Vor 15 Jahren zählten die Investmentbanken zu den höchstbewerteten der Welt. Die Zeiten haben sich längst geändert. Neben der Regulierung nach der Finanzkrise – in erster Linie waren es Restriktionen beim Eigenhandel und die erhöhten Anforderungen an das Eigenkapital – spielt auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle.
Das Beispiel der Digitalisierung bei Investmentbanken ist deshalb laut Industrieanalysten besonders, weil die Digitalisierung hier erst relativ spät an Fahrt aufgenommen hat. Weil es hier aber auch um zukünftige Geschäftsmodelle der Banken geht, entsteht so gleichsam ein Labor der Zukunft.
«Fast alle Produkte und Dienstleistungen im Finanzsektor bestehen heutzutage ausschliesslich aus Daten oder Programmen oder einer Kombination, was diesen Sektor gegenüber der digitalen Transformation so stark exponiert», erklärt Georges Grivas, Professor an der Hochschule Luzern mit Spezialisierung bei Digitalisierung der Finanzdienstleister. «Die Ausnahme bleibt die Kundenbetreuung und -beratung, sie wird auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren persönlich bleiben.»
Beratung bleibt Menschensache
Neue Technologien und/oder die Kombination von bestehenden Technologien ermöglichen laut Grivas neue Systeme und Prozesse: die Blockchain-Technologie, die Disintermediation beim Handel in Richtung Peer-to-Peer, die künstliche Intelligenz bei der Verarbeitung und Analyse von Informationen für eine Markt- oder Unternehmensanalyse. Und plattformbasierte Ecosysteme werden laut Grivas in eine Orchestrator-Rolle einnehmen.
Weit ist man schon heute im Assetmanagement. Dort verändert die Kombination von passiv ausgestalteten Exchange Traded Funds (ETF) und digitalen Wealth-Management-Lösungen, zu denen auch Robo-Advisors gehören, die bisherigen Verhältnisse. «Das standardisierte Transaktionsgeschäft wird sich hin zu einem Peer-to-Peer System bewegen (Disintermediation), die durch Plattformen orchestriert oder durch offene Netzwerke ermöglicht werden», sagt Grivas.
In anderen Bereichen spielen Menschen derzeit noch eine grössere Rolle. «Das ganze Advisory-Geschäft wird weniger von der digitalen Transformation betroffen sein», glaubt Grivas. «Nichtstandardisierte massgeschneiderte Transaktionen werden weiterhin manuellen Input benötigen und die Beratung, das Advisory von Firmen, institutionellen Anlegern und vermögenden Privatkunden wird ein wichtiger Bestandteil des Investmentban-king-Service bleiben.»
Digitale Systeme supporten Menschen
«Im Investmentbanking liegen oft sehr spezifische Kundenbedürfnisse vor, für die eine umfassende Beratung und komplexe, individuell zugeschnittene Lösungen erforderlich sind», sagt Jens Haas, Leiter Investmentbanking Schweiz bei der Credit Suisse. Die Bank steht dieses Jahr im Investmentbank-Ranking der «Financial Times» auf Rang sechs und unterhält derzeit die grösste Investmentbank einer Nicht-US-Bank. «Die entsprechenden Beratungsprozesse lassen sich kaum digitalisieren. Und durch die Komplexität des Investmentbanking wird der Durchdringungsgrad der Digitalisierung kleiner bleiben als in anderen Bereichen des Bankgeschäfts.»
Investment-Banken sollten die Wirkungen der technischen Treiber sehen.
Bestimmte Prozesse und Schritte in der Wertschöpfungskette können jedoch digitalisiert werden, sagt Haas weiter. «So können beispielsweise im M&A-Bereich Technologie oder künstliche Intelligenz helfen, Due-Diligence-Prozesse zu unterstützen und bei Börsengängen findet das Bookrunning zunehmend digital statt.» Im Anleihengeschäft nutzt man die Plattform Dealpool der SIX, auf der sich Banken zu anstehenden Anleihen informieren können und die im kommenden Jahr weiter ausgebaut wird.
Investoren aussuchen
Beim Aktienresearch verschieben sich derzeit die Gewichte: Die UBS beispielsweise kombiniert in ihrem «Evidence Lab» statistische Analysen, Sprach- und Textanalysen und kommt mit den Ergebnissen der Arbeit von Computer- und KI-Experten zu komplexeren Ergebnissen als die einfachen «Kaufen»- beziehungsweise «Verkaufen»-Empfehlungen, die normalerweise das Ergebnis der Reporte sind.
Auch das sogenannte Underwriting bei IPO ist für Investmentbanken eine lukrative Sache: Rund 7 bis 8 Prozent des Emissionsbetrags gehen für die Dienstleistungen, Analysen, Roadshows mit Investoren und die Preisfindung drauf. Eine Kombination von Direktemissionen und Druck der Firmen, die einen IPO unternehmen, hat die Gebühren Richtung 2 bis 3 Prozent gedrückt.
Dass die Margen etwa bei Goldman Sachs halbwegs intakt blieben, liegt an der Rationalisierung der Prozesse. Hier kam man zum Schluss, dass sich die Hälfte der 127 Einzelschritte bei IPO von Computern erledigen liessen. Beim Börsengang der Softwarefirma Unity im September 2020 arbeitete im Hintergrund eine Software von Goldman Sachs, um die Aktien den Investoren direkt anzubieten.
Unity hatte damit eine viel bessere Kontrolle über den Preis und konnte sich die Grossinvestoren aussuchen. Das gleiche Vorgehen hatte übrigens auch Google 2004 gewählt.
Laut Grivas können Investmentbanken auf mehrere Weisen auf die Digitalisierung reagieren. «Sie sollten evaluieren, wie die definierten technologischen Treiber den Investmentbanking-Sektor verändern könnten: durch die Modellierung von möglichen Ecosystemen mit den Strukturen und den Marktteilnehmern und dann eine Digitalstrategie entwickeln in den Bereichen digitale Kultur, Organisation und Prozesse, ‹digital customer experience› sowie digitale Skills.»