Sie sind seit über dreissig Jahren als Designer in der Automobilindustrie tätig. Warum fiel Ihre Entscheidung auf diesen Beruf und warum auf diese Branche?
Als Kind fiel mir recht früh auf, dass in vielen Fernsehserien das Auto der Hauptprotagonist war, wie beispielsweise in «Magnum» oder «Miami Vice». Das brachte mir früh eine gewisse Autokultur nahe. Später kam hinzu, dass meine Eltern die freie Wohnung in unserem Bauernhaus an ein junges Paar vermieteten. Zwei junge Grafikdesigner, die eine eigene Agentur hatten. Für jemanden, der in den 80er-Jahren auf dem Land und ohne Internet aufwuchs, klang das Wort «Design» wie ein Schlüssel zur weiten Welt voller Versprechen und Hoffnung.
Klaus Busse leitet seit 2015 das Designteam bei Maserati, zudem ist er heute auch als Head of Stellantis Design Studio tätig.
Wie ging es weiter mit Ihrem Weg ins Automobildesign?
Nach einem Praktikum in einer Agentur, dem Besuch der Kunstschule und später der Ausbildung im Industriedesign erkannte ich zunehmend, dass es Studiengänge gibt, die sich speziell mit dem Automobildesign befassen. Ich wechselte die Schule und ging nach England, wo ich einen Kurs in Automobildesign absolvierte. Während eines Praktikums bei Mercedes wurde mir dann sehr klar, dass dies meine Berufung ist.
Was ist Ihnen beim Design besonders wichtig?
Das hängt tatsächlich von der Marke ab. Ich habe ja schon für verschiedene Marken wie unter anderem Mercedes, Jeep, Alfa Romeo oder Fiat gearbeitet, darunter auch in den USA. Jetzt bin ich bei Maserati. Besonders wichtig ist mir, dass unsere Arbeit – ich verstehe uns immer als Team – die Herkunft und Werte der Marke widerspiegelt. Italien hat eine starke kulturelle Identität, die ich in meinen Designs repräsentieren möchte. Unsere Autos sollen die Schönheit Italiens, das Essen, die Menschen und die Mode widerspiegeln. Sie sollen nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend sein und selbst in kritischen Märkten als schöne Skulpturen wahrgenommen werden.
Gibt es spezifische Details, die Sie besonders gern an einem Auto designen?
Während meiner Zeit in den USA habe ich das Interieurdesign besonders schätzen gelernt. Es geht darum, jeden Millimeter zu nutzen, um die Sinne des Fahrers oder der Fahrerin anzusprechen und ein intuitives Fahrerlebnis zu schaffen. Das Gefühl des Leders, der Geruch, der Klang und die Haptik sind dabei entscheidend. Diese Feinheit und Detailverliebtheit beeinflussen meine Arbeit stark, besonders bei Maserati. Wir designen ja keine Autos, damit sie morgens mit ihnen im Stau stehen, bei uns sind Emotionen formgebend.
Sie haben in einem Interview einmal gesagt, dass Sie die Schönheit in den Verkehr bringen möchten. Können Sie das erläutern?
Es gab eine Zeit, in der die Rolle des Autos in urbanen Räumen stark diskutiert wurde, besonders nach einem grossen Unfall mit einem SUV in Deutschland. Für mich ist es wichtig, dass unsere Autos nicht angeberisch wirken, sondern ästhetisch Freude bereiten, auch wenn sie sich nicht jeder leisten kann. Es ist ein grossartiges Gefühl, wenn Menschen positiv auf unsere Autos reagieren, egal in welchem Land. Wenn Sie mit einem Maserati durch die Stadt fahren, freuen sich die Menschen. Sie lächeln, und die Daumen gehen hoch.
Gab es ein Modell, das Sie in Bezug auf das Design besonders herausgefordert hat?
Das war damals der Maserati MC 20. Mein erstes Modell für Maserati und damit das Auto, an dem meine Arbeit gemessen werden würde. Ich war mir der Schwere der Aufgabe absolut bewusst, hatte zudem grosse Vorgänger wie Giorgetto Giugiaro. Wenn ein neuer Maserati vorgestellt wird, schaut die ganze Welt zu. Die Marke ist seit 110 Jahren erfolgreich, die Erwartungshaltungen waren riesig, der Druck war enorm.
Aber Sie haben standgehalten, und der neue MC20 hat überzeugt – ohne Team aber hätte das sicher nicht geklappt …
Das Team ist enorm wichtig und wird oft zu wenig hervorgehoben. Ich sehe mich als Trainer: Wenn wir verlieren, ist es meine Verantwortung, aber wenn wir gewinnen, gebührt der Ruhm dem Team. Ich arbeite eng mit meinem Team und dem Management zusammen, um die Strategie zu entwickeln und zu visualisieren, wo wir in Zukunft stehen wollen. Meine Aufgabe ist es auch, die richtigen Leute für das Team zu finden. Mitarbeitende müssen nicht nur kreativ sein, sondern auch starke Meinungen haben und ihre Ideen verteidigen können. Früher musste man stundenlang an Renderings arbeiten, um Ideen zu verkaufen. Heute können Designerinnen und Designer zahlreiche Designs am Computer erstellen, aber echte kreative Vision und Relevanz müssen vorhanden sein.
Was bedeutet das konkret?
