Wie kommt ausgerechnet ein Trottinetthersteller auf die Idee, ein Elektroauto zu bauen?

Wir haben uns ganz nüchtern überlegt, wie die automobile Mobilität in Zukunft aussehen könnte. Schaut man auf die Zahlen, gibt es ein grosses Missverhältnis: Im Durchschnitt sitzen nur 1,2 Personen in einem Fahrzeug, und die täglich zurückgelegt Distanz beträgt 30 bis 35 Kilometer. Dafür sind die heutigen Fahrzeuge völlig überdimensioniert. Für das Erreichen unserer Klimaziele und eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit fehlte das passende Fahrzeug: unser Microlino.

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Und die grossen Automobilhersteller haben das nicht erkannt?

Inzwischen hat sich sehr viel geändert. Aber zu der Zeit, als wir das Projekt begonnen haben, 2015 – wenn man da eine Automobilshow besucht hat, das war ja die reinste Parallelwelt. Es ging nur um noch mehr PS, alles musste noch grösser, noch teurer sein. Als wir 2016 beim Autosalon in Genf den ersten Microlino vorgestellt haben, mussten wir den Leuten erst mal erklären, warum wir so etwas machen wollen. Inzwischen erklären uns die Besucher, warum diese Fahrzeugklasse genau in die Zeit passt. So ändern sich die Zeiten.

Automobiles Know-how gab es bei Ihnen ja eigentlich nicht.

Nein, wir waren richtige Grünschnäbel und sicherlich auch etwas naiv. Aber das war ein auch Vorteil: Hätten wir gewusst, was alles auf uns zukommt, hätten wir es vielleicht gelassen.

Wie nachhaltig ist der Microlino?

Im Vergleich zu einem durchschnittlichen Auto verbraucht er 60 Prozent weniger CO₂ im Betrieb und bei der Produktion des Fahrzeugs. Hauptursache ist die kleinere Batterie und das geringe Gewicht. Unser CO₂-Footprint auf eine Entfernung von einhundert Kilometer ist vergleichbar mit einer Zugfahrt mit den SBB.

Vor rund sechs Monaten startete die Produktion des Microlino. Wie läufts?

Die ersten 250 Fahrzeuge sind bereits an Kundinnen und Kunden übergeben worden, hauptsächlich in der Schweiz. Diese Woche wurden in Belgien die ersten Fahrzeuge ausgeliefert, und wir starten in Kürze auch in Deutschland. Schritt für Schritt werden weitere Märkte in Europa ausgerollt: Italien, Frankreich, die Niederlande, Spanien, Dänemark, Griechenland. Der Fokus liegt aktuell auf Europa.

Wie sehen die typischen Käuferinnen und Käufer aus?

Die überwiegende Mehrheit der Käufer und Käuferinnen ersetzen mit dem Microlino ihren Zweit- oder Drittwagen für den Stadtverkehr. Viele verkaufen ihr Fahrzeug mit einem Verbrennermotor, um es mit einem umweltfreundlichen Fahrzeug zu ersetzen.

Merlin Ouboter

Merlin Ouboter

Quelle: Microlino

Der Macher

Name: Merlin Ouboter
Funktion: Co-Gründer und Chief Marketing Officer von Microlino
Alter: 27
Familie: ledig
Ausbildung: Studiumsabbrecher

Die grösste Herausforderung aktuell?

Ganz klar die Ausweitung der Produktion. Nachfrage gibt es genug, wir müssen aber die Stückzahlen weiter hochfahren.

In Zahlen?

Wir produzieren im Moment 10 Fahrzeuge pro Tag und planen eine Erhöhung auf 20 bis 25 Fahrzeuge im dritten Quartal dieses Jahres. Insgesamt wollen wir dieses Jahr etwa 4500 Einheiten produzieren. 2024 sollen dann bereits 10'000 bis 12'000 Stück produziert werden. Und in vier bis fünf Jahren wird der Markt so gross sein, dass 40'000 bis 50'000 Fahrzeuge pro Jahr möglich sein sollten.

Wo wird der Microlino produziert?

In Turin, dort haben wir das Fahrzeug mit unserem Entwicklungspartner Cecomp entwickelt, und dort steht auch unsere Produktionsgesellschaft, an der Cecomp als Minderheitsaktionär beteiligt ist.

Asien wäre die günstige Alternative.

Natürlich wäre es günstiger, in Asien zu produzieren. Aber gerade für die Entwicklung war es uns wichtig, das Projekt eng zu begleiten. Zudem ist Turin einer der wichtigsten Entwicklungs- und Produktionsstandorte für die Automobilindustrie, mit viel Know-how gerade für Hersteller von kleineren Serien.

Wie gross ist das Unternehmen jetzt?

Wir sind sehr schlank aufgestellt. In der Schweiz sind wir fünfzig Mitarbeitende inklusive des Rollerbusiness. Wir nutzen die gesamte bestehende Infrastruktur wie beispielsweise die Buchhaltung oder die Verwaltung. In Italien, in der Entwicklung und Produktion, sind wir rund sechzig Mitarbeitende und werden bis Ende des Jahres auf rund hundert Mitarbeitende aufstocken.

In der Schweiz kooperiert Microlino mit Noviv Mobility, einer Amag-Tochter. Wie sieht die Kooperation aus?

