«Wie machen Sie das eigentlich als Frau mit Kindern?» Wer ein Schweigen als Antwort akzeptieren kann, sollte Nicole Burth diese Frage stellen. Die Leiterin des Bereichs Digital Services und Konzernleitungsmitglied der Schweizerischen Post kann dieser Frage nichts abgewinnen. Wird sie einem Mann in einer ähnlichen Position gestellt? Nein. Als Frau im Topmanagement, früher als CEO der Adecco-Gruppe Schweiz und heute in ihrer Position bei der Post, hat Nicole Burth die Frage aber schon oft gehört. Dabei stört sie nicht die Wiederholung, sondern das Grundlegende: «Um Themen wie Gender, Diversität und Inklusion in der Schweiz wirklich voranzubringen, braucht es noch viel Engagement. Beginnend mit dem einfachen Fakt, wirklich alle gleich zu behandeln – und das in jeder Situation.»
Es besteht Handlungsbedarf
Bei der Schweizerischen Post sind die angesprochenen Themen fest in der Konzernstruktur verankert. 46’000 Mitarbeitende aus über 100 Nationen sind hier beschäftigt. «Wir legen bei der Rekrutierung Wert darauf, dass Anwärter aller Geschlechter eingeladen werden», sagt Nicole Burth. «Das ist natürlich bei Positionen in der Logistik oder IT nicht immer ganz einfach. Wichtig sind da auch kulturelle Elemente.» Und beim Gehalt gilt ebenfalls das Prinzip «Gleicher Lohn für den gleichen Job». Ebenso ist Jobsharing auch auf C-Level möglich.
Auch wenn sich viel getan habe bezüglich Gleichstellung im Arbeitsleben, seien wir noch nicht da, wo wir hinsollten, findet die 52-Jährige. Und das gilt weit über die Post-Grenzen hinaus: «Frauen haben in der Schweiz mehr als 40 Prozent weniger Lebenseinkommen als Männer», weiss die Finanzexpertin. «Wenn ein Elternpaar 100/60 arbeitet, geht in der Schweiz in aller Regel das Teilzeiteinkommen für die Kinderkrippe drauf. Da stellt man sich dann zu Recht die Frage, ob sich das lohnt.» Der Staat spiele damit auch eine Rolle: Individualbesteuerung und ein flächendeckendes Schulsystem, das im Sinne der Familie gedacht ist, seien entscheidende Rahmenbedingungen. Sonst werde sich an der aktuellen Situation nur schwer etwas ändern, ist Nicole Burth überzeugt.
Delegieren muss gelernt sein
Nicole Burth ist mit ihren Geschwistern in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Selbstständigkeit recht früh gefördert wurde. «Wir haben täglich gesehen, wie unsere Mutter alleine einen grossen Gasthof geführt hat. Das hat mich auf jeden Fall geprägt», erinnert sie sich. Auch sie selbst leitet heute einen grossen Betrieb. Dabei fördert und fordert sie. Wichtige Aufgaben einer Führungskraft, wie sie findet. Ihr Credo: «Das Team muss mindestens so gut oder sogar besser werden als du selbst.» Delegieren und weitergeben sei daher wichtig und lehrreich; es als Führungskraft zu lernen, für die Mitarbeitenden, um sich weiterzuentwickeln. Und nachgefragt, ob da auch etwas Egoismus mit im Spiel sei, lacht sie. «Auf jeden Fall. Wenn ich den nächsten Schritt beruflich machen möchte, muss es ja jemanden geben, der das Potenzial hat, meine Aufgaben zu übernehmen.
Nicole Burth ist aber überzeugt, dass Führung nicht nur fachliche Komponenten hat – das Soziale sei ebenfalls ein wichtiger Faktor. «Wer in einer Leadership-Position etwas erreichen möchte, der muss Menschen mögen», sagt sie, «und zudem sich selbst als Mensch sehr bewusst sein.» Mitarbeitende wollen gesehen werden, das ist bekannt. Daneben muss eine Führungsperson jedoch auch sich selbst sehen. Besonders in schwierigen Zeiten. Denn es sind die Krisen und Herausforderungen, an denen man wächst. «Als Führungskraft gilt es dann, eine Balance zu finden», erklärt sie. «Sie müssen schnell und entschieden reagieren, aber auch das grosse Ganze im Blick behalten und zukunftsfähige Entscheidungen treffen. Immer mit dem Ziel, die Mitarbeitenden zu motivieren und gemeinsam Lösungen zu finden.» Das gehe allerdings nur, wenn man sich selbst reflektiere.
Zu verstehen, was das mit einem selbst mache, sei essenziell. Und hier transparent gegenüber dem Team zu sein, ist für sie ein weiterer wesentlicher Punkt guter Führung. «Kündigt beispielsweise ein wichtiges Teammitglied, darf ich verletzt sein – wie alle anderen Mitarbeitenden. Diesen Moment muss es geben, um damit abzuschliessen oder ihn einzuordnen. Und um dann zu sagen: Schauen wir nach vorne, machen wir weiter.»
Weiterentwicklung als Basis
Das Weitermachen beziehungsweise die Weiterentwicklung sind für Nicole Burth entscheidende Eckpfeiler für Erfolg. «Der Wille zur Weiterentwicklung ist im heutigen Berufsleben elementar. Gerade in Bezug auf neue Technologien und veränderte Arbeitswelten darf es keinen Stillstand geben.» Damit das möglich ist, braucht es im Unternehmen eine Kultur, in der Fragen gestellt werden dürfen. Es braucht Mentoren und andere Angebote. «Dass sich jemand mit Veränderungen kontinuierlich auseinandersetzt, lässt sich zwar nicht verordnen. Doch ein entsprechendes Umfeld zu schaffen und als Vorbild zu agieren: Das haben Führungskräfte selbst in der Hand», so ihre Meinung.
Selbst in der Hand haben es auch junge Eltern, ein Umfeld zu schaffen, in dem Beruf und Karriere ihren Platz haben. «Die wichtigste Entscheidung im Leben ist die Partnerwahl», sagt Nicole Burth schmunzelnd. «Aber sicher, die persönlichen Entscheidungen der Mitarbeitenden sind privater Natur.» Aus eigener Erfahrung kann sie jedoch sagen, dass es die klaren Absprachen, die sie mit ihrem Partner vor der Geburt der Kinder in Bezug auf Verantwortlichkeiten und Organisation getroffen hat, viel einfacher gemacht haben. «Dazu braucht es ein vertrauensvolles Netzwerk und immer einen Plan B», sagt sie. «Und zwar nicht erst, wenn das Kind dann da ist.»
Sie freut sich daher, dass besonders die nachwachsende Generation junger Eltern hier ein Miteinander anstrebt. Und kommt damit abschliessend auf einen Punkt, den sie gerne zeitnah ändern würde, wenn es um Gender- und damit verwandte Themen geht: «Vielleicht sollten wir das Narrativ ändern und von Fairness sprechen. Das trifft es auf den Punkt und fasst für mich Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung perfekt zusammen.»