Der Vergleich ist so einfach wie eingängig: Früher leugneten Zigarettenhersteller die Verbindung mit Lungenkrebs, bis diese wissenschaftlich erwiesen war. Heute leugnen Öl- und Gasunternehmen den Link zur Klimakrise. «Jetzt hat sich aber Mutter Natur in die Diskussion eingeschaltet. Und sie ist die überzeugendste Verfechterin des Klimawandels», erklärte Nobelpreisträger, Klimaschützer und ehemaliger US-Vizepräsident Al Gore an der Eröffnungsrede des Spirit of Bern, eines Forums für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.
Die Fähigkeit, zu leben, ist gefährdet
Seit über dreissig Jahren setzt sich der Amerikaner für das Klima ein. Als er damals fragte, was man für das Klima tun könnte, war die Antwort: Nichts. Damit gab er sich aber nicht zufrieden und fand seine Berufung im Kampf für einen gesunden Planeten. Rückschläge gab es viele, doch er liess sich nie entmutigen. «Es geht um unsere Fähigkeit, zu leben», prognostizierte er bereits 2006 unheilvoll in seinem oscargekrönten Film «Eine unbequeme Wahrheit».
In seiner Rede am Forum stellte Gore exemplarisch dar, dass diese Fähigkeit gerade jetzt auf Messers Schneide steht: Die wärmsten acht jemals gemessenen Jahre waren die letzten acht. Der heisseste Juli aller Zeiten brach dieses Jahr Rekorde; in den USA, in Polen, in Deutschland und auch in der Schweiz mit 38,3 Grad in Genf. «Gleichzeitig toben gigantische Waldbrände in ganz Europa, die Tausende von Hektaren vernichten, und niedrige Wasserstände am Rhein und am Po haben erhebliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft», führte der ehemalige US-Vizepräsident aus. Durch die extremen Hitzeperioden erwärmten sich die Ozeane, was wiederum die grossen Meeresströme wie den Golfoder den Humboldtstrom, aber auch das Phänomen El Niño beeinflusst. Die Folge davon: Mehr Ozeanstürme, die Platzregen – von Al Gore als «Regenbomben» betitelt – nach sich ziehen und Millionen Leute in die Armut zwingen.
Al Gore zeichnete kein optimistisches Bild am Polit-Forum. Und er nahm auch kein Blatt vor den Mund, als er aufzeigte, dass die Industriestaaten trotz Versprechen ihre Ziele verfehlten: «Drei Viertel der Zusagen zur Klimareduktion kommen von Industriestaaten – aber Zusagen sind eben keine Taten», so Al Gore und ergänzt: «Auch die Schweiz hat ihre Emissionsziele für 2020 verfehlt.» Zusätzlich erschwerend: «Viele Länder haben sich noch nicht von der Covid-19-Pandemie erholt und dann ist in der Ukraine noch ein Krieg ausgebrochen.»
Das wiederum trieb die Energiepreise in die Höhe. Statt jetzt aber auf die gestiegenen Preise mit der Suche nach fossilen Brennstoffen wie Öl und Gas zu reagieren, zeigt Al Gore auf, dass die Lösung anderswo liegt: «Ich verstehe, was geschehen ist, aber es wird alle Bedrohungen verstärken! Und es untergräbt unsere Demokratien. Wir müssen den Übergang zu erneuerbaren Energien schaffen. Das ist der Moment!»
Dass Unternehmen das Momentum nutzen, sieht Al Gore in den immer weiteren und wichtigen Gesetzen zur Regulierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Jüngstes Beispiel: sein eigenes Heimatland, die Vereinigten Staaten. Auch Deutschland und Australien kennen solche Regelungen. Grosse Hoffnungen hegt Al Gore auch für die kommenden Wahlen in Brasilien. Das Land weist hohe CO₂-Emissionen auf, aber unternahm bisher wenig dagegen. Eine neue Regierung könnte zu einem Umdenken führen.
Die Schweiz als Vorreiterin
Dementsprechend erfreut sei er, dass der Absatz von Elektrofahrzeugen in der Schweiz im letzten Jahr um über 60 Prozent zugelegt habe. Gleichzeitig steige die Nutzung von Solarenergie und er beobachte, dass die Schweiz unter den Nationen als Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeit bewundert und respektiert werde. Diese Stellung solle sie beibehalten und andere Nationen motivieren, ebenfalls hochgesteckte Ziele zu setzen und zu erreichen.
Dabei müssten die Ziele aber realistisch und zukunftsnah formuliert sein. «Ziele, die dreissig Jahre in der Zukunft liegen, können bedeutungslos sein, wenn darauf keine effektive Aktion folgt.» Deshalb gelte es heute, die richtigen Massnahmen zu ergreifen. Denn sie werden darüber entscheiden, ob wir in Zukunft in der Lage sind, das Problem zu vermeiden oder nicht. Al Gore appelliert zum Schluss seiner Rede an alle Anwesenden: «Jetzt liegt es an jeder und jedem Einzelnen, diesen Worten Taten folgen zu lassen!»