Viele stationäre Händler leiden unter einem seit Jahren schleichenden Frequenzrückgang. Ein Grund dafür ist der immer noch zunehmende Onlinehandel. Konsumenten und Konsumentinnen gehen seltener in stationäre Geschäfte. Die Antwort des Handels lautet Omnichannel-Management (OCM). Mit diesem Ansatz wird eine bessere Verknüpfung stationärer mit digitalen Distributionskanälen angestrebt. Der Rückgang stationärer Umsätze soll mit dem Onlinehandel zumindest kompensiert werden. Doch häufig fallen die damit erzielten Renditen dürftig aus. Viele Unternehmen müssen deshalb ihren OCM-Ansatz stark verbessern. In vier Schritten kann das gelingen.
Thomas Rudolf, Betriebswirt, und Christopher Schramel, Doktorant, Univeristät St. Gallen (HSG)
Seit vielen Jahren versuchen Handelsunternehmen ihren OCM-Ansatz zu verbessern. Sehr lange blieb die Rendite digitaler Distributionskanäle tiefrot. Noch immer gibt es isolierte Erfolgsberechnungen für unterschiedliche Distributionskanäle. Die Ablösung eines wettbewerbsorientierten Kanaldenkens innerhalb der eigenen Organisation fällt schwer. Sie kann nur gelingen, wenn das Topmanagement im ersten Schritt die Zusammenführung der Kanäle nicht nur unterstützt, sondern federführend vorantreibt und entsprechende Ressourcen zur Verfügung stellt. Dazu braucht es eine Omnichannelfähige Organisation, regelmässige Sitzungen, in denen das Topmanagement die Bedeutung, die Notwendigkeit und das Vorgehen für ein erfolgreiches OCM erklärt und diskutiert.
Die Relevanz von Social Media ist gross
Im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob der OCM-Ansatz von drei Prinzipien geprägt wird, mit denen das OCM ein stabiles Fundament erhält: Customer Centricity als das erste Prinzip soll helfen, Veränderungen im Kaufverhalten frühzeitig zu erkennen. In der Schweiz erwarten Konsumentinnen und Konsumenten verstärkt einen erlebnisorientierten Omnichannel-Einkauf, bei dem soziale Medien immer wichtiger werden. Der OCM-Ansatz muss diese Veränderungen berücksichtigen. Zudem muss OCM helfen, das bestehende Leistungsversprechen zu stärken (zweites Prinzip). Nur wenn der Wettbewerbsvorteil durch das Verknüpfen von Distributionskanälen grösser wird, rechnen sich zusätzliche Investitionen in soziale Medien und Webshops. So schafft es der spanische Modekonzern Inditex beispielsweise, kanalübergreifend topmodische Kleidung zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Die potenzielle Kundschaft wird auf Youtube neugierig gemacht, sie stöbert anschliessend nach neuen Styles auf dem Webshop und erhält am Ende topaktuelle Mode in den stationären Läden.
Mithilfe von OCM muss es zusätzlich gelingen, Kundinnen und Kunden für Begehrenswertes – und damit für zusätzliche Produkte – zu begeistern oder, mit anderen Worten, zu inspirieren (Prinzip drei). Inspiratives OCM kann es möglich machen, mit höheren Durchschnittsbons die abnehmende Besuchshäufigkeit in stationären Läden zu kompensieren. Um langfristigen Erfolg im OCM zu erzielen, muss es im dritten Schritt gelingen, herausragende Kundenerlebnisse durch eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Mit anderen Worten: «Kollaborative Intelligenz» wird auch im OCM wichtiger. Eine Möglichkeit, um bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu fördern, ist «Dogfooding». Dabei testen Mitarbeitende aus verschiedenen Funktionsbereichen die Produkte des Unternehmens, um ein einheitliches Marktverständnis aufzubauen. Wenn alle verstehen, wo der Schuh im Markt drückt, kommt es im Unternehemen schneller zu agilen OCM-Veränderungen.
Click & Collect als Erfolgsfaktor
Im vierten Schritt soll sich die Rentabilität verbessern. Hauptgrund für die fehlende Omnichannel-Rentabilität waren und sind die hohen Lieferkosten von online bestellten Produkten. In der Schweiz betragen diese Kosten beispielsweise pro Lebensmittellieferung bis zu 35 Franken, was sich desaströs auf die Rendite auswirkt, wenn ein Kunde drei Harasse Wasser für insgesamt 4.80 Franken bestellt. Wir empfehlen Händlern, das Click-and-Collect-Konzept zu prüfen. Kunden und Kundinnen holen die bestellte Ware dann direkt im Laden ab, wodurch die hohen Logistikkosten erheblich sinken können. Coupons, Punkte, Angebote, Events et cetera fördern das Abholen im Laden.
Wenn mehr Leute ihre online bestellten Waren im stationären Geschäft abholen, können sie hier durch Kundeninspiration Zusätzliches einkaufen. Die Rentabilität steigt somit doppelt, weil nicht nur die Lieferkosten sinken, sondern auch der Durchschnittsbon pro Kunde und Kundin zunimmt. Der OCM-Ansatz muss daher stärker zu Cross-Selling, Mehrwert und Innovationen beim Besuch stationärer Geschäfte inspirieren. Rewe in Deutschland zum Beispiel hat Hunderte von Pick-up-Stationen vor den Supermärkten installiert. Die Rechnung scheint aufzugehen: Viele Kundinnen und Kunden holen ihre Onlinebestellung in der Click-and-Collect-Box vor dem Laden ab und geniessen das Frischeerlebnis im Supermarkt, wo sie zusätzliche Einkäufe tätigen. Kundeninspiration als Marketingziel im OCM kann als zweiter Hebel die Handelsrentabilität erheblich verbessern.
Vor diesem Hintergrund empfehlen wir den Händlern, ihr OCM systematisch neu zu denken. Dabei sollten Sie prüfen, ob erstens Topmanagementunterstützung vorliegt, zweitens die richtige Grundeinstellung besteht, drittens die Organisation als Ganzes sich dem OCM verschrieben hat und viertens sämtliche Rentabilitätsreserven ausgeschöpft wurden.