Deglobalisierung, Wachstumsprobleme, Exportoffensive, lascher Umgang mit intellektuellem Wissen, das anderswo aufgebaut worden war, sowie eine enge digitale Überwachung im eigenen Land und zunehmend über digitale Kanäle weltweit – die Liste lässt sich fortsetzen, denn China hat in den vergangenen Jahren viel von seinem Glanz verloren. Praktisch wöchentlich zählt der «Economist» Firmen und Branchen auf, die das Land verlassen. Und diese Entwicklung macht auch vor dem Bildungs- und Weiterbildungsbereich nicht halt: Business-Schools überprüfen mittlerweile den China-Anteil ihrer MBA-Kurse in Lehre und Forschung wie auch bei Studienreisen und Austauschprogrammen. Verschiebungen in andere Länder sind denkbar. Aktuell wird daher genau hingeschaut.

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Mehr Interesse, mehr Kritik

«Das Interesse an China-Vertiefungen ist seit letztem Jahr deutlich gestiegen», stellt beispielsweise Mark Greeven, Professor of Management Innovation and Dean of Asia am International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne VD, fest. «Die Inhalte rund um China nehmen ebenso zu wie die Nachfrage danach. Insbesondere nach Gen-AI-Innovationen, die aus China kommen.» Greeven sieht daher bisher keine nennenswerte Verschiebung weg von den USA, Europa und Asien als den attraktivsten Regionen für MBA- und EMBA-Studierende. «Führende US-amerikanische Business-Schools unterhalten seit Jahrzehnten globale Partnerschaften, und wir gehen davon aus, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird.» Das IMD selbst ist Mitglied des Global Network for Advanced Management, dem auch Yale und UC Berkeley Haas angehören, und laut IMD deutet alles darauf hin, dass diese Zusammenarbeit auch weiterhin Bestand haben wird. 

«Doch aufgrund der Unsicherheit in den USA bezüglich der Einwanderungspolitik erwarten wir eine leichte Verlagerung der internationalen MBA- und EMBA-Studierenden weg von den USA», heisst es vom IMD weiter. «Wir gehen auch davon aus, dass aufgrund des zunehmend polarisierten politischen Klimas mehr Amerikaner und Amerikanerinnen ihre MBA-Ausbildung ausserhalb der USA absolvieren werden, als dies in der Vergangenheit der Fall war – immer mit dem Ziel, nach dem Studium weiterhin im Ausland zu arbeiten.» 

 

China im Blick

«Das allgemeine Interesse unserer Studierenden an China ist vergleichbar mit dem an anderen Ländern und Regionen», sagt Arie Hans Verkuil, Leiter des Instituts für Unternehmensführung an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). «Allerdings zeichnet sich ein deutlicher Wandel im Bewusstsein der Studierenden und Weiterbildungsteilnehmenden ab: die Erkenntnis, dass China einen globalen Führungsanspruch erhebt und zu einem zentralen Akteur in der Weltpolitik aufgestiegen ist. Diese Wahrnehmung hat sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt.» Deutlich gestiegen seien auch die Sensibilität und das Bewusstsein dafür, dass China nicht nur als Handelspartner, sondern auch als ein ernst zu nehmender Konkurrent im globalen Wettbewerb gesehen wird. Die wirtschaftliche und politische Praxis Chinas basiert laut Verkuil auf anderen Normen und Werten als die westlichen Demokratien, was zu einer differenzierten Betrachtung und kritischen Auseinandersetzung führt.

Auch die inhaltlichen Kooperationen mit chinesischen Einrichtungen haben gemäss Verkuil in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen. «Während vor etwa sechs Jahren ein regelrechter Boom an gemeinsamen Projekten und Forschungsinitiativen zu verzeichnen war, hat sich die Dynamik dieser Kooperationen inzwischen spürbar verändert», stellt er fest. Früher wurde die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern nicht nur von einem innovativen und disruptiven Geist geprägt, sondern auch von einer ausgeprägten Offenheit und Begeisterung für gemeinsames Neuland. In vielen Bereichen, insbesondere in der Technologie- und Wissenschaftsbranche, erhofften sich westliche Unternehmen und akademische Institutionen durch die Kooperation mit China entscheidende Fortschritte und bahnbrechende Entwicklungen. 

 

ASEAN-Staaten holen auf

«Heutzutage ist jedoch der offene Kooperationsgeist einer gewissen Vorsicht gewichen», so Verkuil. Dies habe verschiedene Gründe: Zum einen haben geopolitische Spannungen und differierende weltpolitische Interessen das Vertrauen in die Zusammenarbeit erschüttert. Auch konkrete Erfahrungen mit geistigem Eigentum, ungleichen Wettbewerbsbedingungen, Sanktionen und Exportkontrollfragen haben zu veränderten Einstellungen vieler westlicher Partner geführt. «Chinesische Einrichtungen werden zunehmend als starke Konkurrenten im globalen Wettbewerb wahrgenommen, die sich an anderen Standards und Werten orientieren als westliche Demokratien», sagt Verkuil. 

Trotz dieser Entwicklungen gebe es nach wie vor Bereiche, in denen eine Zusammenarbeit möglich ist. «Bei langfristigen wissenschaftlichen Projekten sind Kooperationen möglich und teilweise auch erfolgreich, wobei die Partnerschaften jedoch oft von detaillierteren Abkommen und präziseren Rahmenbedingungen geprägt sind, um Risiken zu minimieren und beiderseitige Interessen zu wahren», so Verkuil.

«Der ASEAN-Raum mit Ländern wie Vietnam, Indonesien und Malaysia hat als Alternative und Gegengewicht zu China für uns klar an Bedeutung zugenommen», sagt Verkuil. «Es ist spürbar, dass die USA der wichtigste Handelspartner der Schweiz sind – die USA, insbesondere das Silicon Valley, bleiben wegen der kulturellen, sprachlichen und wirtschaftlichen Nähe von grosser Bedeutung.»