Er gilt als der Bill Bernbach des Brand Building und prägte die Beratungsbranche entscheidend mit. David A. Aaker ist mit 84 Jahren und jahrzehntelanger Erfahrung kein bisschen leise. Trotzdem ist der Marketing-Guru bescheiden geblieben. So passioniert er sich den Themen und Problemen von Marken widmet, so wenig geht es ihm um Selbstvermarktung. Thomas Wildberger, Partner bei der weltweit grössten unabhängigen Beratungsagentur Prophet, hat den Vice Chairman von Prophet zum Zoom-Gespräch getroffen und mit ihm über Sinnreichtum, Verkaufszahlen, die Wahrheit und die Migros gesprochen.
Dave, vor dreissig Jahren hast du dein erstes Buch «Managing Brand Equity» verfasst, das nicht nur die Weichen in deiner Karriere gestellt, sondern auch einen Paradigmenwechsel im Marketing eingeleitet hat. Was hat dich damals zum Schreiben bewegt?
Die Unternehmen konzentrierten sich Ende der 1980er Jahre auf kurzfristige Ziele und Profite, die sie hauptsächlich über den Preis ihrer Produkte steuerten. Das führte zu einem aufreibenden Preiswettbewerb unter den Konkurrenten, schadete den Marken und verhinderte das wichtigste Ziel überhaupt: Wachstum. Zum Teil war diese Situation auf das Strategiemodell der Boston Consulting Group zurückzuführen, deren «Growth Share Matrix» Unternehmen dazu riet, ihre Marktanteile auf Biegen und Brechen zu erhöhen. Und Preisreduktionen beziehungsweise Sale-Aktionen erachteten damals viele als den einfachsten respektive einzigen Weg zu mehr Marktanteil.
Und da dachtest du: So kann das nicht weitergehen.
Genau. Ich hatte mich schon länger mehr für den Markenwert interessiert, der langfristiges Wachstum verspricht. Ein Konzept, das noch nicht klar definiert war – was ich dann in meinem Buch tat. Ich beschrieb einige wesentliche Parameter: Assoziationen, welche die Marke bei der Kundschaft auslöst. Markenbewusstsein, das sich aus Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit zusammensetzt. Wahrgenommene Qualität, was heute als Markenimage bezeichnet wird. Und Markenloyalität, die sich im Support und in der Treue der Kundinnen und Kunden niederschlägt. Gerade der letzte Begriff hat das Marketing wirklich revolutioniert.
Legende David Aaker (84), der als «Vater des modernen Branding» bezeichnet wird, ist stellvertretender Vorsitzender von Prophet, einer globalen Marketing- und Branding-Beratung. Er ist eine Autorität auf dem Gebiet des Branding und hat mehrere anerkannte Konzepte entwickelt, darunter das Aaker Brand Vision Model. Seine Bücher erzielen hohe Auflagen. Für seine Beiträge zur Wissenschaft des Marketing hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten. 2022 erscheint sein 19. Buch: «The future of purpose-driven branding».
Er erlangte seinen BA in Management am Massachusetts Institute of Technology, seinen Master Statistics an der Stanford University und einen PhD in Business Administration an der Stanford University Graduate School of Business. Seit 1970 ist er Professor der Marketing Strategy an der Haas School of Business und der University of California in Berkeley. Von 2001 bis 2011 arbeitete er bei Dentsu als Executive Adviser.
Das Hauptziel lautet, einen starken, stabilen Brand aufzubauen. Dazu hast du auch dein nächstes Buch «Building strong Brands» geschrieben, das weltweit ein Erfolg wurde. Um den Unternehmen zu zeigen, wie’s geht?
