Kürzere Autofahrten mit Uber, längere Distanzen von jedem SBB-Bahnhof aus mit Mobility und für die Zugfahrten dazwischen Fairtiq – überall spielt künstliche Intelligenz (KI) im Hintergrund bereits heute eine wichtige Rolle. Sie steuert die Uber-Fahrer, die Bereitstellung und Nutzung von Fahrzeugen und sie ermittelt die besten und günstigsten Fahrvarianten im öffentlichen Verkehr.
Gemäss den Definitionen des KI-Forschers Ajay Agrawal geht die Entwicklung heute in Richtung von integrierten KI-Lösungen, bei denen verschiedene Einzellösungen verknüpft werden. Punktuell nutzbare Einzellösungen hat man dabei bereits überflügelt – und die nächsthöhere Stufe, ganze Systemlösungen, gelangen damit in Reichweite.
Einzelinteressen als Hindernis
Eine solche wäre erreicht, wenn beispielsweise zukünftig vollständig autonome Fahrzeuge die bisher getrennten Funktionsweisen von Uber-Diensten, Langstreckenfahrten und fahrerlosem autonomem Betrieb übernehmen – und gleichzeitig die Kapazitäten sehr effizient und kostengünstig bereitstellen und abrechnen. Aber wie realistisch ist das für die nahe Zukunft?
Bemerkenswerterweise gibt es weiterhin zahlreiche Lücken im Gesamtsystem Mobilität – und in diese drängen sich zunehmend Startups, vielfach auch mit KI im Hintergrund. Laut den Marktforschern von CB Insights liegt die grösste Herausforderung gegenwärtig beim Thema Laden der Akkus bei elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Der technische Ladevorgang ist hierbei kein Problem. Die Herausforderung liegt auf anderen Ebenen: generelle Verfügbarkeit von Ladestationen, die passenden Anschlussmöglichkeiten, Abrechnungen sowie im Alltag unverzichtbare Hinweise auf beste Preise und kürzeste Wartezeiten.
Laut den Analysten von Citigroup wird die Entwicklung bei diesem Thema durch zahlreiche Partikularinteressen erschwert: Das britische Startup Eatron Technologies beispielsweise hat ein Akku-Diagnosesystem entwickelt, mit dem sich Probleme monatelang zuvor erkennen lassen.
Das grösste Problem hier sind laut einem Sprecher des Unternehmens die Autohersteller, die das gerne selber machen – aber die Software dazu (noch) nicht vollständig entwickelt haben. Und es geht auch um die zukünftigen Machtverhältnisse und Einnahmen, wenn die einzelnen Lösungen und Applikationen zu ganzen Systemen verbunden werden.
Erste Hinweise hierzu gibt es aus einem anderen Mobilitätsbereich – der Airline-Industrie. Hier gibt es seit Jahren einen Machtkampf zwischen den grossen globalen Reservierungssystemen, den Global Distribution Systems (GDS), beispielsweise Amadeus, Sabre, Galileo, Worldspan, Apollo und Pegasus, und den Fluggesellschaften, die diese Systeme lieber umgehen, um die Gebühren zu vermeiden. Dritte Mitspieler sind die Online-Reisebüros.
Als ziemlich robust erwiesen hatten sich – auch während der Corona-Krise – die Geschäftsmodelle der GDS. Fluggesellschaften haben traditionell eine sehr volatile Geschäftsentwicklung, weil viele Faktoren, die ihren Geschäftsgang beeinflussen, ausserhalb ihrer Kontrolle stehen.
Die nächste digitale Disruption könnte von Tiktok kommen.
Privatreisen werden anders organisiert
Laut Airline-Analysten haben Machtkämpfe wie der zwischen der Lufthansa-Gruppe (inklusive Swiss) und den GDS den Fluggesellschaften zwar punktuell einige Mehreinnahmen in einigen Märkten gebracht. Das zeigt sich auch bei den Zahlen. Insgesamt ist der globale Marktanteil der GDS-Firmen seit dem Jahr 2000 von 50 auf 30 Prozent gefallen.
Die grossen GDS-Unternehmen, die bis auf eines inzwischen börsenkotiert sind, haben sich zunehmend auf bestimmte Bereiche, beispielsweise Firmenreisen, und Mehrwert-Dienste als Wettbewerbsfaktoren verlegt. Hinzu kommt eine globale Abdeckung, bei der ein Boom in einer Ecke der Welt eine Schwäche in einer anderen Region kompensiert.
In den vergangenen Jahren hat sich deshalb laut Analysten ein hybrider Ansatz durchgesetzt: Neben dem Direktverkauf vorwiegend an Privatkunden gibt es weiterhin den Vertrieb über die GDS-Systeme für den wiedererstarkten Business-Travel-Bereich.
Super-Apps beziehungsweise ihre Betreiber-Firmen gelten deshalb als die nächste systemische Ebene, bei der Mobilität mit einer userfreundlichen App über KI konsolidiert, gesteuert und dargestellt wird. Auch hier gibt es die ersten Vorbilder wie Grab oder Gojek aus Südostasien. Vertreter von Venture-Capital-Firmen wie Andreessen Horowitz erwarten indes, dass die nächste digitale Disruption hier aus einer ganz anderen Richtung kommt. Beispielsweise von Tiktok: Der Kurzfilm macht sofort Lust auf die Destination – und die Mobilitätselemente werden vollautomatisch im Hintergrund organisiert und gebucht.