Neue Designerinnen sollten von Anfang an voll im Team mitspielen. Bei uns bekommt jeder neue Designer einen Mentor und arbeitet direkt an realen Projekten. Teamfähigkeit und die Fähigkeit, im Team kreativ zu sein, sind unerlässlich. Es geht nicht nur um das technische Können, sondern auch um die gemeinsame Arbeit an Visionen. Ich fördere aus diesem eine Umgebung, in der gesunde Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten stattfinden können.
Wenn wir über Visionen sprechen: Wie beeinflusst der Umstieg auf Elektromobilität das Karosseriedesign?
Grundsätzlich ist Elektromobilität schon lange in der Branche. Bei Maserati haben wir sie jedoch erst spät zum Thema gemacht, da die Technologie erst jetzt den nötigen Stand erreicht hat, um unseren Ansprüchen gerecht zu werden. Unsere Autos müssen nicht nur schön sein, sondern vor allem leistungsstark. Das ist fast wichtiger als das Design, und daher spielt es eine sekundäre Rolle, ob es sich um Verbrennungs- oder Elektroantriebe handelt. Unser Gran Turismo verkörpert diese Philosophie perfekt: stilvoll, komfortabel und leistungsstark zugleich. Ein komfortabler Gran Turismo kann problemlos lange Strecken fahren und zugleich auf Rennstrecken wie dem Nürburgring bestehen.
Wie stellen Sie diese Balance sicher?
Unsere Fahrzeugdesigns entstehen eng mit den Ingenieuren, da Leistung Priorität hat. Die Proportionen basieren auf den Vorgaben der Ingenieure für optimale Performance. Ein Elektrofahrzeug muss nicht nur schnell beschleunigen, sondern auch auf Rennstrecken wie dem Nürburgring dynamisch fahren. Wir platzieren die Batterien zentral im Fahrzeug, wo bei Verbrennern das Getriebe und der Antriebsstrang sitzen. Dies sorgt für zentrales Gewicht und verbessert die Fahrzeugdynamik, im Gegensatz zu Modellen mit Batterien unter den Sitzen, die ein schlechteres Profil und eine schwächere Dynamik aufweisen.
Aber grundsätzliche Auswirkungen auf das Exterieur hat es nicht, wenn es um den Unterschied zwischen einem Verbrenner und einem Elektroauto geht?
Unsere Designs sind keine Stylingobjekte; sie sind zuerst einmal darauf abgestimmt, die Performance zu umhüllen. Egal, ob es sich um einen Elektro- oder Verbrennermotor handelt. Die Proportionen bleiben somit gleich, da das wichtigste Ziel ist, die Ingenieursleistung ideal zu verpacken. Es ist uns wichtig, dass sich die Elektro- und Verbrennermodelle kaum unterscheiden, damit unsere Kunden einfach einen Gran Turismo kaufen können, ohne sich zwischen Elektro- oder Verbrennerantrieb entscheiden zu müssen.
Welche Rolle spielt Technologie, wie etwa KI, im Designprozess bei Maserati?
Das ist schnell zusammengefasst: Technologie ist ein wertvolles Werkzeug, aber sie kann handwerkliche Kunst und Kreativität nicht ersetzen. Unsere Marke lebt von der Tradition und den Legenden, die Maserati geprägt haben. Ein Computer kann das nicht. Der Mensch bleibt im Zentrum des Designprozesses und bringt die nötige Emotion und Kreativität ein. Die Entwicklung eines neuen Autos kostet sehr viel Geld, da können Sie nicht einfach einen Knopf drücken und sagen, das ist es jetzt.
Es gibt Experten, die von einer anstehenden Konsolidierung der Modellreihen in der Autobranche sprechen. Wie erleben Sie das?
Das sehe ich bei uns nicht. Wir haben drei Hauptstandbeine: Der Gran Turismo, unser Herzstück, bietet den perfekten Mix aus Performance und Komfort. Der Grecale ist im Komfortsegment angesiedelt, aber immer noch der sportlichste seiner Kategorie, mit 80 Prozent Komfort und 20 Prozent Performance. Die Modellreihe MC 20 steht zu 80 Prozent für Performance und zu 20 Prozent für Komfort, sie beeindruckt auf der Rennstrecke und bietet ein angenehmes Fahrerlebnis auf der Landstrasse. Diese Standbeine bieten genug Variationen und sprechen eine breite Zielgruppe an.
Gab es prägende Momente in Ihrer Karriere, die Sie besonders beeinflusst haben?
Es waren vor allem die Menschen, mit denen ich gearbeitet habe. Ob es meine ersten Chefs oder Kollegen waren, ich hatte das Glück, immer von grossartigen Persönlichkeiten lernen zu können. Ein entscheidender Moment war jedoch der Übergang vom Mitarbeiter zur ersten Führungskraft. Das erste Mal Verantwortung zu übernehmen und nicht nur gefragt zu werden, wie es einem geht, sondern selbst andere zu führen, war sicher während meiner beruflichen Laufbahn eine der grössten Herausforderungen. Das hat mich stark geprägt.
Was sind Ihre Pläne und Visionen für Maserati?
Maserati hat sich immer wieder neu erfunden, was auch viel mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun hat. In den 1950er-Jahren waren die Modelle elegant, in den 1960er-Jahren wurde es etwas extravagant. Dann beeinflussten die erste Mondlandung und die damit verbundene neue Technik das Design. Anfang des 21. Jahrhunderts wurde es romantisch. Jetzt stehen wir vor einer Phase, in der Technologie, Gesellschaft und neue Werkzeuge zusammenkommen – etwas, das es bislang in diesem Dreigestirn nicht gab. Das ermöglicht ganz neue Chancen.