Das Konzept des Markenwerts schürte das Interesse der Unternehmerinnen und Unternehmer dafür, wie man Marken strategisch aufbaut. Als nächsten Schritt entwickelte ich das sogenannte Aaker-Modell, das aus drei Grundsätzen besteht. Erstens sollte eine Markenvision von mehreren Säulen getragen sein. Damals kümmerten sich die Werbeabteilungen oder externe Werbeagenturen um die Markenstrategie. Die dachten eher eindimensional im Sinne von Kampagnen, basierend auf einer einzelnen Idee. Für sie war ein Brand im Endeffekt nicht viel mehr als ein Claim. Diese eher taktische Herangehensweise sollte nun von einem strategischen Vorgehen abgelöst werden. Zweitens sollten die Säulen so ausgewählt werden, dass sie den Kontext berücksichtigen, in dem die Marke mit Mitbewerbern konkurrenziert. Drittens zeigt mein Modell auf, wie man jene Kernelemente identifiziert und priorisiert, welche für die Steigerung des Markenwerts am wichtigsten sind.
Du hast dem Branding Dekaden deines Lebens gewidmet. Was ist dein Fazit, wenn du zurückblickst?
Es ist faszinierend, was sich auf diesem Gebiet getan hat. Die Fokussierung auf den Markenwert hat verändert, was Marketing ist, wer Marketing betreibt und wie Marketing gemessen wird. Marketing ist jetzt strategisch mit Produktentwicklung, Kundenerlebnis, Marktkräften und Trends verbunden. Es geht nicht mehr nur um Kommunikation. Und es hat den Sprung vom mittleren Management ins Topmanagement geschafft, indem der CMO oder Vice President Marketing nun in der Geschäftsleitung sitzt. Eine weitere Veränderung: Heute wird Marketing sowohl am Markenwert als auch an kurzfristigen Verkaufszahlen gemessen.
Das Aaker-Modell ist über zwanzig Jahre alt und wird auch heute noch gerne herangezogen. Hat es so lange gebraucht, um es zu begreifen?
Es hat weiterhin Gültigkeit – mit mehr Breite und Tiefe. Bis vor kurzem haben viele Branchen, etwa die Medizin, überhaupt nicht an Marketing gedacht. Heute gibt es kaum eine Sparte, welche das nicht tut. Es hat alle erreicht, auch NGO und den B2B-Bereich.
«Ich beschäftige mich intensiv mit Purpose-getriebenem Marketing.»
Hat das Modell deshalb als Wegweiser im Business Bestand, weil es die Wissenschaft ins Marketing brachte?
Zu jener Zeit wurde gerade das Scanning in den Läden eingeführt. Ein perfektes Tool für Marketingexperten und -expertinnen, denn nun konnten sie beobachten und festhalten, wer was wann kaufte. Man nahm ganze Dörfer quasi als Testmärkte: Zum Beispiel schickte man einem Dorfbewohner an vier Tagen eine Anzeige für ein Produkt, seiner Nachbarin nur an zwei Tagen – und ein anderer Nachbar hatte gar keine Anzeigen im Briefkasten. Man fand dann mittels der Datenscans an den Supermarktkassen heraus, dass Werbung allein keinen Einfluss auf das Kaufverhalten hat. Eine Preisreduktion hingegen durchaus. Also boten immer mehr Firmen ihre Waren kurzfristig günstiger an. Ohne zu überlegen, welche Folgen das langfristig hatte. Wie man sich die Loyalität der Kundinnen und Kunden sichert, konnte ich in der Folge aufzeigen und festschreiben.
Welcher Brand beeindruckt dich persönlich am meisten?
Ich beschäftige mich intensiv mit Purpose-getriebenem Marketing. Und damit, was Marken für Umwelt und Gesellschaft tun können und wie sie ihre Gewinne sinnvoll einsetzen. Stichwort ESG. Unilever hat mich diesbezüglich beeindruckt. Der Konzern hat enorm viel bewirkt, indem er diverse solche Programme in die komplette Businessstrategie integriert hat. Seine Marke Lifebuoy zum Beispiel machte kurze Videos, um zu erzählen, wie «Help a Child Reach 5», deren Initiative fürs Händewaschen, Mütter in verschiedenen Dörfern beeinflusste. Sie hatten 44 Millionen Views und einen enormen Impact. Und das mit einer Seife.
Hast du auch ein Beispiel für ein beachtenswertes KMU?
