brasilien oder Südafrika in Russland Bauruinen von renovierten oder neu gebauten Stadien geben, die nicht mehr ausreichend genutzt werden können - aber das sind die Menschen in der russischen Provinz gewohnt», sagte Beichelt.

Strittiger Boykott

Boykottaufrufe sehen sowohl er als auch Sasse eher skeptisch - anders als mehrere Dutzend Europaabgeordnete, die nach dem mutmasslichen Giftgasanschlag auf den Ex-Spion Sergej Skripal in Grossbritannien einen Boykott der Spiele gefordert hatten. «Auftritte mit Putin auf dem roten Teppich braucht es nicht», twitterte auch die deutsche Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Doch der Entscheidung Grossbritanniens und Islands, keine Minister zu den Reisen der eigenen Mannschaft zu senden, hat sich etwa die Bundesregierung nicht angeschlossen. Das liegt auch an Zweifeln, wie sinnvoll solche Boykotte sind.

«Möglicherweise könnte Putin diese innenpolitisch sogar ausschlachten», glaubt Sasse. So könnte die Führung in Moskau das Bild einer «Festung Russland» betonen, das von allen Seiten angegriffen und von niemanden verstanden werde. Putin würde dadurch eher gestärkt. Und die Berichterstattung russischer Medien zeichne ohnehin ein anderes Bild als die Auslandspresse.

Das Grossereignis ist auf jeden Fall die Möglichkeit, ein Land nach aussen so zu präsentieren, wie dies die Führung gerne möchte - weltoffen und modern. Tatsächlich sieht Sasse darin auch eine Chance, wenn sich etwa ausländische Medien intensiver mit dem Land auseinandersetzten und entdecken könnten, dass die Formel «Russland = Putin» nicht stimme. Oder dass bei Spielen in der russischen Stadt Rostow am Don die Front in der Ostukraine nur 50 Kilometer entfernt liege.

Wird Putin moderater – und was kommt nach dem Finale?

Dass die WM langfristige Auswirkungen auf die Politik Putins haben könnte, daran zweifeln sowohl Diplomaten wie Experten. Sicherlich zeige Putin vor solchen Grossereignissen eine moderatere Haltung, damit keine diplomatische Großkrise den grossen Auftritt überschatte und die Anreise ausländischer Politiker gefährde, sagt ein EU-Diplomat. «Aber man sollte das nicht überbetonen», warnt Zois-Chefin Sasse.

Putin habe derzeit auch unabhängig von der WM eher Interesse an Stabilität auf niedrigem Niveau und nicht an einer Eskalation. «Die Beziehungen sind schon auf dem Tiefpunkt angelangt.» Auch der Westen habe heute im Vergleich zu 2014 einen viel kritischeren Blick auf Russland. Wirklichen Fortschritt in der Ostukraine sieht Sasse trotz der gemeinsamen Bekenntnisse zu neuen Verhandlungen im Normandie-Format (Deutschland, Russland, Frankreich, Ukraine) ohnehin nicht.

Dafür erwartet die Zois-Direktorin, dass anders als in Sotschi aber auch kein Rückschlag nach Abschluss der Weltmeisterschaft droht. 2014 hatte Putin sich vor den Olympischen Spielen auch konstruktiv gezeigt – und kurz nach dem Ende der Spiele dann die ukrainische Halbinsel Krim annektiert.

(reuters/ccr)