Vor zehn Jahren wurde das Pariser Klimaabkommen getroffen. Welche konkreten Veränderungen und Erfolge können wir seit Inkrafttreten beobachten?

Das Pariser Klimaabkommen hat einen starken Einfluss auf das Bewusstsein der Unternehmen genommen und ist definitiv beim Management angekommen. Klimaziele werden heute nicht mehr als Nischenthema angesehen, sondern stehen im Mittelpunkt der Unternehmensstrategien. Viele Unternehmen haben sich ambitionierte Klimaziele gesetzt. Im Zentrum steht die globale Science-Based Targets Initiative (SBTI), der sich auch in der Schweiz bereits über zweihundert meist grosse Firmen verpflichtet haben.

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Zur Person: 

Philipp Rufer ist Inhaber des Beratungsunternehmens Punkt Rufer AG und Präsident des KLW-Netzwerks Circular Economy Switzerland.

Inwieweit sind die Versprechungen und Pläne aus dem Pariser Abkommen in der nationalen Gesetzgebung der Schweiz angekommen?

Die Schweiz ist eines der ersten Länder, die das Pariser Klimaziel gesetzlich verankert und zusätzlich durch eine Volksabstimmung bestätigt haben. Im Sommer 2023 hat die Bevölkerung mit knapp 60 Prozent das Klima- und Innovationsgesetz (KIG) angenommen. Das Gesetz verlangt, dass alle Unternehmen bis spätestens 2050, Bund und Kantone bis 2040 netto null erreichen sollen. Darüber hinaus haben zahlreiche Kantone und Gemeinden Klimastrategien und Gesetze mit teilweise markant ambitionierterem Zeithorizont verabschiedet. Man kann also sagen, dass zehn Jahre nach der UN-Klimakonferenz die gesetzliche Grundlage in der Schweiz breit verankert ist.

Wie realistisch sind die im Pariser Abkommen formulierten Ziele, wenn man sie zehn Jahre später betrachtet?

Im letzten Jahr lag die globale Erwärmung bei 1,5 Grad, und die Schweiz erhält von unabhängigen wissenschaftlichen Organisationen für die Umsetzung der Klimaziele die Note «ungenügend». Aber mit Entschlossenheit und einem systematischen Reduktionsfahrplan ist es für Unternehmen möglich, ihre Wertschöpfung mit geringstmöglichem Ressourcenverbrauch und weniger Umweltbelastung zu erbringen. Eine regenerative Wirtschaft als nächste industrielle Revolution ist mit tiefgreifenden Umbrüchen in Wirtschaft und Gesellschaft verbunden. Dieser Wandel verläuft nicht linear und ist ein kontinuierlicher Prozess, der nicht von heute auf morgen erreichbar ist.

Was hat sich bisher konkret in der Schweiz verändert?

Aktuell erleben wir viele weltpolitische Turbulenzen und ideologische Konflikte, die vom Thema Klimaschutz ablenken und Verunsicherung schaffen. Aber die Dynamik und der Handlungsdruck für Klimaschutz steigen sukzessive von verschiedenen Seiten – Eigentümer und Investoren tätigen ihre Investitionen anhand von Risikobetrachtungen der Geschäftstätigkeit im Kontext des Klimawandels, staatliche Akteure setzten Regulationen und Berichterstattungspflichten zu Klimazielen und Reduktionsmassnahmen um. Und nicht zuletzt von Unternehmen selbst, durch die Weitergabe von Reduktionszielen innerhalb der Wertschöpfungsketten.

Wo gibt es noch Nachholbedarf?

Die Kreislaufwirtschaft bietet ein grosses, kosteneffektives Potenzial und ist ergänzend zur Energiewende zwingend notwendig für die Erreichung der Klimaziele. Während die Energiewende Fortschritte macht, gibt es grossen Handlungsbedarf für eine Ressourcenwende. Wir müssen den Verbrauch an Primärrohstoffen und die CO2-Emissionen aus der Güterproduktion und Landwirtschaft deutlich reduzieren. Global betrachtet stammen 45 Prozent der Umweltbelastung von dieser Seite, und es handelt sich um ein riesiges ökologisches, aber auch wirtschaftliches Potenzial, das durch Unternehmen erschlossen werden muss.

Welche Ansatzpunkte gibt es?

Aktuell stehen dem Wandel hin zu einer Kreislaufgesellschaft globale, lineare Wirtschaftsmechanismen, Rahmenbedingungen und Unternehmensstrukturen gegenüber, welche energie- und materialintensive Industrien bevorteilen und teilweise schützen. Hier braucht es Rahmenbedingungen, die ein zirkuläres Wirtschaftssystem mit verschiedenen R-Strategien (repair, reuse, refurbish) unterstützen beziehungsweise nicht benachteiligen. Durch Kostenwahrheit bei Rohstoffen und Abfällen sowie bessere Verbraucherinformationen über Produkteigenschaften, Reparierbarkeit etc. würde verhindert, dass Unternehmen auf Kosten der Umwelt Gewinne erzielen. Darüber hinaus reduziert ein zirkuläres Wirtschaftssystem die Abhängigkeit von immensen Rohstoff- und Produktimporten und schafft zusätzliche Arbeitsplätze in der Schweiz.

