In den USA tobt seit einem Vierteljahrhundert eine Rivalität zwischen zwei Unternehmen: Walmart, die grösste Detailhandelskette, bezüglich der Anzahl der Mitarbeitenden über zwanzigmal grösser als die Migros, schlägt sich mit dem Online-Aufsteiger Amazon, der etwas weniger Mitarbeitende als Walmart beschäftigt, herum. Früh warb Amazon von Walmart die Logistiker und IT-Spezialistinnen ab, die man für den Aufbau des Online-Riesen dringend benötigte und von denen es selbst in den USA (zu) wenige gab, die Erfahrungen in ganz grossen Projekten hatten.

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Walmart unternahm umgekehrt immer wieder Anläufe in Richtung Digitalisierung, wie der US-Wirtschaftsjournalist Jason Del Rey in einem kürzlich erschienenen Buch über den Kampf der Giganten nachzeichnete. Die jüngste Runde: Künstliche-Intelligenz-Assistenten. Hier liegt Walmart vorne – bei einem sehr speziellen Anwendungsfall.

Der grosse Offline-Retailer hatte immer wieder intern Ideen gesammelt, in welchen Bereichen sich Assistenten mit künstlicher Intelligenz einsetzen lassen. Beispielsweise im Einkauf. Hier liegt historisch eine vielerorts nicht optimal ausgeschöpfte Möglichkeit, den Gewinn zu steigern – für beide Seiten. Zudem werden Bedingungen und Preise zunehmend standardisiert, und die Vielzahl der Beziehungen wird auf beiden Seiten auch in Form von Einkaufspools konsolidiert.

 

Praxisbeispiel Walmart

Walmart liess sich von der Technologiefirma Pactum einen solchen Assistenten bauen, der auf Textbasis mit den Lieferanten über tiefere Preise «verhandeln» sollte. Zu Testzwecken wählte man zunächst Produkte, die nicht zum Wiederverkauf gedacht waren, wie beispielsweise Einkaufswagen. Bei solchen Produkten gibt es oft Standardverträge, die nicht mehr nachverhandelt werden.

Die KI-Assistenten legten los: Von den 100 Lieferanten, die man für den Test angepeilt hatte, liessen 64 «mit sich reden». Sie holten 1,5 Prozent Einsparungen heraus in einer Branche, in der eine 1-Prozent-Reingewinnmarge die Regel ist und bei denen sehr gute Mitarbeitende im Einkauf kaum mehr als das erreichen.

 

Feilen an der Marge

Nach den erfolgreich abgeschlossenen Tests «verhandeln» die KI-Assistenten jetzt auch die Einkaufsbedingungen in weiteren Produktkategorien, die an die Endkundinnen und -kunden weiterverkauft werden, und sie «verhandeln» auch über die Lieferwege und -varianten. Es ist laut Industrieanalysten, die diese Entwicklung verfolgen, nur eine Frage der Zeit, bis die KI-Einkaufsmanager den Grossteil der Einkäufe selbstständig verhandeln. Die grossen Schweizer Retailer halten sich diesbezüglich noch zurück.

Diese KI-Entwicklung wird die Einkaufsmanagerinnen gemäss bisherigen Einschätzungen nicht überflüssig machen. Sie werden sich zukünftig weniger auf das Verhandeln der Bedingungen einzelner Verträge konzentrieren, sondern sich vielmehr um die strategische Beziehungspflege und die Verbesserungen der Geschäftsprozesse kümmern.

Solche Fragen braucht man Amazon kaum zu stellen – dort hat die KI bereits vor Jahren Teile des Einkaufs übernommen. Allerdings sind hier die Wege und Beziehungen aufgrund der Komplexität des Plattformgeschäfts ungleich vielfältiger und verschlungener – und auch einige grosse Lieferanten aus dem Tech- und Bekleidungsbereich nutzen die KI intensiv. Für die Unternehmen, die via Amazon Produkte verkaufen, nimmt KI ebenfalls unterstützende Funktionen wahr – von Vorschlägen für die optimale Preisgestaltung bis hin zu Titelvorschlägen für Produkte und einfache Produktbeschreibungen. Hier fassen derzeit die Large-Language-Modelle Fuss, die auch Chat GPT zugrunde liegen, wie das Unternehmen an der Amazon-Business-Reshape-Konferenz Mitte November in Chicago verlauten liess. Diese Systeme reagieren dann auf die Ergebnisse der anderen Modelle – und aus der Rivalität der Offline- und Online-Giganten wird dann auch eine der «schlaueren» KI-Assistenten.