Schon absurd», sagt ein Kader auf zweitoberster Stufe des Bundes, «mein Budget bleibt seit Jahren gleich, aber jedes Jahr muss ich meinen Leuten zwingend den Lohn erhöhen. Ich kann sie nicht loben, ohne dass dies mehr kosten würde.»
In dieser Lage steckt jeder Vorgesetzte in Bundesbern. Schuld daran ist die seit 2015 gültige Fassung der Personalverordnung, die der Bundesrat erlassen hat. Sie besagt, dass gute Jahresgespräche zwingend zur Lohnerhöhung führen. Es gibt vier Stufen, ungenügend, genügend, gut und sehr gut. Beurteilt eine Chefin den Untergebenen mit «gut» gemessen am Verhalten und an der Leistung, muss sie ihm 1 bis 2 Prozent mehr Lohn ausrichten. Ist er «sehr gut», sind zusätzliche 2,5 bis 3 Prozentpunkte fällig. In diese zwei Kategorien fallen 96 Prozent aller Angestellten.
«Die Verteilung ist absurd», sagt Hans-Ulrich Bigler, Gewerbeverband-Direktor, FDP-Nationalrat und Mitglied der Finanzkommission, die übers Personal wacht. «Wenn, dann sollte sie ungefähr der statistischen Normalverteilung gehorchen.» Er hat einen Antrag gestellt, das System zu ändern, ist aber unterlegen. Ihn unterstützte der Unternehmer und Präsident der zuständigen Subkommission, Nationalrat Franz Grüter (SVP/LU). «Statistisch zu erwarten ist, dass im Minimum ein Drittel der Angestellten als ‹genügend› beurteilt werden.»
«Lohnerhöhungen kosten nichts»
Eine jährliche Gehaltserhöhung erhalten aber nur die, die noch nicht ans Lohndach ihrer Gehaltsstufe gestossen sind. Dies ist für die Hälfte der 37'000 Vollzeitstellen der Fall. Sie wird bei der Einstellung nach Funktion für immer festgelegt, von 1 bis 38 oder 4800 Franken bis 30 000 Franken pro Monat multipliziert mit 13. Mit anderen Worten: Die eine Hälfte aller Bundesangestellten klebt am Lohnstufendach, die andere erhält jährlich 1 bis 3 Prozent mehr. Kein Vergleich zur Privatwirtschaft, wo kaum generelle und bescheidene individuelle Lohnerhöhungen gewährt werden. Umfragen im Dezember für 2019 zeigten Lohnsteigerung um die 1 Prozent bei einer geschätzten Inflation von plus 0,8.
Ob die Bundeslohnsumme wegen dieser Aufschläge steigt, ist allerdings umstritten und offiziell nicht bekannt. Das zuständige Eidgenössische Personalamt (EPA), geleitet von Barbara Schaerer, sagt, das System sei nicht aufwandwirksam. «Die leistungsorientierten Lohnmassnahmen als Teil des Lohnsystems führen nicht zur Erhöhung der Lohnsumme.» Wie das?
Ältere oder erfahrenere Arbeitskräfte mit hohen Löhnen verlassen die Verwaltung, jüngere, meist mit tiefem Anfangslohn, stossen dazu. Diese Lohndifferenz – unter Experten Mutationsgewinn genannt – finanziere die laufenden, individuellen Lohnerhöhungen, sagt ein EPA-Specher. Die Gewerkschaft des öffentlichen Sektors, VPOD, doppelt nach: «Die individuelle Lohnentwicklung kostet gar nichts.» Gleich mache es die Privatwirtschaft.
«Vorgehen kostet Steuergelder»
Dieser Einschätzung widerspricht Subkommissionspräsident Grüter, der sich eingehend mit dem Reporting beschäftigt hat. «Am Ende des Tages kostet dieses Vorgehen ganz einfach Steuergelder.» Das System führe zu einer fast regelmässigen Lohnsteigerung für fast die Hälfte aller Angestellten, ohne dass die Stellenzahl erhöht würde. «Das darf nicht sein. Bei einem Durchschnittslohn in der Verwaltung von jährlich rund 122'000 Franken brutto sind dies enorme Summen», so Güter. Bei 5,9 Milliarden Personalaufwand dürften es ungefähr 45 Millionen Franken jährlich sein, die dieser Automatismus kostet. Hinzu kommen Leistungsprämien, Ortszuschläge, ein grosszügiger Arbeitgeberpensionsbeitrag und sehr hohe Familienzulagen.
Nationalrat Grüter kritisiert allerdings nicht nur die Finanzfolgen, sondern auch die HR-Strategie. Eine an den Lohn gekoppelte Mitarbeiterbeurteilung führe «zu einem erheblichen Führungsproblem»: Mit einer Jahresbeurteilung, die zum Prädikat «genügend» führt, handle sich ein Vorgesetzter viel Ärger ein. Dies vermeide er lieber. So komme es dazu, dass 96 Prozent der Angestellten «gut» bis «sehr gut» erhielten. Dieses Verhalten sei eine systematische, aber verdeckte Gefälligkeit der Vorgesetzten an die Mitarbeiter und sei stossend. Gleich sieht es Hans-Ulrich Bigler. Eine gute Beurteilung dürfte «nicht automatisch zu mehr Lohn» führen.
Der Kader, der anonym bleiben möchte, schildert einen perversen Aspekt: «Bereits im August, also vier Monate vor den Jahresgesprächen, muss ich schätzen, wie die Summe der Beurteilungen im Team ausfällt, damit mein Amt das Budget fürs nächste Jahr erstellen kann.» Das Personalamt kommentiert dies nicht und verteidigt das System als Ganzes: «Es funktioniert erfolgreich seit Jahren.» In der Bundesverwaltung steige «der Lohn primär leistungsbezogen».
Der Zürcher HR-Experte und Dozent Matthias Mölleney bestätigt, dass Mutationsgewinne in der Privatwirtschaft zwar für Lohnerhöhungen verwendet würden, aber eine zwingende Verknüpfung mit dem Jahresgespräch wie beim Bund aussergewöhnlich sei und Probleme schaffe. Sein Rat: «Führung und Geld sollte man trennen.»
Zuletzt waren beim Bund 37'366 Vollzeitstellen geplant, einschliesslich der Gerichte und Parlamentsdienste. Der Personalaufwand beträgt 2019 knapp 5,9 Milliarden Franken. Seit 2007 erhöht sich der Personalaufwand um 27 Prozent. Die Zahl der Vollzeitstellen hob um 5173 an.