Vielleicht verflucht Ignazio Cassis bereits seinen Entschluss, Transparenz zu schaffen. Im Dezember publizierte der Aussenminister die Details zum Stand der Vorverhandlungen mit der EU-Kommission in Sachen bilaterale Verträge. Nun wird eine Lawine fundamentaler Kritik gegen ihn losgetreten. Das wahrscheinliche Ziel: Die Erwartungen an eine Einigung mit der EU derart hochzuschrauben, dass ein Scheitern der Verhandlungen unvermeidbar wird.

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Anstoss geben dabei gewisse Formulierungen im Verständigungspapier zwischen Bern und Brüssel. Es ist 13 Seiten lang und umfasst 20 Punkte. Die Gegnerschaft hat sie genau gelesen und sich an unvorteilhaften Klauseln festgebissen. Zu den Widersachern zählen auch jene Wirtschaftskreise, die den EU-Rahmenvertrag von 2021 zu Fall gebracht hatten. Dazu gehören die Aargauer Vereinigung Autonomiesuisse und die Zuger Kompass/Europa, angeführt durch die Partners-Group-Gründer und Milliardäre Alfred Gantner, Urs Wietlisbach und Marcel Erni.

Prominente Gegner sagen, die Schweiz solle den Wohlstand opfern, der durch die EU-Anbindung entstanden ist, um die Souveränität zu retten.

Sie monieren, die geplante umfassende und laufende Übernahme von EU-Recht bedrohe die Eigenständigkeit der Schweiz; eine solche Rechtsübernahme sei daher grundsätzlich abzulehnen. Die Schweiz ticke fundamental anders als die EU, sozusagen «bottom-up», während die EU «top-down» legiferiere. Dadurch entstehe das EU-Bürokratiemonster.

Damit landen diese Kreise bei Christoph Blocher. Er prägte den Kampfbegriff, dass alle, auch alle künftigen bilateralen Verträge ein «Kolonialvertrag» seien. Die Souveränität sei bedroht, eine Annäherung zu verhindern.

Der konservativ-liberale Ökonom Gerhard Schwarz geht so weit, zu sagen, die Schweiz solle lieber den Wohlstand, der durch die EU-Anbindung entstanden ist, opfern, um die Souveränität zu retten. Der Vorteil eines ungehinderten Marktzugangs sei «von kurzfristiger Natur». Blocher ist froh um diese Schützenhilfe.

Sachfremde Druckmassnahmen seitens der EU auf die Schweiz muss ein institutioneller Vertrag verbieten.

Tatsächlich bieten gewisse Punkte eine geeignete Zielscheibe, um die Methoden der EU anzugreifen. So zum Beispiel Punkt 12, unter dem aufgeführt ist, dass die EU die Möglichkeit hätte, Retorsionsmassnahmen «in jedem anderen Abkommen» zu ergreifen, sollte die Schweiz Binnenmarktvorschriften nicht übernehmen. Die EU könnte etwa zu Zollblockaden greifen, sollte die Schweiz die EU-Direktiven im Maschinenbau nicht umsetzen. Solche sachfremden Druckmassnahmen müsste ein institutioneller Vertrag verbieten. Dass sie es ins Cassis’ Verständigungs-Papier geschafft haben, ist schwer zu verstehen.

Doch genau dafür ist die Publikation da. Um solche Fehler zu erkennen und dem Bundesrat aufzutragen, sie zu korrigieren. Sonst erscheint ein «Schwexit», ein Exit der Schweiz aus dem EU-Binnenmarkt, unvermeidlich. Die EU wird öffentlich unter Druck kommen, fundamentale Konzessionen zu gewähren.

Die Perspektivlosigkeit der abgeschotteten Schweiz mitten in Europa ist die Achillesferse der Gegnerschaft.

Der Nachteil ist, dass daraus Fundamentalopposition entstehen kann, die das bilaterale Verhältnis auf Jahre hinaus schädigen würde. Dies gilt es zu verhindern, denn die Folgen für den Wohlstand wären beträchtlich, siehe England nach dem Brexit. Dies verschweigen Blocher, Gantner, Bertschi und Co. Auch sagen sie nicht, wie die abgeschottete Schweiz inmitten Europa bestehen soll. Diese Perspektivlosigkeit ist ihre Achillesferse. Sie müssen die befürwortenden Wirtschaftsverbände ausnützen.