Bis vor einem Jahr waren Klagen zu Überregulierung an der Tagesordnung. Heute höre ich nicht mehr viel. War alles ein Sturm im Wasserglas?
Nein. Lassen Sie es mich so formulieren: Wenn die Regulatoren und die Aufsicht beginnen, die strategische und operative Freiheit der einzelnen Unternehmen unnötig einzuschränken, dann verschlechtert das die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationskraft der betroffenen Unternehmen massiv – zum Nachteil der Kundinnen und Kunden und des Wirtschaftsstandortes Schweiz. Diese Gefahr besteht nach wie vor.
Beispielsweise?
Beispielsweise Kapitalanforderungen: Nirgends ist das Damoklesschwert der Überregulierung besser erkennbar als bei den Solvenzvorschriften. Obwohl wir Versicherer nie in Gefahr waren, wurden wir nach der Finanzkrise mit den Banken in Sippenhaft genommen. Heute müssen die Lebensversicherer unter dem Schweizer Solvenztest beinahe doppelt so viel Risikokapital bereitstellen wie unsere europäischen Mitbewerber unter Solvenz II. Das schadet letztlich den KMU und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Durch überhöhte Kapitalanforderungen steigen die Preise für unsere Produkte. Das wollen weder die KMU noch die privaten Kunden.
InsurTechs sind Start-ups mit dem technologischen Potenzial, den Versicherungssektor auf den Kopf zu stellen. Einverstanden?
Auf den Kopf stellen würde ich nicht sagen. InsurTechs bringen viele Innovationen. Das hilft auch den etablierten Unternehmen. Wir profitieren von den Ideen und Innovationen von Start-ups und bieten im Gegenzug Versicherungs-Knowhow, das sich über Jahrzehnte etabliert hat. Das Potenzial dieser Zusammenarbeit ist gross und wird bereits gelebt. Wir, die Versicherer, bauen Digitalisierungs-Expertise auf und nutzen Synergien mit versicherungsnahen Unternehmen. Unsere Voraussetzungen sind gut. Kurz und gut: InsurTechs machen uns Druck, sie rütteln uns auf. Mit der Zeit werden Versicherer zu InsurTechs. Das erwarten auch unsere Kunden.
Das klingt jetzt aber sehr optimistisch. Es gibt auch Konfliktpotenzial...
...bei den Rahmenbedingungen, ja.
Wie sollen InsurTechs reguliert werden?
Ich sehe Regulierungsgrundsätze, die prinzipienbasiert sind und damit Raum lassen für Innovation. Regulierung so wenig wie möglich und so viel wie nötig ist das Credo. Schliesslich sollen für gleiche Geschäfte und gleiche Risiken die gleichen Regeln gelten. Das heisst: gleich lange Spiesse für alle, also für die Versicherer und für InsurTechs.
Die beiden Geschäftsmodelle sind doch nur beschränkt vergleichbar.
InsurTechs definieren bestehende Kundenschnittstellen neu. Sie widmen sich meistens nur einzelnen Teilen der Wertschöpfungskette – etwa dem Vertrieb, der Administration, dem Schadenbereich oder dem Asset Management. Sie belassen, wenn immer möglich, die kapitalintensiven Risiken bei den traditionellen Versicherern. Dadurch sind sie oft nicht wie diese reguliert und müssen letztlich nicht die gleichen Kapitalanforderungen erfüllen. Gilt für sie «no risk, more fun»? Etwas salopp ausgedrückt könnte man von digitaler Rosinenpickerei sprechen...
...was nicht verboten ist.
Ja, das ist selbstverständlich legitim und gehört zum Wettbewerb. Durch asymmetrische Regulierung darf dieser Wettbewerb aber nicht verzerrt werden. Die Rahmenbedingungen sollen allen Marktteilnehmern die gleichen Chancen bieten.
Mein Eindruck ist, dass sich Versicherer stark mit neuen Technologien auseinandersetzen und InsurTechs einbinden, wo es Sinn macht.
Das ist so. Ich sehe auch eine pragmatische Entwicklung auf Seite der InsurTechs, die sich vermehrt den Versicherern anbieten. Denn: Wenn InsurTechs keine eigenen Kunden gewinnen und keine Möglichkeit zur Skalierbarkeit ihres Geschäftsmodells haben, scheiden sie wieder aus dem Markt aus. Dass sie also alleine den Versicherungsmarkt auf den Kopf stellen können, sehe ich nicht. Die Chance liegt vielmehr in der Zusammenarbeit mit etablierten Versicherungsgesellschaften.
Das ganze Interview lesen Sie in der März-Ausgabe der «Schweizer Versicherung»