An Ihren Vorträgen zu positiver Führung sprechen Sie häufig über intrinsische Motivation. Können Sie kurz erklären, was das ist?

Wenn jemand etwas gerne und mit Leidenschaft macht, kommt er in einen Flow. Und dann ist er intrinsisch motiviert.

Wie bringt man Mitarbeitende in einen Flow?

Die Führungslehre gibt schon seit den 1960er-Jahren vor, was intrinsische Motivation ist und wie man sie aktivieren kann. Was die Wissenschaft beweist und was ein Management umsetzt, muss aber nicht zwingend dasselbe sein. Doch dieser Gap wird jetzt langsam geschlossen, weil Unternehmen merken, dass sie mehr intrinsische Motivation in der Organisation brauchen. Und deshalb greift man auf Lehren zurück, die schon zwanzig, dreissig Jahre alt sind. 

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Was hat sich seither verändert?

Früher hatte man ein prozessuales Verständnis von Führung, ein Top-down-Verständnis, ein hierarchisches Verständnis. Dieses ist heute immer stärker gefordert durch das disruptive Umfeld und die junge Generation, die mehr Mitverantwortung übernehmen will.

Wie lässt sich diese Entwicklung im Leadership umsetzen?

Es braucht mehr Empowerment, mehr Möglichkeiten, sich zu entfalten. Viele Unternehmen sind deshalb dabei, sich neu zu erfinden.

Wie lauten die Grundsätze der positiven Führung?

Es geht darum, Menschen zu sehen und – wie der Name sagt – positiv auf sie zuzugehen.

Was heisst das konkret?

Es gibt zwei Mindsets: Entweder man erachtet Menschen respektive Mitarbeitende als schwierig und geht davon aus, dass sie nur Probleme und Ärger verursachen. Oder man ist offen und interessiert sich aufrichtig für sie

Zu welcher Sorte gehören Sie?

Ich glaube an Menschen. Und ich glaube zutiefst, dass jeder und jede irgendwo ein Star sein kann. Sobald ich weiss, wo eine Person ihre Stärken hat, versuche ich, ihr zu helfen, Positionen im Unternehmen oder im Team zu finden, wo sie diese einsetzen kann. Das ist positive Führung.

Gibt es dafür ein konkretes Vorgehen?

Wir sprechen hier vom Prinzip des Identify-Combine-Stretch. Als Erstes geht es um «Identify». Das heisst, man muss Menschen identifizieren: Wann sind sie im Flow? Wann machen sie etwas gut? Leadership heisst, Menschen und ihre Einzigartigkeit zu sehen und damit ihre Individualität zu erkennen. Der zweite Schritt lautet «Combine». Dieses Potenzial, das man identifiziert hat, kombiniert man mit anderen Potenzialen. Das heisst, man stellt Leute auf eine neue Position. Zum Schluss kommt der «Stretch». Wenn die Person auf der richtigen Position sitzt und dort aktiv sein kann, ist sie auch bereit, sich zu strecken. Das erreicht man, indem man ihr eine grosse Verantwortung übergibt, sie damit herausfordert.

Reagieren alle Personen gleich auf diese Vorgehensweise?

Nicht zwingend. Es gibt da ein einfaches Modell (siehe Grafik): Auf der x-Achse haben wir die Fähigkeiten, auf der y-Achse die Herausforderungen. Gerät man in eine Situation mit vielen Herausforderungen und wenig Fähigkeiten, ist man in der «Panic Zone», die auch zu einem Burnout führen kann, weil man Dinge macht, die man eigentlich nicht gerne macht und ständig herausgefordert wird. Die zweite Zone mit weniger Herausforderungen und mehr Fähigkeiten ist die «Stress Zone». Wenn wir im Stress sind, steigt das Adrenalin, wir sind unter Spannung und müssen uns strecken, um den Herausforderungen gerecht zu werden. Das führt zu Wachstum. Nur dauerhafter Stress ist schädlich. Kurzfristig hilft er uns, besser zu werden. Das ist wie bei unseren Muskeln: Sie wachsen nur, wenn wir sie auch herausfordern.

Wo befindet sich die «Flow Zone»?

In der Mitte, wo Fähigkeiten und Herausforderungen im Einklang stehen. Hier ist man im Flow, ist motiviert, man wird besser, es macht Spass.

Gibt es noch weitere Zonen?

Die gibt es, und zwar einmal, wenn die Fähigkeiten grösser sind als die Herausforderungen. Wir nennen diese Zone etwas humoristisch die «Popcorn-Zone», auch als «Comfort Zone» bekannt. Zum Schluss gibts den Bereich, in dem die Fähigkeiten die Herausforderungen weit übersteigen. Das ist die «Bore-out-Zone». Die ist gefährlich und auf lange Sicht ebenfalls nicht tragbar.

Ziel ist also, jemanden in die «Flow Zone» zu bringen?

Eine gute Führungskraft erkennt, wann ihre Mitarbeitenden das letzte Mal im Flow waren. Dann geht es darum, diese Personen an die richtige Stelle zu setzen, sie mit anderen zu kombinieren und zu strecken. Das ist der Pfad zur Hochleistung.

Positive Leadership bedeutet also, Mitarbeitenden beim Wachsen zu helfen?

Genau. Denn jeder Chef hat langfristig die Mitarbeitenden, die er verdient. Dafür muss man selektiv sein und ein Team aufbauen, in dem eine gute Kultur herrscht, mit flachen Hierarchien und agilen Formen der Zusammenarbeit. So was spricht sich herum, und gute Leute ziehen wiederum gute Leute an.

Zur Person

Prof. Dr. Wolfgang Jenewein ist Titularprofessor an der Universität St. Gallen und geschäftsführender Inhaber der Jenewein AG. Er ist Kolumnist für Leadership, Change Performance und High Performance für den «Harvard Business Manager» sowie das «Manager Magazin». Zudem berät er internationale Unternehmen auf Vorstandsebene zum Thema Change- und Organisationsentwicklung und coacht Spitzensportler ebenso wie Topmanagerinnen. Jenewein ist Linkedin-Top-Voice und gehört in seiner Altersgruppe zu den besten fünfzig Crossfit-Athleten weltweit.