Mit Philippe Egger und Franz Wipfli haben Sie im Finma-Verwaltungsrat zwei Mitglieder mit Hintergrund in der Versicherungswirtschaft. Genügt das oder ist aus Ihrer Sicht ein Ausbau erwünscht?

Thomas Bauer: Jedes Mitglied im Verwaltungsrat bringt unterschiedliche Erfahrungen und Kenntnisse mit. Der Mix der im Finma-Verwaltungsrat vertretenen Kompetenzen stimmt, auch was die Branchenherkunft betrifft.

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Werden die Branchen in der Aufsicht unterschiedlich gewichtet?

Jede Branche und jedes Institut erhält die angemessene Aufmerksamkeit entsprechend unserem risikoorientierten Aufsichtsansatz. So haben wir für Banken und Versicherungen je einen Geschäftsbereich mit ungefähr gleich vielen Ressourcen und es gibt auch Querschnittsfunktionen, die für alle Geschäftsbereiche arbeiten.

 

Inwiefern pflegen Sie persönlich Kontakt zu Repräsentanten der Versicherungswirtschaft?

Ich treffe mich regelmässig mit Exponenten des Finanzplatzes, einschliesslich solcher von Versicherungsgesellschaften. 

 

Die Finma ist keine gesetzgebende Instanz. Dennoch hört man immer wieder den Vorwurf, dass die Rundschreiben quasi Gesetzescharakter haben und damit auch für Versicherer bindend sind. Was gilt nun?

Die Finma kann per Verordnungen regulieren, soweit ihr der Gesetzgeber dazu jeweils die Kompetenz überträgt. Die Rundschreiben halten dagegen unsere Aufsichtspraxis fest. Sie beziehen sich inhaltlich auf die massgebenden Gesetze und Verordnungen und durchlaufen einen Prozess, in dem die Betroffenen frühzeitig angehört werden. Wir sehen in den Rundschreiben auch einen Service für die Beaufsichtigten: Indem die Finma ihre Aufsichtspraxis in Rundschreiben definiert, schafft sie für Versicherungen und Banken Berechenbarkeit, Einheitlichkeit und Transparenz.

 

Was, wenn eine Gesellschaft ein Rundschreiben ignoriert?

Zunächst versucht die Finma, allfällige Fehlentwicklungen oder Probleme im Rahmen des Aufsichtsdialogs zu lösen. Sehr häufig führt dies bereits zu einer Lösung. Teilt eine Gesellschaft unsere Auslegung der Finanzmarktregulierung im Einzelfall aber nicht, so kann sie von der Finma eine Verfügung verlangen, gegen die sie Beschwerde ergreifen kann. Die Gerichte klären dann, welche Auffassung die richtige ist.

 

Inwieweit wird bei der Finanzmarktaufsicht auf Eigenheiten der beaufsichtigten Sektoren Versicherungen und Banken geachtet?

Sehr stark. Versicherungen und Banken betreiben ja auch unterschiedliche Geschäfte, die in verschiedenen Gesetzen geregelt sind und unterschiedliche Bewilligungsvoraussetzungen haben. Den Eigenheiten der beiden Sektoren trägt die Finma sowohl bei der Aufsichtstätigkeit als auch in den Rundschreiben, wo erforderlich, Rechnung.

 

Wo wird gleich reguliert?

In Bereichen, die den ganzen Finanzplatz integral betreffen oder wo gleiche Risiken bestehen, zum Beispiel Geldwäschereirisiken, Umgang mit Informationsanforderungen ausländischer Aufsichtsbehörden oder Outsourcing. Zudem sind die Gesellschaften im gleichen Finanzmarkt unterwegs: Marktrisiken oder operationelle Risiken sind Themen, die in der Aufsicht von Versicherern und Banken relevant sind. Darum ist eine integrierte Aufsichtsbehörde sinnvoll.

 

Die Technologisierung des Finanzsektors verläuft in horrendem Tempo. Wo müssten die Strukturen angepasst werden, um effizienter zu sein?

Die Finma nutzt die technologischen Möglichkeiten, um die Aufgaben besser und kosteneffizienter wahrzunehmen. Ein Beispiel ist unsere neue Plattform für den elektronischen Geschäftsverkehr mit den Beaufsichtigten.

 

Und auf Aufsichtsebene?

Ein Beispiel hier ist die Marktaufsicht. Neue technische Möglichkeiten helfen uns, um aus Big Data die für uns relevanten Informationen zu ziehen. So können wir missbräuchliches Verhalten entdecken, nachvollziehen und sanktionieren. Zudem verfolgen wir natürlich die technologischen Entwicklungen im Markt sehr aufmerksam und stehen auch mit den Marktteilnehmern in Kontakt. Dazu haben wir ein Fintech-Desk eingerichtet, wo sich Beaufsichtigte mit spezifischen Fintech-Anliegen an die Finma wenden können.

 

Wie erleben Sie die aktuelle Stimmung der Finanzmarktakteure gegenüber der Finma?

Wir pflegen einen guten und intensiven Dialog mit den Branchen. Für mich ist entscheidend, dass dieser Dialog professionell, sachlich und mit Respekt geführt wird.

 

Die Finma galt in der Vergangenheit eher als kritikresistent. Wie geht die Behörde unter Ihnen als Präsident mit Kritik um?

Wir nehmen Kritik sehr ernst. Es ist wichtig, dass Kritik formuliert und auch deponiert werden kann – beispielsweise bei der Anhörung zu einem neuen Rundschreiben, aber auch in formellen oder informellen Gesprächen. Fundierte Kritik gibt uns die Chance, unsere eigenen Vorgehensweisen und Überlegungen zu verbessern.