Klar, den Dollar Shave Club, ein E-Commerce-Startup, das Rasierer und Klingen an seine Mitglieder verkauft und verschickt. Die Gründer haben ein witziges Video produziert, das sich über ihre namhaften Konkurrenten wie Gillette lustig gemacht hat und viral ging. In zwei Tagen hatten sie 18 000 Abonnenten und Abonnentinnen – und vier Jahre später haben sie ihr Unternehmen für 1 Milliarde Dollar an Unilever verkauft. Alles begann 2011 mit zwei Menschen, einer Idee und einem guten Sinn für Humor.
Schöne Geschichten. Wie siehst du den Einfluss von Storytelling in unserer Welt des Informationsüberflusses und der Übermedialisierung?
Geschichten sind ein Kernelement, um eine Marke aufzubauen. Wenn man die Konsumentinnen und Konsumenten bloss mit Fakten konfrontiert, ignorieren sie dich. Und wenn du doch zu ihnen durchdringst, glauben sie dir aufgrund der vorhandenen allgemeinen Skepsis nicht. Ich ermutige die Fachleute stets, zu lernen, Geschichten zu erzählen. Nur so können sie ihre Community erreichen.
Woraus sollte eine gute Geschichte entspringen: aus der Wahrheit? Aus der DNS eines Unternehmens? Aus heiterem Himmel?
Dem Marketing nützt nur eine «Signature Story», also ein Narrativ, das über eine Person, einen Vorfall, ein Ereignis gesponnen wird. Das Hauptmerkmal dafür ist Authentizität. Wenn die Konsumentin oder der Konsument das Gefühl hat, sie oder er werde angeschwindelt oder die Geschichte diene nur dem Verkauf, erreichst du damit nichts. Dazu fällt mir Bill Wells von Leo Burnett ein, der als Leitgedanken hatte: Wenn es echt erscheint, dann ist es in Ordnung. Bildlich gesprochen: Wenn Menschen fliegen könnten, dann täten sie es so wie in den Cartoon-Werbespots, in denen Red Bull Flügel verleiht.
Und was ist mit Emotionen? Sie zu wecken, gelingt doch nur mit Geschichten.
Ja, vor allem dann, wenn sie den Wow-Faktor haben, wenn sie besonders lustig, interessant, lehrreich und so weiter sind. Spannung, Aufregung oder auch Stress gehören in eine Signature Story. Damit bleibt ein Brand im Gedächtnis.
Welche Stichworte fallen dir zu folgenden globalen Schweizer Marken ein: Rolex?
Prestige. Ich würde aber nie eine Rolex kaufen, weil die Uhren keine Stopp- und Weckerfunktion haben. Ich bevorzuge zweckmässige, digitale Uhren. Darum trage ich eine Casio, die 18 Dollar kostet. Das Prestige, das sie vermittelt, ist die Aussage: Mein Selbstbewusstsein ist so gross, dass ich keine Statussymbole brauche.
Nespresso?
Ich trinke zwar keinen Kaffee, aber in einem meiner Bücher habe ich mich mit Nespresso beschäftigt. Mit der Erfindung der Kaffeekapseln hat Nespresso eine neue Subkategorie eines Geschäftszweigs geschaffen, welche der Firma die Marktführerschaft beschert hat.
Thomas Wildberger (48) ist Partner bei Prophet und Vorstandsmitglied von ADC. Der Marketingexperte war unter anderem Werber des Jahres und arbeitete zuletzt als CCO und CEO bei Publicis. Aktuell ist er Partner bei Prophet in Zürich und steht für die Verbindung von Kreativität mit den Themen Wachstum und Transformation.
UBS?
Als ich vor 21 Jahren zu Prophet stiess, waren wir 18 Leute in San Francisco. Heute sind wir mehr als 600 Mitarbeitende mit Standorten weltweit. Gleich am Anfang rief die UBS an: Der CEO wolle mich treffen, damit wir ihm helfen, einen neuen Brand zu kreieren. Wir diskutierten, ob aus der Bank eine Mastermarke oder viele Submarken werden sollten. Das war meine erste Berührung mit der UBS, die bis heute eine wichtige Klientin für Prophet ist.
