Die Sorgen, dass die Schweiz in eine Energiemangellage rutschen könnte, scheinen verflogen. Zu Recht?
Die Europäische Situation hat sich extrem verbessert. Innerhalb kurzer Zeit konnten die russischen Gasimporte nahezu komplett ersetzt werden. Und dass, obwohl gleichzeitig in Frankreich zahlreiche Kernkraftwerke heruntergefahren wurden. Natürlich hat auch der milde Winter geholfen, aber durch Einsparungen, Umstrukturierungen und neue Importe hat man die Situation gemeistert.
Also hat sich die Lage langfristig entspannt?
Leider nicht, da wir immer noch kein Stromabkommen mit der EU haben. Uns droht eine Mangellage beim Winterstrom, wenn die EU ihr Energiepaket umsetzt und dann 70 Prozent der europäischen Leitungskapazität für Stromhandel innerhalb der EU reserviert sein werden. Dadurch könnte die Schweiz temporär vom Netz abgekoppelt werden, was zu ernsthaften Problemen führen könnte. Dieses Risiko hat also nichts mit dem Ukrainekrieg zu tun.
Umso wichtiger wäre der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien, etwa der Solarkraft. Wo stehen wir in der Schweiz hier zurzeit?
Die Schweiz lag lange Zeit weit hinter anderen Ländern zurück. In den letzten Jahren haben wir stark aufgeholt: Rund 7 Prozent unserer Stromproduktion stammen inzwischen aus der Photovoltaik. Zum Vergleich: In Deutschland sind es gut 10 Prozent. Die Solarstromerzeugung in der Schweiz muss aber noch kräftig wachsen, denn sie spielt eine wichtige Rolle in der Energie- und Klimastrategie des Bundes bis 2050.
Ihre neue Studie zum Solarausbau hat einige Bremsklötze identifiziert.
In unserer Studie haben wir für 2067 Schweizer Städte und Gemeinden untersucht, ob sich ausgehend vom Preisniveau der Stromtarife und Einspeisevergütungen für Solarstrom von 2022 die Investition in eine Photovoltaikanlage für die Eigentümer eines Einfamilienhauses lohnt.
Und?
Leider lohnt sich solch eine Investition nur in der Hälfte der Städte und Gemeinden. Viele Stromnetzbetreiber in der Schweiz bezahlen zu wenig und bremsen damit den Solarausbau.
Der Energie-Experte
Name: Tobias Schmidt
Funktion: Professor für Energie- und Technologiepolitik an der ETH Zürich
Ausbildung/Karriere: Nach dem Studium der Elektrotechnik mit Fachrichtung Energietechnik, hat Schmidt an der ETH Zürich am Departement Management, Technologie und Ökonomie doktoriert. Seit 2015 leitet er die Arbeitsgruppe Energie- und Technologiepolitik an der ETH Zürich. Sie vereint Ingenieure, Ökonominnen und Politikwissenschaftler, um zu Politikfragen der Energiewende zu forschen.
Beispiele?
Obwohl es etwa in Zürich hohe Subventionen und Steuerabzüge gibt, zahlte es sich 2022 für die Besitzerin eines Einfamilienhauses ohne Wärmepumpe nicht aus, in eine Solaranlage zu investieren. Weder hohe Subventionen noch niedrige Steuern konnten hier die schwache Vergütung des Solarstroms in der Höhe von 7,9 Rp/kWh und den relativ hohen Strompreis von 26,4 Rp/kWh ausgleichen. In Luzern hingegen fielen die Subventionen im Vergleich zu Zürich geringer aus, und die Investitionen sind dort steuerlich nicht absetzbar. Doch der Vergütungstarif von 14,4 Rp/kWh und der Strompreis von 22,7 Rp/kWh sorgten 2022 in Luzern dafür, dass die Investition in eine Anlage profitabel ausfiel.
Gibt es ein strukturelles Problem?
Wir waren uns vor der Studie im Klaren darüber, dass die Regulierung in der Schweiz sehr fragmentiert ist. Es gibt beispielsweise 630 verschiedene Stromversorger, und diese hohe Anzahl trägt sicherlich dazu bei, dass wir bei den Tarifen solch einen Flickenteppich haben. Das sind ungefähr genauso viele Versorger wie in Deutschland, nur dass Deutschland rund zehnmal so viele Einwohner hat.
Wo hakt es sonst noch?