Traditionell gibt es in der Schweiz im Autovertrieb ein dreistufiges Modell: Der Hersteller liefert an den Importeur, und der bedient wiederum die verschiedenen Händler, eigene oder fremde. Relativ neu ist seit ein paar Jahren das Agenturmodell. Dabei verkauft der Hersteller direkt an die Kundinnen und Kunden und wird unterstützt von einem sogenannten Agenten, der verschiedene Dienstleistungen zur Verfügung stellt. Beispielsweise die Auslieferung der Fahrzeuge, Probefahrten, den Reparaturservice und die Betreibung eines Showrooms. Genauso funktioniert es auch mit der Amag.

Tesla spart sich den Agenten und macht auch die Auslieferung selbst. Ist das keine Option?

Wir haben nur ein Produkt, und es macht für uns keinen Sinn, dafür die ganze Vertriebsinfrastruktur aufzubauen. Wir sourcen diesen Bereich lieber aus.

Wem gehört Microlino?

Das Unternehmen gehört zu 100 Prozent unserer Familie. Das, was wir mit dem Roller-Business verdient haben, wurde  in den Microlino gesteckt.

Microlino

Microlino: Made in Italy.

Quelle: ZVG

Sie suchen keine Investoren?

Es nicht ausgeschlossen, dass wir künftig Investoren an Bord holen, um noch schneller wachsen zu können, aber im Moment sind wir absolut zufrieden.

Wie hoch ist das Gesamtinvestment?

Wir haben sehr effizient gearbeitet. Ein ähnliches Fahrzeug im gleichen Segment von Renault, der Twizy, hat angeblich über 100 Millionen Franken gekostet. Da liegen wir weit darunter. Schon ein zweistelliger Millionenbetrag, aber eben ein niedriger.

Wohin fliesst das Geld hauptsächlich?

In die Industrialisierung der Produktion. Einen Prototypen zu entwickeln, ist nicht das Schwierigste. Aber das Projekt dann in eine effiziente Produktion umzusetzen, bedeutet ein signifikantes Investment und viel Arbeit. Das ist ein sehr komplexes Projekt. Gerade in der heutigen Zeit mit Supply-Chain-Herausforderungen aller Art.

Ab wann wollen Sie Geld verdienen?

Es ist in Sicht, hängt aber natürlich davon ab, wie wir unsere Ziele bei den Kosten und dem Vertrieb erreichen. Geplant ist die Gewinnschwelle in zwei Jahren.

Sie haben die Firma mit Ihrem Vater und Bruder gegründet. Wie sieht die Rollenverteilung aus?

Mein Bruder und ich leiten das Projekt operativ, und unser Vater ist überwiegend strategisch involviert. Mein Bruder ist stark auf die Supply Chain und die Produktion konzentriert, ich kümmere mich um den Vertriebsaufbau in den verschiedenen Ländern und um das Marketing.

«Roger Federer in einem Microlino wäre die perfekte Werbung.»

Merlin Ouboter

Werbung ist mir nicht aufgefallen.

Wir investieren aktuell nicht in klassisches Marketing. Bei unseren derzeitigen Produktionsmöglichkeiten wäre es auch nicht besonders klug, die Nachfrage noch weiter anzukurbeln. Aber wir investieren in Content Marketing, produzieren Produktvideos und pflegen unsere Social-Media-Kanäle. Alles andere kommt später.

Es ist kein TV-Spot mit Roger Federer geplant?

Roger Federer in einem Microlino wäre die perfekte Werbung, daran haben wir auch schon gedacht. Aber er ist noch bei Mercedes unter Vertrag, soviel ich weiss. Gerne heissen wir ihn aber auch als Investor willkommen, so wie bei On: Lieber Roger, wenn du das liest, wir sind für alles offen!

In Deutschland startet demnächst das Konkurrenzprodukt unter dem Namen Evetta.

Ja, das ist im Prinzip eine Kopie unserer Idee, vom Nachfolgeunternehmen unseres ehemaligen Partners Artega.

Sie haben gegen Artega geklagt und zweimal gewonnen. Warum haben Sie sich dann aussergerichtlich geeinigt?

Wir wollten nicht noch drei oder vier Jahre lang mit weiteren Rechtsstreitigkeiten verbringen. Uns war wichtig, dass wir unser Projekt schnell umsetzen konnten. Das haben wir geschafft, wir konnten unser Fahrzeug früher im Markt einführen.

Wie sah die Einigung aus?

Wir haben zugestimmt, dass sie ein ähnliches Produkt in den Markt einführen dürfen, aber sie müssen sich vom Design her deutlich unterscheiden. Zudem gab es für uns eine Ausgleichszahlung.

Der Microlino ist ja offiziell kein Auto, sondern ein Leichtfahrzeug. Die Käufer und Käuferinnen in der EU profitieren daher nicht von E-Auto-Subventionen. Wie ist es in der Schweiz?

Wo wir ausgeschlossen sind: Es gibt für Hersteller ja die CO₂-Flottenemissionengrenzen. Reine Elektrohersteller wie Tesla, deren Fahrzeuge keine Emissionen verursachen, dürfen daher Zertifikate an andere Hersteller verkaufen – und verdienen damit sehr viel Geld. Das dürfen wir nicht, was aus unserer Sicht unfair ist. Hier bemühen wir uns in Bern um eine Anpassung für Hersteller für Leichtfahrzeuge, wie wir es sind. Diese umweltfreundlichen Fahrzeuge gegenüber E-Autos zu benachteiligen, kann ja nicht im Sinne der Politik sein.