Der Fachkräftemangel hat sich in den letzten Jahren speziell für KMU zu einer existenziellen Herausforderung entwickelt. Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) wird sich dies auch in naher Zukunft nicht ändern. Die Entwicklung des Arbeitsmarkts ist auch in den kommenden Jahren unter anderem aufgrund anstehender Pensionierungswellen durch ein markant steigendes Arbeitskräftedefizit gekennzeichnet. Das kumulierte Arbeitskräftedefizit in der Schweiz – rein aufgrund des demografischen Wandels – wurde für 2023 mit rund 300’000 Personen angegeben. Hochrechnungen gehen für das Jahr 2033 von 600’000 Personen aus.
In Zukunft wird es daher für Unternehmen nicht mehr ausreichen, den Blick nach aussen zu richten und die Rekrutierung zu optimieren. Wie alle anderen Unternehmen sind auch KMU vermehrt gefordert, nach innen zu schauen und in die Mitarbeiterbindung zu investieren. Wenn es ihnen gelingt, Mitarbeitende erfolgreich zu halten und damit ungewollte Fluktuation zu minimieren, müssen sie weniger neue Fachkräfte rekrutieren. Mitarbeiterbindung wird so zu einem entscheidenden Hebel für die Fachkräftesicherung.
Die Autoren
Peter Senn, Studienleiter an der Hochschule Luzern Wirtschaft (HSLU W), Andreas Jäger Fontana, Studienleiter, Dozent und Coach in diversen Führungsweiterbildungen der HSLU W.
Sinnstiftende Führung
Eine im Jahr 2018 durchgeführte Umfrage des Online-Coaching-Anbieters Better Up unter rund 2000 Arbeitnehmenden in den USA ergab, dass 90 Prozent der Befragten bereit wären, auf rund ein Viertel ihrer zukünftigen Einkünfte zu verzichten, wenn sie dafür mehr Sinn in ihrer Arbeit erleben können. Allgemein geht die Führungsforschung davon aus, dass sinnstiftende Führung gerade in der zukünftigen Arbeitswelt die Mitarbeitermotivation und damit die Bindung von Mitarbeitenden fördert. Und das gilt über die US-Grenzen hinaus.
So ergeben sich zwei grundsätzliche Fragen: Von welchen sinnstiftenden Erlebnissen im Job sprechen wir hier und wie können diese Erlebnisse im Arbeitsalltag gefördert werden? Zur ersten Frage empfiehlt die Motivationstheorie den Vorgesetzten, ihren Mitarbeitenden sinnstiftende Erlebnisse im Arbeitsalltag zu ermöglichen. Konkret sollen sich die Mitarbeitenden im Arbeitsalltag wirksam erleben (Wirkungserlebnis), im Team eingebunden fühlen (Beziehungserlebnis), ihre Kompetenz soll gewürdigt werden (Kompetenzerlebnis) und es braucht Freiheiten zur Mitwirkung (Autonomieerlebnis). Geht es um Frage zwei, zeigen die Erfahrungen aus der Praxis, dass Vorgesetzte sinnstiftende Erlebnisse im Job unterstützen können, indem sie und ihre Mitarbeitenden diese Erlebnisse regelmässig in gut vorbereiteten Entwicklungsdialogen besprechen.
Die richtigen Fragen stellen
Um in den Dialog zu kommen, braucht es natürlich die richtigen Fragen. Fragen, die der Führende stellt, aber auch Fragen, die sich die Mitarbeitenden stellen. Geht es beispielsweise um das Wirkungserlebnis, haben sich die folgenden bewährt: Wie wirkt sich meine Arbeit konkret auf die Zufriedenheit unserer Kunden und meines Teams aus? Welchen spürbaren Einfluss haben die Ergebnisse meiner Arbeit auf meine Akzeptanz im Team? Wie trage ich mit meiner Arbeit konkret dazu bei, die Unternehmensziele zu erreichen? Bezogen auf das Beziehungserlebnis könnten zudem diese Fragen Antworten liefern: Welche Aspekte der Beziehung zu Vorgesetzten motivieren mich und welche stören mich? Verstehe ich mich gut mit meinen Arbeitskollegen und welche Unterstützung erlebe ich durch sie?
Seine eigene Kompetenz zu hinterfragen, ist natürlich nicht ganz einfach. Aber auch das ist möglich: Bei welchen Aufgaben kann ich meine wahren Stärken zum Einsatz bringen? Verbringe ich viel Zeit mit solchen Aufgaben? Erhalte ich regelmässig Feedback von Vorgesetzten zu meinen Arbeitsleistungen? Geben wir uns Feedback im Arbeitsteam, damit wir voneinander lernen können?
Dialog als wichtige Kompetenz
Geht es um die eigene Autonomie, kommen dann noch diese Fragen hinzu: Welche konkreten Freiheiten geniesse ich, um meine Arbeit nach meinen Bedürfnissen zu gestalten? Verfüge ich über ausreichend Zeit und Mittel, um meine Aufgaben in guter Art und Weise zu erledigen? Werde ich bei Entscheiden, die für meine Arbeit wichtig sind, miteinbezogen und darf ich bei der Formulierung von Zielen für unser Team aktiv mitwirken?
Der Dialog basiert schlussendlich darauf, dass Mitarbeitende diese Fragen mithilfe erlebter Beispiele aus ihrem Arbeitsalltag illustrieren und Vorgesetzte aufgrund ihrer Beobachtungen mit ihren Mitarbeitenden. Der so vorbereitete Entwicklungsdialog bietet eine ausgezeichnete Plattform, um schon vorhandene sinnstiftende Erlebnisse der Mitarbeitenden zu verstärken und noch nicht erlebte oder weniger erlebte sinnstiftende Erlebnisse zu ermöglichen. Mitarbeiterbindung ist heute ein Miteinander. Mitarbeitende müssen klar kommunizieren, was sie sich wünschen. Führende müssen Empathie zeigen und offen sein, auch für Kritik. Besonders in einem KMU braucht es Partnerschaft, da die Belegschaft eher klein und damit auch intensiver im Austausch ist.