Was uns schon überrascht hat, ist das Ausmass der verschiedenen Regulierungen. Es gibt insgesamt vier Ebenen, die relevant sind: Bund, Kantone, Gemeinden und Energieversorger. Nicht beim Bund, aber auf jeder der drei unteren Ebenen gibt es grosse Unterschiede.
Welche Bereiche sind das, neben den unterschiedlichen Stromtarifen?
Beispielsweise sind die Baugenehmigungen für Solaranlagen häufig ein Problem. Manche Gemeinden machen es mit nur einer auszufüllenden Seite den Hausbesitzern und -besitzerinnen leicht, bei anderen sind eine Reihe von Ämtern zu konsultieren. Es gibt Subventionen, mal auf Gemeinde-, ein anderes Mal auf Kantonsebene. Hinzu kommen steuerliche Unterschiede: nicht nur bezüglich der Abschreibung der Investition, sondern auch hinsichtlich dessen, wie die Einnahmen für die Einspeisung des Solarstroms ins Netz besteuert werden. In einigen Kantonen gilt das Nettoprinzip – sie versteuern nur die Vergütung der Einspeisung. In anderen muss nach dem Bruttoprinzip auch die Ersparnis für den eigenen Stromverbrauch durch die Solaranlage versteuert werden. Die ganze Situation ist im Grunde ein Flickenteppich.
Neben Einfamilienhäusern bieten Mehrfamilienhäuser viel Potenzial. Welche Vorteile haben Vermieterinnen und Vermieter bei einer Investition in eine Solaranlage? Die Stromkosten zahlen ja sowieso die Mietenden über ihre Nebenkosten.
Für Immobilieneigentümerinnen und - eigentümer ist zur Wärme- und Stromversorgung ihrer Häuser eine Kombination von Wärmepumpe und Solarstrom ideal. Dann ist auch die Einspeisevergütung nicht mehr sonderlich relevant, den für die Mehrfamilienhäuser mit Wärmepumpe werden ungefähr 60 bis 70 Prozent des Solarstroms selbst verbraucht. Zudem: Es ist ja gesetzlich geregelt, dass Vermietende bei energetischen Investitionen auch die Miete erhöhen können. Und es ist auch möglich, den Solarstrom an die Mieterinnen und Mieter zu verkaufen, zu einem niedrigeren Preis als der aktuelle Tarif des Energieanbieters. Dazu muss lediglich ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) gegründet werden.
Wie funktioniert ein ZEV?
Wenn sich Vermietende und Mietende zu einem ZEV zusammengeschlossen haben, verkauft die oder der Vermietende den produzierten Solarstrom seinen Mietenden und der örtlichen Energieversorgerin. Nur die Immobilienbesitzenden rechnen gegenüber der Versorgerin die Einspeisevergütung und den aus dem öffentlichen Netz bezogenen Strom ab. Je mehr Strom die Mietparteien verbrauchen, desto wirtschaftlicher kann die Photovoltaik-Anlage betrieben werden.
Angenommen, Sie hätten freie Hand: Wie würden Sie den Solarausbau beschleunigen?
Vorab: Ich kann und sollte das nicht entscheiden. Aber folgende Massnahmen scheinen mir effektiv: ein Mindesttarif, wie er gerade in Bern diskutiert wird, ist eine gute erste Lösung, aber er sollte angepasst sein auf verschiedene Dachgrössen. Je kleiner das Dach und die Solaranlage, desto höher müsste der Preis sein, da grössere Solaranlagen günstiger sind und einen niedrigeren Tarif vertragen, um wirtschaftlich zu sein. Den Tarif würde ich dann für 15 bis 20 Jahre garantieren, damit Investitionssicherheit besteht. Als Zweites würde ich versuchen, in den Kantonen und Gemeinden den ganzen Wildwuchs an Bau- und Steuervorschriften sowie Subventionszahlungen zurückzuschneiden und die Regeln zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Daneben würde ich umfangreiche Freiflächen neben Infrastruktur wie zum Beispiel Autobahnen nutzen, um Solaranlagen zu installieren – und zuletzt würde ich den Ausbau von Photovoltaik in den Alpen fördern.
In den Alpenregionen gibt es viele Einsprachen gegen Solarkraftwerke, Stichwort Landschaftsschutz.
Aber die Akzeptanz ist viel höher als für die Windkraft. Photovoltaik in den Alpen wäre besonders sinnvoll, denn sie hilft uns bei der Winterstromlücke. Im Winter hat man in den Alpen häufiger Sonne, und sie erzielt eine grössere Wirkung als im Flachland, wo häufig Nebel herrscht. Das Alpenpotenzial müssen wir unbedingt nutzen.