Gibt es hier aktuelle politische Bestrebungen?

Im Moment läuft die Umsetzung der Umweltschutzgesetz-Revision auf Verordnungsstufe, welche wichtige Präzisierungen für die konkrete Umsetzung von Stoffkreisläufen definiert. Die «Parlamentarische Initiative 20.451» des Nationalrats Gerhard Pfister schlägt einen einfachen und wirksamen Ansatz mit einer einheitlichen Abgabe auf allen Treibhausgasemissionen in Schweizer Staatsgebiet und für importierte Produkte vor. Die Tragbarkeit für Bevölkerung und Wirtschaft würde über einen Rückerstattungsmechanismus sichergestellt.

Welche Rolle spielen die Konsumentinnen und Konsumenten in diesem Prozess, besonders im Kontext der Kreislaufwirtschaft?

Individuelle Beiträge sind wichtig, jeder Kassenbon fördert oder hemmt eine nachhaltige Wirtschaft. Aber wir können die Verantwortung nicht nur auf den Einzelnen abwälzen, es braucht nachhaltige Angebote zu fairen Preisen. Billige Produkte halten oft nicht lange und sind über eine längere Nutzungsdauer gerechnet teurer als der einmalige Kauf eines hochwertigen Produkts, das bei Bedarf repariert werden kann. Die Berücksichtigung der sogenannten Gesamtbetriebskosten ist meist nur bei Unternehmen verbreitet.

Engagieren sich alle teilnehmenden Länder des Abkommens ausreichend? Vor allem die grossen Nationen?

Unabhängig von der Grösse hat jedes Land Verantwortung. Das Pariser Abkommen hat im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll die Verantwortung zur Reduzierung von Emissionen auf jedes Land verteilt. Allerdings gibt es zahlreiche Rahmenbedingungen und Strukturen, die global angepasst werden müssten, um eine signifikante Veränderung herbeizuführen. Nachhaltige Energie- und Ressourcenwenden erfordern politische und gesellschaftliche Unterstützung.

Was passiert jetzt nach dem Austritt der USA aus dem Abkommen?

Der Austritt hat die internationalen Bemühungen sicherlich geschwächt und die Dynamik gebremst. Aber das Risiko für die USA besteht darin, dass konservative Unternehmen notwendige Investitionen aufschieben und dadurch mittel- bis langfristig nicht mehr konkurrenzfähig bleiben. Langfristig ist es wichtig, dass Unternehmen dem Wandel nicht hinterherlaufen, sondern ihn aktiv mitgestalten, um zukunftsfähig zu bleiben.

Welche Rolle spielen Schweizer Unternehmen in diesem Prozess?

Schweizer Unternehmen haben eine zentrale Rolle, besonders die zahlreichen internationalen Konzerne. Massnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen bestehen im ersten Schritt oft aus einer Elektrifizierung und Steigerung der Energieeffizienz. Die weiterführende Dekarbonisierung führt über die Grundprinzipien der Kreislaufwirtschaft, bereits Produziertes und bestehenden Ressourcen zu bewahren. Die Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre Geschäftsmodelle anzupassen, um sowohl nachhaltig als auch konkurrenzfähig zu sein. Jedes Unternehmen, ob gross oder klein, trägt hier Verantwortung. Aber die grossen Unternehmen setzten einen Domino-Effekt in Gang, indem sie Emissionsreduktionen von ihren Lieferanten einfordern. OEMs und Detailhändler haben Programme am Laufen, um ihre Emissionen in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette – dem sogenannten Scope 3 – zu reduzieren.

Was sind die grössten Herausforderungen für Unternehmen, die klimafreundlicher wirtschaften wollen?

Wichtig ist es, konkurrenzfähig zu bleiben. Die Dekarbonisierung folgt dem ökonomischen Mechanismus der Vermeidungskosten. Unternehmen und Organisationen priorisieren Klimaschutzmassnahmen in der Reihenfolge der Kosteneffizienz. Ausschlaggebend ist der Preis für die Reduktion einer Tonne CO2. Erfreulicherweise sind die ersten Massnahmen über die Gesamtbetriebsdauer betrachtet meist kostensparend. Weiterführende Massnahmen mit Innovationscharakter sind oft komplexer und teurer. Diese erfordern mehr als eine Optimierung des bestehenden Systems, und basieren auf einer grundlegenden Weiterentwicklung des Geschäftsmodells.

Das bedeutet konkret?

Nachhaltige Produkte sind für eine maximale Nutzungsdauer mit einfacher Instandhaltung und Reparierbarkeit designt. Weiter verfügen sie über zirkuläre Eigenschaften in Bezug auf das Ende des Produktlebenszyklus (Zerlegbarkeit, Modularität, Sortenreinheit, Schadstofffreiheit). Damit entsprechende Produkte konkurrenz- und wirtschaftlich tragfähig sind, braucht es in vielen Fällen die Umstellung auf ein zirkuläres Geschäftsmodell mit Erträgen durch Leistungserbringung, auch «Product as a Service» oder zu Deutsch «Mietmodell» genannt.