Der Bundesrat hat über ein Jahr lang mit Brüssel vertraulich verhandelt. Siebzig Sitzungen fanden auf drei Ebenen statt. 9 allein durch Bundesrat Ignazio Cassis, 11 unter Chefdiplomaten und 46 auf Ämterebene. Das Resultat ist sehr detailliert formuliert und inhaltlich weitgehend eindrücklich. Es ist über weite Strecken geglückt. Jetzt kann getrost verhandelt werden.

Das Vorverhandlungsresultat ist sehr schweizerisch ausgegangen. Schweizerisch in dem Sinne, dass man hierzulande genau wissen will, was beim Abschluss eines künftigen bilateralen Abkommens aus Brüssel zu befolgen wäre und was nicht. Diese Beflissenheit, ganz korrekt sein zu wollen, hat in Brüssel über die Jahre für einige Heiterkeit gesorgt, denn im EU-Raum ist vieles nicht so genau definiert. Ob Rumänien, Polen, Ungarn oder Italien – alle EU-Länder sind eigensinnig und wenden gewisse Brüsseler Regeln nicht so an, wie es die EU-Kommission gerne hätte. Aber Brüssel lässt eine gewisse Unschärfe bewusst zu. 

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Doch die Schweiz will es ganz genau wissen. Das hat seine Vor- und Nachteile. Hier die vielleicht wichtigsten in drei Punkten. 

Marktzugang: Es wird keine automatische Rechtsübernahme von EU-Beschlüssen geben. Die Schweiz wird immer das Recht haben, davon abzuweichen. Sie wird souverän bleiben. Die Volksrechte sind gewahrt. Wird ein Referendum gegen ein aus Brüssel importiertes Regelwerk zum Binnenmarkt ergriffen, wird das Schweizer Volk es auch ablehnen können. Die Folge wird aber sein, dass die EU dieses Abkommen kündigen kann. Ein Volks-Nein wird also Konsequenzen haben.

Freizügigkeitsabkommen: In der EU dürfen sich alle EU-Angehörigen überall niederlassen. In der Schweiz wird dies auch künftig nicht gelten. Nur wer mindestens fünf Jahre lang hier gearbeitet hat, wird die Niederlassung (C-Ausweis) erhalten. Darin inbegriffen ist das Recht auf Sozialhilfe. Nicht integrierbare Arbeitslose können aber innerhalb dieser Fünfjahresfrist ausgewiesen werden. Die Schweiz gibt eine diskriminierende Praxis nach EU-Ländern auf. In einigen Kantonen mussten EU-Arbeitnehmende zehn Jahre lang bis zur Niederlassung warten.

Keine «fremden Richter»: Bei Streit entscheidet ein unabhängiges Schiedsgericht, was gilt. Die Rechtsgutachten zur Anwendung holt es für den EU-Binnenmarkt beim Europäischen Gerichtshof ein und für Schweizer Recht bei hiesigen Gerichten. Wenn eine Seite sich nicht daran hält, darf es Strafmassnahmen geben. Das könnte weh tun, ist aber besser als frühere einseitige Zollblockaden oder das Drohen mit schwarzen Listen.

Auch geglückt sind die Vorverhandlungen, weil die Chefbeamtinnen und -beamten in Bundesbern offenbar genau wissen, wo die Lücken sind. Dies zeigte die Medienkonferenz vom Freitag. Alle waren sie dort und hatten eine genaue Antwort auf die Frage, was noch drohen könnte. Diese Lücken und Streitpunkte können jetzt zu Ende verhandelt werden. Am Ende wird das Stimmvolk entscheiden, ob das Paket ausgewogen ist.

Den Gewerkschaften ist hinter vorgehaltener Hand bereits zugestanden worden, dass man ihnen entgegenkommt, damit sie ihren Widerstand gegen ein Verhandlungspaket aufgeben.

Ärgerlich ist nur, dass den Gewerkschaften hinter vorgehaltener Hand bereits zugestanden wird, dass man ihnen entgegenkommt, damit sie ihren Widerstand gegen ein Verhandlungspaket aufgeben. Es ist dies die vereinfachte Verbindlicherklärung von Mindestlöhnen in Branchen. Generelle Mindestlöhne seien aber vom Tisch, wie Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard in einem Interview sagte. Immerhin.

Etliche Wirtschaftsverbände haben sich dafür ausgesprochen. Selbst frühere Gegnergrüppchen wie Autonomiesuisse sind mehr oder weniger dafür. 

Die wohl einzige Gegnerin eines neuen Abkommens wird die Anti-EU-Partei SVP sein. Bleibt der Widerstand im Kreise der SVP-Anhängerschaft, dürfte sie aber, wenn es dereinst zur Abstimmung kommt, in der Minderheit bleiben.