 

Wann stört Sie Kritik?

Wenn sie pauschal geäussert wird. Oft ist das nicht konstruktiv, deshalb kann ich damit relativ wenig anfangen. 

 

Kommt Pauschalkritik vor allem von den Medien oder auch von Seiten der Akteure?

So wie ich das wahrnehme, kommt sie typischerweise ursprünglich von den Branchenvertretern. Manchmal wird das, was die Branchenvertreter sagen aber von den Medien aufgenommen. Zuweilen lese ich etwas in den Medien und würde gerne nachfragen, was denn konkret damit gemeint ist.

 

Die Finanzmarktakteure beklagen sich nach wie vor über die Regulierungsflut, die ständig zunehmende Komplexität des Geschäfts und explodierende Compliance-Kosten. Berechtigt?

Ohne Zweifel gibt es mehr Regulierung als vor der Finanzkrise. Aber es war auch notwendig, bestimmte Parameter neu festzulegen. Nicht nur die Finanzkrise, sondern auch verschiedene Banken-Skandale haben Mängel in der bestehenden Regulierung vor Augen geführt. Diese wurden nun korrigiert.

 

Wann ist Finanzmarktregulierung kontraproduktiv?

Wenn sie unverständlich und unnötig kompliziert ist, wenn sie Wettbewerb und Innovation ohne Grund verhindert oder unnötigen Aufwand verursacht. In punkto Qualität und Quantität der schweizerischen Finanzmarktregulierung sehe ich insgesamt eher einen Wettbewerbsvorteil.

 

Trotz Swiss Finish?

Es gibt in der Schweiz keinen flächendeckenden Swiss Finish.

 

Die Kapitalanforderungen beispielsweise im Schweizer Solvenztest (SST) insbesondere für die Lebensversicherer sind wesentlich höher als im neuen Regelwerk für Solvabilität II der EU. Diese überhöhten Kapitalanforderungen des SST führen zu Wettbewerbsverzerrungen und haben volkswirtschaftliche Folgen. Steht eine Lösung in Aussicht?

Derart pauschale Aussagen zum Vergleich zwischen der europäischen Rahmengesetzgebung Solvency II und dem Swiss Solvency Test lassen sich nicht machen. Das sind zwei unterschiedliche Rahmenwerke, wobei die EU attestiert hat, dass der Schweizer Regulierungs- und Aufsichtsrahmen gleichwertig mit den entsprechenden EU-Vorgaben ist. Für einen aussagekräftigen Vergleich kommt es sehr darauf an, wie die Ausgestaltung im jeweiligen EU-Land ist und welchen Bereich man ansieht. So ist der SST bei Lebensversicherungen in der Tendenz etwas strenger, dafür aber zum Beispiel bei Sachversicherungen weniger streng. Aber gerade bei den Lebensversicherungen führen die Unterschiede nicht zu einem Wettbewerbsnachteil. Eine Lebensversicherung darf nicht grenzüberschreitend verkauft werden und der Rechtsrahmen in der Schweiz ist für alle Anbieter gleich. Und wenn eine Schweizer Versicherung im Ausland tätig ist, muss sie sich an die dortigen Vorschriften halten.

 

Sie sprechen es an: Regulierung hat für die Schweiz eine wichtige internationale Dimension: Beispielsweise ohne Äquivalenz kein Marktzugang in Europa. Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, die Finma bzw. die Schweiz spiele sich als Musterknabe auf, indem sie viele Regulierungen schon übernommen habe, während die EU wieder zurückbuchstabiert?

Hier muss man differenzieren: Es gibt Bereiche, in denen die Schweiz bei der Umsetzung internationaler Standards bewusst vorne mit dabei ist. Die Kapitalanforderungen gehören dazu. Es gibt andere Bereiche, wo die Schweiz nicht so schnell ist wie die EU – denken Sie an die in Europa umgesetzte Mifid II-Regulierung im Vergleich mit den schweizerischen Regelwerken Fidleg und Finig, die jetzt erst ausgearbeitet werden.

 

Wie weit soll die Äquivalenz mit internationaler Regulierung gehen?

Primär sind für uns die gesetzlichen Aufsichtsziele der Stabilität und des Kundenschutzes massgeblich. In Einklang mit der Finanzplatzstrategie des Bundesrats soll die Schweizer Finanzmarktregulierung grundsätzlich kompatibel mit internationalen Standards sein. Als Finma setzen wir uns in Abstimmung mit dem EFD und der SNB für sinnvolle internationale Standards ein, welche die globale Finanzstabilität schützen und möglichst ein Level Playing Field sichern. Dabei unterstützen wir den Ansatz einer intelligenten Äquivalenz auch mit EU-Regulierungen: Nicht wörtliche Übernahme, sondern gleiche Wirkung der Schweizer Regulierung, die weiterhin prinzipienbasiert ausgerichtet sein soll.

 

Wie muss die Regulierung im Bereich der FinTechs und der Digitalisierung letztlich gestaltet sein?

Voraussetzung ist eine Regulierung, die unnötige Hürden für neue Technologien und Modelle vermeidet. Gleichzeitig muss auch immer wieder überprüft werden, ob neue Probleme und Risiken entstehen. Hier sind die Erfahrungen aus konkreten Fällen sehr wertvoll. Sie helfen uns einerseits zu verhindern, dass neue Ideen nicht vorschnell aus regulatorischen Gründen abgewürgt werden. Andererseits müssen wir verhindern, dass die bestehenden Schutzziele über neue Technologien ausgehebelt werden.