Was hältst du von Testimonials? Ist es ein Zeichen von Schwäche, sie zu Werbezwecken einzusetzen? Und was, wenn das Testimonial berühmter ist als der Brand selbst, etwa Roger Federer?
Ein Testimonial bringt Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit. Letztere wird noch gesteigert, wenn er oder sie eine Expertise in dem Gebiet hat, in dem das Produkt verwendet wird, wie Tennisschläger oder Sportbekleidung bei Roger Federer. Ist es nur ein Star ohne Bezug zum Produkt, bringt er zwar einen gewissen Nimbus mit, aber die Glaubwürdigkeit könnte leiden, weil alle annehmen, er mache die Werbung nur wegen des Geldes.
Kann ein schlechtes Produkt die Basis für eine starke Marke sein?
Eine starke Marke mit einer langen Historie und diversen Leistungsnachweisen erweist sich wahrscheinlich als resilient gegenüber einem einmaligen schlechten Produkt. Apple und Harley-Davidson hatten beide zeitweise ernsthafte Probleme mit ihren Produkten, aber nachdem sie behoben waren, zeigten sie sich immer noch als gesund.
Musstest du jemals zugeben, dass nicht einmal du einen bestimmten Brand retten kannst?
Nein. Solange ein gewisser Markenwert vorhanden ist, würde ich die Rettung einer Neugründung gegenüber bevorzugen. Einer meiner meistgelesenen Blogbeiträge behandelt die Namensänderung von Facebook in Meta. Ich erachte sie als falsch, weil es keinen triftigen Grund dafür gab. Man hätte Meta ganz einfach als ein neues Projekt einführen können, ohne eine derart grosse Änderung vollziehen zu müssen.
Die Migros, die beliebteste Detailhändlerin in der Schweiz, verkauft seit ihrer Gründung keinen Alkohol. Nun wollte das Management das plötzlich ändern. Ich finde es unklug, solch ein Alleinstellungsmerkmal aufzugeben. Was meinst du?
Dass darüber eine Diskussion stattfindet, finde ich gut. Aber sie hätte nicht nur darauf beschränkt werden dürfen, ob Alkohol ja oder nein. Da steckt viel mehr dahinter.
Zum Beispiel die Frage, was mit dem zusätzlichen Profit passiert. Der könnte doch in soziale Aktivitäten investiert werden, etwa in Massnahmen, um Trunkenheit am Steuer zu verhindern. Dann würde die angestrebte Veränderung Sinn machen.
Das genau ist der Punkt. Überlegungen zum Profit und zur sozialen Verantwortung des Unternehmens sollten unbedingt in die Entscheidungsfindung mit einfliessen.
Da die Migros den Leuten gehört, lässt man die Genossenschafterinnen und Genossenschafter respektive Kundinnen und Kunden entscheiden.
Das ist nur dann schlau, wenn sichergestellt ist, dass die Grundwerte des Unternehmens vom Ausgang der Wahl nicht beschädigt werden. Dazu sollte man transparent über die Pläne, was mit den zusätzlichen Einnahmen aus dem Alkoholverkauf passiert, informieren.
Wie wichtig ist ein Logo fürs Branding?
Für mich ist ein Logo ein derart kleiner Bestandteil eines Brands, dass ich ihm kaum Beachtung schenke. Nur auf ein Logo zu fokussieren, symbolisiert genau die Art und Weise, wie man nicht an einen Brand herangehen sollte.
Worin siehst du die Zukunft des Branding?
Im Purpose-getriebenen Branding. Wenn sich Marken einem höheren Sinn und Zweck widmen, entsteht eine engere Verbindung zu ihren Mitarbeitenden, und sie bekommen mehr Bedeutung für Verbraucherinnen und Verbraucher und andere Stakeholder. Unter dem Strich können wir alle davon nur profitieren. Auch unser Planet.